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Auf Medikamente und Ernährung achten

Chronische Nierenschwäche aufhalten

Die Nieren entgiften den Körper. Arbeiten sie dauerhaft nicht mehr richtig, schadet das dem gesamten Organismus. Heilen lässt sich die chronische Nierenerkrankung nicht. Betroffene können den Verlauf jedoch durch eine angepasste Ernährung und geeignete Medikation beeinflussen.
Nicole Schuster
31.07.2020  14:00 Uhr

Die paarig angelegten Organe haben wichtige Aufgaben: Sie regeln den Wasser- und Salzhaushalt des Körpers, filtern und reinigen das Blut und scheiden Stoffwechselprodukte und Giftstoffe aus. Sie spielen auch im Hormonhaushalt eine wichtige Rolle und regulieren den Blutdruck und die Blutbildung, indem sie die Botenstoffe Renin und Erythropoetin ausschütten.

Essenziell für die Nierenfunktion sind die Nephrone, die aus Nierenkörperchen und Nierenkanälchen bestehen. Ist mehr als die Hälfte der Nephrone zerstört, funktioniert die Niere nur noch eingeschränkt. Das bedeutet, dass sich überschüssiges Wasser, aber auch Giftstoffe im Körper ansammeln, da sie nicht mehr ausreichend eliminiert werden können.

Eine eingeschränkte Nierenfunktion ist ein häufiges Leiden. In Deutschland sind gemäß der DEGAM-Leitlinie »Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis« von 2019 acht bis zehn Millionen Menschen betroffen. Es gibt verschiedene Ursachen. »Ein Risikofaktor ist das Alter«, erklärt Professor Dr. Sylvia Stracke, Leiterin des Bereichs Nephrologie, Dialyse und Hochdruckkrankheiten der Klinik für Innere Medizin A am Universitätsmedizin Greifswald und Ärztliche Leiterin des KfH Nierenzentrums Greifswald. Die Erkrankung tritt in der Regel auch erst in der zweiten Lebenshälfte auf. Einige Faktoren können aber zusätzlich die Nierenfunktion schwächen. Dazu zählt Diabetes mellitus, vor allem, wenn er in Kombination mit Bluthochdruck oder Entzündungen der Niere auftritt. Erhöhte Glucosewerte können Gefäßveränderungen auslösen und mit der Zeit Gefäße in der Niere so stark schädigen, dass sie zugrunde gehen. Auch Hypertonie schadet den Nieren. Ist der Blutdruck dauerhaft erhöht, zerstört das die Nierenkörperchen. Das lässt den Blutdruck noch weiter ansteigen – ein Teufelskreis.

Nicht reversibel

Von der chronischen Nierenschädigung ist das akute Nierenversagen zu unterscheiden. Die Funktion des Organs nimmt dabei nicht allmählich, sondern sehr rasch ab. Meistens gibt es dafür einen konkreten Auslöser, etwa eine plötzliche Mangeldurchblutung, Austrocknung oder Schock. Denkbar ist auch, dass Medikamente oder Kontrastmittel die Nieren akut schädigen. Ein weiterer wichtiger Unterschied: Das akute Nierenversagen lässt sich behandeln, und der Funktionsverlust ist reversibel. Betroffen sind die Nierenkanälchen, die eine hohe Regenerationsfähigkeit aufweisen. Bei der chronischen Nierenerkrankung hingegen ist die Schädigung meist irreversibel. Voneinander abgrenzen lassen sich beide Formen meistens auch anhand der Symptome: Beim akuten Nierenversagen bildet sich häufig kaum oder gar kein Harn. Bei der chronischen Form hingegen nehmen Patienten im Anfangsstadium noch keine Symptome wahr. Erst, wenn sich mit der Zeit immer höhere Konzentrationen harnpflichtiger Substanzen wie Kreatinin, Harnstoff und Harnsäure im Blut ansammeln, macht sich die Krankheit bemerkbar. Im Körper führen diese Stoffe zu einer Vergiftung und Überwässerung mit Symptomen wie Wassereinlagerungen in Lunge oder Beinen. Als Folgeerkrankungen können Bluthochdruck und Herzerkrankungen wie Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz entstehen. Als unspezifische Symptome klagen viele Patienten über Müdigkeit, Kopfschmerzen und verminderte Leistungsfähigkeit.

