Coronavirus-Infektion übers Auge möglich? |
Brigitte M. Gensthaler |
14.10.2020 07:00 Uhr |
Auch wenn eine Infektion mit SARS-CoV-2 über die Augen nach derzeitiger wissenschaftlicher Beurteilung von Augenärzten unwahrscheinlich ist, sollten Menschen mit engem Kontakt zu Covid-19-Patienten immer auch eine Schutzbrille tragen. / Foto: Adobe Stock/motortion
Fachleute diskutieren intensiv darüber, ob SARS-CoV-2 die Augenoberfläche infizieren, sich dort vermehren und damit Menschen infizieren kann. Es gebe vereinzelt Studien, die auf eine solche Übertragungskette hinweisen, berichtete Professor Clemens Lange, Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg, bei einer Pressekonferenz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
Klinische Studien beschreiben bei etwa 7 Prozent aller Covid-19-Patienten Augenbeschwerden und bei etwa 1 Prozent eine Bindehautentzündung (Konjunktivitis). Neben der geringen Häufigkeit der Beschwerden bei Infizierten sei unklar, ob die Augenreizung mit dem Virus kausal zusammenhängt. »Es könnte sich auch um ein SARS-CoV-2-unabhängiges Phänomen handeln, das zum Beispiel bei einer intensivmedizinischen Behandlung oder der generellen Entzündungsreaktion des Körpers der Patienten auftritt«, erklärte Lange.
Eine eigene Untersuchung an der Augenklinik Freiburg habe gezeigt, dass der Rezeptor ACE2, der eine Haupteintrittspforte für SARS-CoV-2 darstellt, in Zellen der Bindehaut nur sehr gering gebildet wird, informierte Lange. Auch hätten Kollegen der Universitäts-Augenkliniken in Bonn und Tübingen bei histologischen Untersuchungen von Covid-19-Toten keine relevante Bindehautentzündung oder SARS-CoV-2-RNA in deren Bindehaut nachweisen können. Anhand dieser Befunde halte er die Augenbindehaut im Vergleich zu anderen Schleimhäuten »für eine wenig relevante Eintrittsstelle für SARS-CoV-2«.
Auch wenn eine Infektion der Bindehaut unwahrscheinlich ist, könnten im Tränenfilm befindliche Viren grundsätzlich über die ableitenden Tränenwege die Nasenschleimhaut und Atemwege erreichen und dort eine Infektion auslösen, sagte der Augenheilkundler. Eventuell könnte eine Ansteckung auch über Tränenflüssigkeit, die an den Händen haftet, erfolgen. »Diese Infektionswege dürften aber eine untergeordnete Rolle spielen.«
Ist der Tränenfilm von Covid-19-Patienten für gesunde Menschen infektiös? In bisherigen Studien mit 414 Tränenfilmproben wurde nur in elf Proben Virus-RNA nachgewiesen. Der Experte zog ein vorsichtiges Fazit: »Das Auge ist wahrscheinlich keine bedeutsame Eintrittspforte für SARS-CoV-2. Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass SARS-CoV-2 nur sporadisch in der Tränenflüssigkeit nachzuweisen ist. Der Patienten-Tränenfilm scheint nur selten infektiös zu sein.« Endgültige Aussage seien aber noch nicht möglich.
Bis zur abschließenden wissenschaftlichen Klärung sollten Personen mit engem Kontakt zu Covid-19-Patienten neben Mund und Nase auch die Augen wirksam schützen. Ärzte und Klinikpersonal sollten zum Beispiel bei der In- und Extubation von Patienten unbedingt auch eine Schutzbrille tragen, die möglichst wenig Aerosol an die Augen heranlässt. Bei augenärztlichen Untersuchungen sei das Infektionsrisiko, das von Aerosolen aus den Atemwegen ausgeht, deutlich höher als das von Tränenfilm und Augenoberfläche der Patienten. Deshalb sieht der DOG-Experte Lange auch keinen Grund für die Allgemeinbevölkerung eine Augenschutzbrille zu tragen.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.