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Sonderkennzeichen und Co.

Das Wichtigste zu pharmazeutischen Bedenken

Retaxfrei zu bleiben, ist gar nicht so einfach. Wenn es um pharmazeutische Bedenken geht, haben Apotheken aber einen Vorteil, schließlich steht hier die pharmazeutische Expertise im Vordergrund. Wichtig ist allerdings, die Formalien einzuhalten.
Juliane Brüggen
25.05.2022  14:00 Uhr

»So günstig wie möglich, bitte« – das ist an vielen Stellen das Gebot der Stunde, auch im Gesundheitssystem. Entsprechend eng ist das vertragliche Korsett, in dem Apotheken sich bei der Abgabe von Arzneimitteln auf Kassenkosten bewegen. Rabattverträge, Importarzneimittel und die Regel der vier Preisgünstigsten sind nur einige Beispiele. Bei unbegründetem Verstoß droht eine Retaxation. Ein Veto-Recht hat das pharmazeutische Personal aber: Das Instrument der pharmazeutischen Bedenken.

Hätten Sie’s gewusst?

Das Recht, pharmazeutische Bedenken geltend zu machen, geht auf die Apothekenbetriebsordnung zurück, die Details zur Anwendung finden sich im Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, der zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) vereinbart ist.

Während die Bedenken früher nur beim Abweichen von Rabattverträgen infrage kamen, ist das Spektrum mittlerweile breiter: Seit der Neufassung des Rahmenvertrages 2019 können pharmazeutische Bedenken auch gegen die Abgabe der vier preisgünstigsten Arzneimittel und die preisgünstigen Importarzneimittel geltend gemacht werden.

Wann kommen Bedenken zum Tragen?

Pharmazeutische Bedenken kommen immer dann zum Tragen, wenn sich die Abgabe des vertraglich vorgesehenen, preisgünstigen Arzneimittels negativ auf die Therapie oder die Arzneimittelsicherheit auswirken würde. Dabei ist es wichtig, jeden Fall einzeln zu betrachten und zu prüfen, ob sich die Bedenken durch eine zusätzliche Beratung aus dem Weg räumen lassen.

Typische Fälle, in denen pharmazeutische Bedenken geltend gemacht werden können:

  • Problematische Arzneistoffe, zum Beispiel bei geringer therapeutischer Breite oder bei hohem Nebenwirkungspotenzial
  • Problematische Darreichungsformen, zum Beispiel Inhalationssysteme, transdermale therapeutische Systeme (TTS) , Injektions-Pens oder Unterschiede in der Teilbarkeit oder Sondengängigkeit
  • Zu erwartende Non-Compliance, zum Beispiel bei depressiven Patienten oder älteren Patienten mit Polymedikation (≥ fünf Dauermedikamente)
  • Problematische Dosierung oder Applikationshilfen, zum Beispiel bei Tropfen oder Säften
  • Besondere Patientengruppen, zum Beispiel Patienten mit Hör- und Sehstörungen oder eingeschränkter Beweglichkeit (wie bei Parkinson, Rheuma und Gicht), Kinder (Stichworte: Form, Farbe, Geschmack, Größe, Anwendung), ältere, multimorbide Patienten, bei Schluckproblemen sowie neurologischen oder psychischen Krankheiten
  • Problematische Hilfs- und Zusatzstoffe, zum Beispiel bei Allergie gegen Farb- und Konservierungsstoffe wie Parabene und Benzylalkohol, Allergie gegen Sulfite wie in Injektionslösungen oder Alkohol (Alkoholiker, Kinder)

Tipp: Viele Hintergrundinformationen zur Substitution und wann diese als kritisch zu beurteilen ist, liefert die Leitlinie »Gute Substitutionspraxis« der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG).

Wie wird das Rezept gekennzeichnet?

Um die Bedenken kenntlich zu machen, wird das Papierrezept mit dem Sonderkennzeichen 02567024 und einem passenden Faktor bedruckt:

  • Faktor 8 = Bedenken gegen die Abgabe des Rabattarzneimittels
  • Faktor 9 = Bedenken gegen die Abgabe des Rabattarzneimittels (sofern vorhanden) und die Abgabe der vier preisgünstigsten Arzneimittel beziehungsweise der preisgünstigen Importarzneimittel

Außerdem ist eine kurze Begründung erforderlich, die abgezeichnet wird. Für E-Rezepte schreibt der Rahmenvertrag vor, die Bedenken »inklusive des entsprechenden Kennzeichens im elektronischen Abgabedatensatz anzugeben und mittels qualifizierter elektronischer Signatur durch den für die Abgabe Verantwortlichen zu signieren«.

Was darf die Apotheke bei Bedenken als Alternative abgeben?

Auch bei pharmazeutischen Bedenken sind PTA und Apotheker angehalten, die Abgaberangfolge des Rahmenvertrages zu beachten, allerdings nur unter den Arzneimitteln, gegen die keine Bedenken bestehen. Geht es zum Beispiel um die Teilbarkeit einer Tablette und unter den Rabattarzneimitteln findet sich kein teilbares Präparat, aber unter den vier preisgünstigsten Arzneimitteln, können Bedenken gegen das Rabattarzneimittel angegeben werden. Aber es muss eines der preisgünstigen ausgewählt werden.

Wie hoch ist die Retaxgefahr?

Bei einem verantwortungsvollen Umgang mit pharmazeutischen Bedenken sind Retaxationen nicht zu erwarten. Es liegt im Ermessen des pharmazeutischen Personals, fachlich zu beurteilen, ob ein Austausch den Therapieerfolg oder die Sicherheit gefährden könnte – nicht im Ermessen der Krankenkasse. Vertraglich sind Retaxationen außerdem nicht erlaubt, wenn das Sonderkennzeichen oder die Begründung auf dem Rezept fehlt, sofern zumindest eines von beiden vorhanden ist. Wurde beides vergessen, kann die Apotheke immer noch einen »objektivierbaren Nachweis« zur Klärung des Sachverhalts nachreichen.

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