Maß für die Nierenleistung

Um die Leistung der Nieren zu überprüfen, ermitteln Ärzte bestimmte Blutwerte. Dazu gehört die Konzentration harnpflichtiger Substanzen wie Kreatinin und Harnstoff im Blut. Normalerweise sollten diese Stoffe über die Niere aus dem Blut gefiltert werden. Liegen sie in erhöhter Konzentration im Blut vor, deutet dies auf eine Funktionsstörung des Filterorgans hin.

Die glomäruläre Filtrationsrate (GFR) ist ein Maß dafür, wie viel Milliliter die Nieren in einer Minute filtern und zeigt an, wie hoch die aktuelle Nierenleistung ist. Um sie zu ermitteln, bestimmen Ärzte die Clearance von harnpflichtigen Substanzen wie Inulin oder Kreatinin im Blutplasma sowie im Urin. Zur Berechnung dienen verschiedene Formeln. Wichtig ist, dass die GFR je nach Tageszeit um bis zu ein Drittel schwanken kann. Je nach Höhe der GFR unterteilen Ärzte die Nierenfunktion in fünf Stadien, beginnend bei einer normalen Nierenfunktion mit einem GFR-Wert über 90 bis zum chronischen Nierenversagen mit einem GFR-Wert unter 15 ml/min. Bei der chronischen Nierenerkrankung liegt die GFR unter 60 ml/min. Reicht die Nierenfunktion nicht mehr aus, um alle Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen, müssen sich Patienten auf eine dauerhafte Dialysetherapie einlassen. Eine Alternative ist die Nierentransplantation.

Ernährung reflektieren

Eine kausale Heilung der chronischen Nierenerkrankung gibt es nicht. Ziel der Therapie ist es deshalb vor allem, das Fortschreiten aufzuhalten. Dazu gehört die konsequente Behandlung von Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder Entzündungen der Nierenkörperchen (Glomerulonephritiden). Der Blutzuckerwert sollte dauerhaft gut eingestellt sein. Um den erhöhten Blutdruck zu senken, sind in der Regel ACE-Hemmer oder, falls diese nicht vertragen werden, AT1-Antagonisten geeignet.

Betroffene können die Krankheit zudem durch Veränderungen ihrer Lebensweise verlangsamen. Dazu gehören regelmäßige körperliche Aktivität und ein Verzicht auf Nikotin. Die Ernährung sollten sie an den Schweregrad der Nierenerkrankung anpassen. Die PTA sollte Patienten eine professionelle Beratung durch spezialisierte Ärzte oder Diätassistenten nahelegen. Widersprüchliche Aussagen finden sich oft zum Eiweißkonsum. Der Nutzen einer extremen Proteinrestriktion ist nicht belegt. Stracke dazu: »Bei Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung sollte der tägliche Konsum 0,8 bis maximal 1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht nicht überschreiten.« Diese Menge entspricht den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für gesunde Erwachsene. »Die meisten Menschen nehmen aber durch eine Ernährung reich an Fleisch um einiges mehr an Eiweiß auf.« Für Patienten ist es wichtig, Eiweiß mit einer hohen biologischen Wertigkeit, also vielen essenzielle Aminosäuren, zu bevorzugen. Die Eiweißwertigkeit lässt sich verbessern, indem man verschiedene Proteinquellen geschickt kombiniert, etwa Kartoffeln, Milch und Ei oder Milch und Weizen.

