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Psyche und Immunsystem

Dauerstress schwächt die Abwehrkräfte

Dauerhaft in Alarmbereitschaft

Auf längere Sicht würde diese akute Alarmbereitschaft den Körper aber schädigen. Durch die Produktion von Cortisol in der Nebennierenrinde sorgt der Organismus deshalb dafür, dass die Entzündungsprozesse schnell wieder eingedämmt werden. Hält die Stressbelastung an, schwächt das die Infektabwehr: Bei chronischem Stress ist der Cortisolspiegel im Blut dauerhaft erhöht (Hypercortisolismus). Das bremst die Aktivität der TH1-Zellen. Im Gegenzug gewinnen die TH2-Zellen die Oberhand, die die Antikörperproduktion durch B-Zellen stimulieren. Das Immunsystem gerät aus der Balance. »Wird der Alarmzustand des Körpers längerfristig aufrechterhalten, steigt einerseits die Infektanfälligkeit und andererseits das Risiko für Allergien«, verdeutlicht Schubert.

Die Verschiebung der Immunaktivität ließ sich auch auf zellulärer Ebene nachweisen: In Wundheilungsstudien beispielsweise fanden sich in der Hautverletzung geringere Mengen typischer TH1-Zytokine wie Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor alpha, wenn die Menschen unter Stress standen. In einer anderen Studie beobachteten Forscher bei Alzheimer-Pflegenden einen schnelleren Anstieg des Entzündungsmarkers Interleukin-6 im Blut als bei Personen ohne Pflegestress. IL-6 spielt bei vielen chronischen Erkrankungen eine Rolle, zum Beispiel bei Arteriosklerose, rheumatoider Arthritis und Typ-2-Diabetes.

Crash im Stresssystem

Von großer Bedeutung für die Aktivität des Immunsystems ist aber nicht nur die momentane Lebenssituation. »Frühkindliche traumatisierende Belastungen können die Reaktionsfähigkeit des Stresssystems im Erwachsenenalter dauerhaft einschränken«, weiß Schubert. Bei misshandelten Kindern komme es aufgrund der anhaltenden Cortisol- Ausschüttung in einer dafür sehr empfindlichen Entwicklungsphase zu einem »Crash im Stresssystem«. Die Nebenniere produziere dann dauerhaft zu wenig Cortisol (Hypocortisolismus) und reagiere auch auf Stressreize im Erwachsenenalter nicht mehr adäquat. Das könne zum Beispiel Autoimmunerkrankungen fördern und chronische Entzündungserkrankungen begünstigen.

Belege dafür bietet eine große US-amerikanische Studie aus dem Jahr 1998. Darin wurden mehr als 17.000 Erwachsene über problematische Kindheitserfahrungen befragt – etwa über körperliche Misshandlungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch eines Familienmitglieds oder Trennung der Eltern. Es fand sich ein eindeutiger Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand im Erwachsenenleben: Je mehr negative Kindheitserlebnisse die Teilnehmer zu Protokoll gaben, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Erwachsenenalter zum Beispiel an einer Autoimmun-, Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankung litten. Auch Depressionen und andere psychische Erkrankungen traten häufiger auf. Menschen mit mehr als sechs traumatischen Erlebnissen starben durchschnittlich 20 Jahre früher als Menschen mit einer unbelasteten Kindheit. In einer späteren Studie konnte ein Forschungsteam zeigen, dass frühe Misshandlungen 20 Jahre später mit erhöhten Entzündungswerten im Blut verbunden waren.

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