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Immunsystem

Darm trainiert Lunge

Für die Toleranzentwicklung des Immunsystems spielt die Zusammensetzung des Darmmikrobioms eine wichtige Rolle. Dessen frühkindliche Prägung entscheidet mit über die Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen. Welche therapeutischen Möglichkeiten bietet diese Darm-Lungen-Achse?
Elke Wolf
07.12.2021  08:30 Uhr

Die Mikrobiota entwickelt sich bereits bei der Geburt und wird in der frühen Kindheit für das weitere Leben geprägt. Wie lange die Phase andauert, in der ein individueller mikrobiotischer Fingerprint entsteht, ist noch unklar, vermutlich irgendein Zeitraum zwischen den ersten 100 Tagen bis zu drei Jahren nach der Geburt. Wird das Zusammenspiel von menschlichem Organismus und Mikrobiom in dieser sensiblen Phase gestört, spürt der Mensch möglicherweise lebenslang Folgen.

»Das Darmmikrobiom zeigt bei Asthmatikern eine schwere Dysregulation, seine Diversität ist eingeschränkt«, informierte Professor Dr. Harald Renz vom Institut für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg bei einer Pressekonferenz der Firma Dr. Kade. »Die Bakterien, die fehlen, sind jedoch >alte Freunde<, die uns eigentlich Laufe der Evolution geholfen haben, ein gesundes und kräftiges Immunsystem aufzubauen. Wichtig ist, dass diese Fehlregulation im Darm der Entwicklung der Krankheit vorausgeht, weswegen man heute einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Krankheitsentwicklung vor allem von Atemwegserkrankungen vermutet.«

So gelte heute als bewiesen, dass Bauernhofkinder, die mit möglichst traditioneller Landwirtschaft und einer gesunden ballaststoffhaltigen Mischkost aufwachsen, ein niedrigeres Asthma-Risiko, weniger allergische Sensibilisierungen und weniger Nahrungsmittelallergien zeigen. »Das Darmmikrobiom dient dem Immunsystem ganz wesentlich als Trainingspartner, und das lebenslang. Wird es aber bereits in der frühkindlichen Zeit gut trainiert, verbessert das die Toleranzentwicklung«, zeigte sich Renz sicher, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie.

Nahrung als Bindeglied

Eine wachsende Zahl an Studien liefert Belege für die Interaktion zwischen Darmflora und Lunge, eine Verbindung, die auch Darm-Lungen-Achse genannt wird. Darmbakterien können potenzielle Effekte auf die Lungenhomöostase erzielen, indem sie Immunzellen im Magen-Darm-Epithel trainieren und anschließend in das Lungenepithel einwandern und/oder bakterielle Stoffwechselprodukte mit wichtigen immunmodulatorischen Effekten in den Blutkreislauf abgeben. Hierzu gehören zum Beispiel kurzkettige Fettsäuren.

Diese kurzkettigen Fettsäuren – die durch reichlich ballaststoffhaltige Nahrung im Darm entstehen - dienen nicht nur als Brennstoff für die Epithelzellen im Darm, sondern haben auch deutliche physiologische Wirkungen. »Sie haben deutlich positive Effekte auf das Immunsystem, und zwar genau auf den Schenkel, der für die Ausbildung von Toleranz verantwortlich ist. Acetat, Butyrat und Propionat sind die wichtigsten«, erklärte der Allergologe.

Orale Intervention

Dadurch, dass die Mikrobiomforschung heute funktioneller Natur ist, man also in Ansätzen weiß, welcher Keim welche Funktion innehat, leitet sich das Konzept ab, dass geeignete Mikroben auch im Sinne von Prävention oder Therapie eingesetzt werden können. Für Renz ganz wichtig: Nur wenige Bakterienstämme sind im Vergleich zur hohen Diversität des gastrointestinalen Mikrobioms in der Lage, das Immunsystem zu stärken und eine immunologische Wirkung zu erzielen. Bei der Auswahl eines Probiotikums gilt es also, aufgrund dieser stammspezifischen Wirkung auf die enthaltenen aktiven Bakterienkulturen zu achten.

Die Coronavirus-Pandemie hat Studien zur Darm-Lungen-Achse befeuert beziehungsweise rückt das Mikrobiom als potenzielles Ziel für die Abwehr und Behandlung von Atemwegserkrankungen in den Fokus. Neu in den Apothekenregalen ist das Nahrungsergänzungsmittel Panabiotics® Immun aB21, das erstmals eine Kombination von vier aktiven Bakterienstämmen enthält, und zwar drei Stämme der Gattung Lactobacillus und ein Stamm der Gattung Pediococcus. Panabiotics gilt als erste probiotische Formulierung, für die die Wirksamkeit und Sicherheit bei ambulanten und symptomatischen Covid-19-Patienten in einer prospektiven klinischen Studie nachgewiesen wurde, berichtete Renz. 

Das Studiensetting sei überzeugend, stellte der Mediziner die Daten vor, die derzeit auf einem Preprint-Server verfügbar sind. In der prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten und vierfach verblindeten mexikanischen Studie bekamen 300 Patienten mit leichter Covid-19-Erkrankung einmal täglich die Vierer-Bakterien-Kombination verabreicht. Das reduzierte die durchschnittliche Symptomdauer im Vergleich zu Placebo von 18 auf 13 Tage. Zudem verbesserte die tägliche Einnahme sowohl die SARS-CoV-2-spezifischen IgM- als auch die SARS-CoV-2-spezifischen IgG-Spiegel an den Tagen 15 und 30 signifikant. Auch die in Röntgenbildern dokumentierte Lungenveränderung besserte sich unter Verum schneller.

Gezielte Modulation

Renz macht für die genannten Effekte die gezielte Modulation des Immunsystems durch die enthaltenen Bakterienstämme verantwortlich. Ganz neu dabei ist der Stamm L. plantarum CECT 30292. Er wurde laut Renz in die Kombination aufgenommen, weil er ein Protein überexprimiert, das für die Stärkung des Immunsystems von Interesse ist. Die Stämme L. plantarum CECT 7484 und CECT 7485 produzieren verstärkt das anorganische Polymer Polyphosphat (Poly-P), bekannt für seine Darmschleimhaut stärkenden Effekte. Zusammen mit dem vierten Stamm P. acidilactici CECT 7483 werden die kurzkettigen Fettsäuren Acetat, Propionat und Butyrat in großer Menge produziert, wobei es stammspezifische Unterschiede gibt. Die Fettsäuren wirken entzündungshemmend, indem sie die Interleukin-8-Synthese reduzieren und Immunglobulin A induzieren. Das von den Stämmen produzierte Acetylcholin bindet an α-7-Nicotinrezeptoren, hemmt das Zytokin Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-α) und trägt damit ebenfalls zur Reduzierung von Entzündungsreaktionen im Darm bei.

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