Bei Nierenerkrankungen sollten Betroffene auch den Phosphatgehalt in ihrer Ernährung anpassen. Die renale Elimination des Mikronährstoffs nimmt im Verlauf der Erkrankung ab. Liegt der »Calciumräuber« Phosphat in zu hoher Konzentration im Blut vor, wird vermehrt Calcium aus den Knochen herausgelöst. Ein Grund, warum bei Nierenkranken das Osteoporose-Risiko steigt. Ärzte empfehlen daher Nierenkranken, nicht mehr als 0,6 bis maximal 1 Gramm Phosphat pro Tag aufzunehmen. »Besonders viel Phosphat steckt in haltbar gemachten Produkten wie Gepökeltem, stark verarbeiteten Lebensmitteln wie Schmelzkäse sowie in Softdrinks«, so die Expertin. »PTA können Betroffenen sagen, dass sie diese Phosphatzusätze an den E-Nummern E 338 bis E 341, E 450 a bis c, E 540, E 543 und E 544 erkennen können.«

An Kalium und Kochsalz sparen

Im fortgeschrittenen Stadium sollten Patienten auch an Kalium sparen. »Eine Folge der Nierenschwäche ist, dass der Kaliumgehalt im Verlauf im Blut ansteigt. Erhöhte Kaliumspiegel können zu Problemen wie Herzrhythmusstörungen führen«, erklärt Stracke. Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz sollten abhängig vom Grad der Erkrankung eine Kaliumzufuhr von 1,5 bis 2 Gramm anstreben. Beispiele für kaliumreiche Nahrungsmittel sind Trockenobst, Hülsenfrüchte, bestimmte Obst- und Gemüsesorten wie Bananen oder Tomaten sowie Pilze und Kartoffelprodukte. Hier dürfen die Patienten nur selten zugreifen.

Auch Medikamente können den Kaliumspiegel beeinflussen: So erhöhen ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten, Nicht-Steroidale Antirheumatika (NSAR) oder kaliumsparende Diuretika den Wert des Serumkaliums.

Nierenkranke müssen auch am Salz sparen, täglich sollten es nicht mehr als sechs Gramm Kochsalz aus der Nahrung sein. Nicht einfach, denn 80 Prozent der täglichen Salzzufuhr stammen aus verarbeiteten Lebensmitteln. Die Hauptquellen: Brot und Brötchen, Fleisch- und Wurstwaren sowie Milchprodukte und Käse.

Auch die Trinkmenge müssen Nierenkranke im Auge behalten. Bei geschädigten Nieren ist die Annahme, dass die Nieren gut durchgespült werden müssen ab einem bestimmten Stadium der Nierenerkrankung hinfällig. Eine zu hohe Trinkmenge überfordert im Gegenteil die Organe. Allgemein gelten zwei Liter Flüssigkeit pro Tag als empfehlenswert Die individuell ideale Trinkmenge hängt jedoch vom Stadium der chronischen Nierenerkrankung ab.

Die Medikation anpassen

Bei einer chronischen Nierenerkrankung gehört auch die Medikation genau kontrolliert. So sollten Ärzte keine Medikamente verschreiben, bei denen eine nephrotoxische Wirkung bekannt ist. Diese Arzneimittel schädigen über unterschiedliche Mechanismen die Nieren. Dazu gehört die Kombination von Antihypertensiva und NSAR, weitere Beispiele sind Ibuprofen, Lithium, Digoxin, Methotrexat und verschiedene Antibiotika wie Ampicillin, Aminoglykoside oder Ciprofloxacin.

Auch Statine können problematisch werden. Eine mögliche, wenn auch seltene Nebenwirkung ist die Rhabdomyolyse. Dabei fallen große Mengen an renalem Myoglobin und anderen Bestandteilen der Muskelzelle an, die die Niere direkt schädigen.

Bei vielen Medikamenten muss zudem die Dosierung angepasst werden. Dazu orientieren sich Ärzte in der Regel an der Glomerulären Filtrationsrate. Für die PTA in der Apotheke ist das weniger von Belang. Für sie hingegen wichtig: Vermutet sie bei Patienten eine Störung der Nierenfunktion, weiß sie davon oder kennt Risikofaktoren beim Patienten, kann sie für die Selbstmedikation entsprechend beraten.

