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Augenerkrankungen im Alter

Den Durchblick bewahren

Schwindet die Sehkraft bei Senioren, hat das nicht zwangsläufig etwas mit unvermeidbaren Alterungsprozessen zu tun. Oft stecken Erkrankungen dahinter. Ohne Therapie droht die Erblindung. Wer ist gefährdet – und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Michael van den Heuvel
25.06.2019  09:00 Uhr

Zahlreiche Augenerkrankungen führen bei älteren Menschen zum Verlust der Sehkraft. In Deutschland steht die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) mit 32 Prozent aller Neuerblindungen an erster Stelle. Glaukome und diabetische Retinopathien erklären je 16 Prozent der Fälle. Trotz unterschiedlicher biologischer Mechanismen haben die Leiden eine Gemeinsamkeit: Sie kommen oft schleichend. Deshalb gehören regelmäßige augenärztliche Untersuchungen für Senioren zum Pflichtprogramm. Besonders häufig diagnostizieren Mediziner eine AMD. Wie es zur Erkrankung kommt, weiß man nicht genau. Forscher vermuten, dass neben genetischen Faktoren auch Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Raucher haben beispielsweise ein höheres Risiko zu erkranken, verglichen mit Nichtrauchern.

Die AMD existiert in zwei Formen mit unterschiedlichen Pathomechanismen. Mit 85 Prozent aller AMD-Diagnosen tritt die trockene altersbedingte Makuladegeneration besonders häufig auf. Sie erklärt aber nur fünf bis zehn Prozent aller Erblindungen. Im Auge beginnt alles mit der Ablagerung von Lipofuszin unter der Netzhaut, einem Pigment aus oxidierten Proteinen und Lipiden. Größere Gebilde entstehen, sogenannte Drusen. Die Durchblutung verschlechtert sich ebenfalls. In frühen Stadien bemerken Betroffene davon recht wenig. Ihre Hell-Dunkel-Anpassung wird schlechter. Vielleicht wirken die Farben auch etwas verwaschener. Schließlich sterben viele Sinneszellen des zentralen Bereichs ab. Das Gesichtsfeld wird massiv eingeschränkt, ohne dass der Betroffene total erblindet.

Trotz jahrzehntelanger Forschung gibt es bei der trockenen AMD bis heute keine kausale Therapie. Was können Ärzte trotzdem unternehmen? Forscher des North Chicago VA Medical Centers bestätigten in ihrer LAST-Studie, dass hoch dosierte, orale Lutein-Gaben den Krankheitsverlauf verlangsamen. Ob alte Getreidesorten wie Einkorn aufgrund ihres höheren Lutein-Gehalts schützend wirken, lässt sich noch nicht sagen. Die WAFAC-Studie lieferte Hinweise, dass hochdosierte Gaben von Vitamin B6, Vitamin B12 und Folsäure mit niedrigeren Erkrankungsrisiken in Verbindung stehen. Als Erklärung führen die Forscher niedrigere Homocystein-Spiegel an. Auch hier sind noch weitere Untersuchungen erforderlich. Vielleicht könnte sich der Arzneistoff Soraprazan als nützlich erweisen. Er entfernt bei der genetisch bedingten Erkrankung Morbus Stargardt Ablagerungen, die Netzhautzellen schädigen. Soraprazan hat momentan einen Orphan Drug-Status der European Medicines Agency (EMA). Als weitere Perspektive kommen Zellen des retinalen Pigmentepithels infrage. Sie werden aus embryonalen Stammzellen gewonnen und in das Auge gespritzt, Untersuchungen dazu laufen.

Blutgefäße außer Rand und Band

Deutlich besser sieht sehen die Behandlungsmöglichkeiten bei der feuchten Makuladegeneration aus. Die Form ist für circa 80 bis 90 Prozent aller Erblindungen durch AMD verantwortlich. Unter der Netzhaut bilden sich flächige Gefäßmembranen. Einblutungen entstehen, und die Macula lutea (der gelbe Fleck) geht zugrunde. Patienten berichten von einer Abnahme der Sehschärfe, des Kontrastempfindens, der Wahrnehmung von Farben, der Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse beziehungsweise von Gesichtsfeldausfällen. Ziel der Pharmakotherapie ist es, das unerwünschte Gefäßwachstum einzudämmen. Bekannte Strategien der Onkologie machen sich in der Augenheilkunde ebenfalls bezahlt: Aflibercept, Bevacizumab, Pegaptanib oder Ranibizumab fangen den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) ab. Die Vaskularisation wird gebremst. Dazu müssen die Wirkstoffe regelmäßig in den Glaskörper des Auges gespritzt werden.

Diabetische Retinopathie

Während man bei trockener oder feuchter AMD etwaige Risikofaktoren noch nicht wirklich kennt, ist die Sache bei diabetischen Retinopathien glasklar. Patienten mit Diabetes, allen voran Typ-2-Diabetes, haben ein erhöhtes Risiko, Netzhautveränderungen zu entwickeln.