Leiden oft nicht bekannt

Ein Problem besteht darin, dass viele Patenten nichts von ihrer eingeschränkten Nierenfunktion wissen oder die Möglichkeit einer Nierenschwäche aus Angst verdrängen. Äußerlich kann das Apothekenteam einen Nierenkranken auch nicht erkennen. Aber es gibt Hinweise: »Im Alter lässt die Nierenfunktion nach. Je älter Patienten sind, desto schwächer wird also die Nierenfunktion sein«, erklärt Internistin Stracke. »Auch bei bestimmten, regelmäßig eingenommenen Medikamenten oder Grunderkrankungen lässt sich vermuten, dass die Nierenleistung beeinträchtigt ist.« Zu diesen Medikamenten gehören höher dosierte Schleifendiuretika (etwa über 80 mg/Tag Furosemid) oder Schleifendiuretika kombiniert mit Thiaziden, ebenso Phosphatbinder wie Calciumacetat oder Sevelamer, Calcitriol oder spezielle Multivitaminpräparate für Menschen mit Nierenfunktionsstörungen. Zudem gehen Krankheiten wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck mit einem hohen Risiko für Beeinträchtigungen der Nieren einher. Einen Hinweis auf mögliche Grunderkrankungen geben der PTA die ärztlich verschriebenen Arzneimittel.

GFR-Stadium GFR (ml/min/1.73 m2) Bezeichnung
G1 ≥90 normal oder hoch*.
G2 60-89 leichtgradig eingeschränkt
G3a 45-59 leicht- bis mäßiggradig eingeschränkt
G3b 30-44 mäßig- bis hochgradig eingeschränkt
G4 15-29 hochgradig eingeschränkt
G5 <15 terminale Niereninsuffizienz
Tabelle 2: GFR-Stadien der chronischen Nierenerkrankung * im Vergleich zu jungen Erwachsenen Quelle: DEGAM-Leitlinie

Achtung Selbstmedikation

Einige gängige Medikamente sind für Nierenkranke nicht geeignet. Beispiel Schmerzmittel: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen und Diclofenac sind als nierenschädigend bekannt. Sie verschlechtern die Durchblutung des Organs und senken die GFR. Ist die Niere bereits vorbelastet, können die Schäden irreversibel sein und sehr schnell auftreten. Weniger kritisch ist die topische Anwendung. Für die systemische Einnahme wäre Paracetamol eine Alternative. Den Wirkstoff baut vor allem die Leber ab. Weitere mögliche Optionen wie Metamizol, Opioide und Gabapentin müssen Ärzte verschreiben.

Häufig fragen Patienten in der Apotheke auch nach Nahrungsergänzungsmitteln. »Zur Osteoporose-Prophylaxe sollte man besser reines Vitamin D3 empfehlen als Präparate mit Calcium«, erklärt die Expertin. Der Grund: »Bei einer Nierenfunktionsstörung ist die renale Ausscheidung von Calcium reduziert. Es sammelt sich vermehrt an. Das kann eine Calcifizierung der Blutgefäße auslösen und damit Arteriosklerose begünstigen.« Vitamin D3 hingegen verbessert die Aufnahme von vorhandenem Calcium in die Knochen. Die zusätzliche Einnahme von Calcium sollte nur erfolgen, wenn der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin dies empfiehlt und regelmäßig die Serumspiegel kontrolliert.

Auch nach Magnesium fragen viele Patienten in der Apotheke. Hier gibt es Hinweise, dass die Supplementierung günstig sein könnte. Liegt bei Nierenkranken ein Magnesiummangel vor, so steigt womöglich ihr Mortalitätsrisiko, und die Nierenfunktion lässt weiter nach. Ausreichend Daten für eine starke Empfehlung fehlen jedoch noch. Die Rücksprache mit dem Arzt ist daher auch hier ratsam.

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