Nach 20 Jahren Krankheitsdauer zeigen sich bei 90 Prozent aller Diabetiker Zeichen der Erkrankung am Augenhintergrund. Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland leiden an Retinopathien. Schwankungen des Blutglukosewerts schädigen die kleinsten Blutgefäße. Auch die Augen werden in Mitleidenschaft gezogen. Davon merken Patienten im Anfangsstadium noch nichts. Unklares oder verschwommenes Sehen deutet bereits auf eine Schädigung der Retina hin. Allen Diabetikern wird geraten, regelmäßig zum Augenarzt zu gehen. Denn eine frühe Diagnose und Behandlung rettet ihr Augenlicht.

Bei der Therapie setzen Augenärzte auf chirurgische Eingriffe, auch Laser kommen zum Einsatz. Tritt ein diabetisches Makulaödem auf, kann Dexamethason eingesetzt werden. Und Angiogenesehemmer wie Bevacizumab, Pegaptanib oder Ranibizumab verhindern die unerwünschte Vermehrung von Blutgefäßen, indem sie VEGF abfangen. Im Rahmen von Studien hat der Lipidsenker Fenofibrat diabetische Retinopathien verlangsamt, und zwar unabhängig vom Lipidspiegel. In Australien hat Fenofibrat bereits eine Zulassung für diese Indikation.

Der Druck steigt

Alterserkrankungen des Auges beeinträchtigen nicht nur die Makula. Auch der Sehnerv wird in Mitleidenschaft gezogen. Das ist beim Glaukom der Fall, auch Grüner Star genannt. Was steckt dahinter? Staut sich Kammerwasser in den Augenkammern, steigt der Augeninnendruck. Durchblutungsstörungen kommen mit hinzu. Beide Vorgänge führen letztlich dazu, dass der Sehnerv untergeht. Rund 500.000 Menschen sollen allein in Deutschland betroffen sein, jedem zehnten droht die Erblindung. Weniger als jeder zweite Patient weiß von der Erkrankung.

Zur Pharmakotherapie eignen sich Betablocker, Alpha-Sympathomimetika oder Carboanhydrasehemmer als Augentropfen. Sie verringern die Produktion von Kammerwasser. Prostaglandine machen den Ziliarkörper, eine Struktur im Bereich der mittleren Augenhaut, durchlässiger. Und Cholinergika führen zur Kontraktion des Ziliarkörpers. In beiden Fällen erhöht sich der Abfluss von Kammerwasser. Reichen diese Strategien nicht aus, verbessern Augenärzte den Abfluss chirurgisch. Falls möglich, setzen sie verschiedene Laser ein.

Katarakt – eine trübe Sache

Vom Grünen Star zum Grauen Star, auch Katarakt genannt. Durch UV-Strahlung trübt sich mit dem Älterwerden die Augenlinse. Verschiedene erbliche oder erworbene Erkrankungen führen ebenfalls dazu. Auf molekularer Ebene wird die Anordnung von Kristallinen gestört. Diese wasserlöslichen Proteine geben der Hornhaut ihre Brechkraft und ihre Durchsichtigkeit. Ballen sie sich zusammen, entsteht die typische Trübung. In Tierexperimenten verringerte Lanosterol den Schweregrad eines Katarakts und verbesserte die Transparenz von Linsen. Das Molekül könnte eine Perspektive für künftige Pharmakotherapien darstellen. Bis dahin bleiben nur chirurgische Eingriffe. Ärzte entfernen die getrübte Linse und ersetzen sie durch ein Linsenimplantat aus Kunststoff. Mit 650.000 Eingriffen pro Jahr gehören Katarakt-Operationen zu den häufigsten chirurgischen Interventionen.

Sehen ist soziale Teilhabe

Bleibt als Fazit: Pharmakotherapien oder chirurgische Eingriffe leisten nicht nur einen Beitrag, um das Augenlicht zu erhalten. Forscher der University of Miami Miller School of Medicine in Miami, Florida, fanden heraus, dass eine nachlassende Sehkraft und eine abnehmende Hirnfunktion in Verbindung stehen. Für ihre Studie rekrutierten sie 2500 Senioren im Alter von durchschnittlich 73,5 Jahren. Bei allen Teilnehmern ermittelten sie die geistigen Fähigkeiten anhand eines Schnelltests. Ein Sehtest kam mit hinzu. Nach zwei, sechs und acht Jahren bestellten die Forscher ihre Teilnehmer zu Nachuntersuchungen ein. Das Ausmaß schlechten Sehens stand mit der Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit in Verbindung. »Unsere Ergebnisse belegen, wie wichtig das Sehen für die soziale Teilhabe ist«, schreiben die Autoren.

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