Diabetische Neuropathie – was gegen Schmerzen hilft |
Isabel Weinert |
17.02.2020 10:00 Uhr |
Funktionieren Reflexe schlechter, kann das auf eine Neuropathie hinweisen. / Foto: Adobe Stock/WavebreakMediaMicro
Eine diabetische Polyneuropathie kommt für die Betroffenen quasi aus dem Nichts. Scheinbar plötzlich kribbelt, sticht, schmerzt oder brennt es symmetrisch in den Füßen. Die Symptome dehnen sich mit der Zeit meist socken- oder strumpfförmig aus und können auch die Hände betreffen. Wie sich das krankhafte Geschehen weiterentwickelt, kann jedoch niemand exakt voraussehen. Lange Zeit können die Symptome die Anfangsintensität behalten, zwischendurch auch nachlassen oder sich weiter verschlechtern. Sport scheint den Nerven gut zu tun, außerdem Normalgewicht, denn Adipositas fördert auch schon ohne Diabetes eine Neuropathie. Zur den genannten Symptomen in den Füßen kann sich eine (zunehmende) Gangunsicherheit gesellen.
Weil eine Polyneuropathie gerade im fortgeschrittenen Alter eine häufige Erkrankung unterschiedlicher Ursache ist, muss der Arzt bei beginnenden Symptomen zunächst prüfen, ob tatsächlich der Diabetes die Beschwerden verursacht. Denn unter anderem können auch ein Alkoholabusus, eine Nieren- oder Leberfunktionsstörung, Hypothyreose, Vitamin B-12-Mangel sowie Vitamin B-6-Mangel oder –Überdosierung, Vitamin E-Mangel und eine Chemotherapie die Nerven schädigen.
Dem Arzt können bei der Untersuchung abgeschwächte oder fehlende Eigenreflexe auffallen, außerdem ein vermindertes Vibrations- und Temperaturempfinden. Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und ein MRT geben weiteren Aufschluss.
Bei einer Diabetischen Polyneuropathie bleibt es in vielen Fällen leider nicht bei den Symptomen in den Extremitäten, denn häufig greift die »Krake Neuropathie« auf innere Organe über, hier vor allem auf die Innervierung des Herzens, des Gastrointestinal- und des Urogenitaltrakts. Damit steigt für die Betroffenen zum Beispiel das Risiko für einen plötzlichen Herztod erheblich.
Von den Diabetikern, die an einer Neuropathie erkranken, leidet wiederum die Hälfte unter Schmerzen, die die Lebensqualität deutlich mindern. Was dagegen zum Einsatz kommt, fassen die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter zusammen. Die Autoren der Leitlinie empfehlen, zunächst zu versuchen, die Schmerzen mittels Monotherapie einzudämmen. Die eingesetzte Substanz sollte der Arzt dazu bis zu ihrer erlaubten Höchstdosis ausdosieren. Der Arzt gehört deshalb zwingend mit an Bord. Er kontrolliert auch die Wirksamkeit engmaschig. Der Patient braucht zehn bis zwölf Wochen Geduld. So lange kann es dauern, bis eine Schmerztherapie greift.
Zum Einsatz kommt unter anderem das Antidepressivum Amitriptylin, dem systematische Reviews und Metaanalysen bescheinigen, dass es den neuropathischen Schmerz im Vergleich mit Placebo vermindert. Unter den Selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) liegen bislang für Duloxetin Daten vor, die die Einstufung »wirksam« zulassen. Für Venlafaxin steht eine abschließende Empfehlung noch aus. Für SSRI gegen Schmerzen bei Neuropathie reichen die Daten nicht aus, um eine Empfehlung aussprechen zu können. Wissenschaftler wissen es bislang einfach noch nicht.
In der Gruppe der Antikonvulsiva sprechen die Studienergebnisse eindeutig für die Wirksamkeit von Pregabalin. Auch Gabapentin scheint zu helfen, der endgültige Nachweis steht aber noch aus. Opioide helfen erwiesenermaßen, hierunter spricht sich die Leitlinie positiv für die Wirkstoffe Tramadol, Oxycodon, Morphin und L-Methadon aus. Die Indikationsstellung muss hier jedoch besonders streng ausfallen.
Viele Patienten erhoffen sich Hilfe von NSAR, leider auch deren Ärzte, die den Betroffenen die Mittel empfehlen oder verordnen. Sie helfen jedoch nicht, beziehungsweise fehlen sichere Hinweise für ihre Wirksamkeit bei dieser Indikation.
Kann ein Patient genau sagen, wo der Schmerz auftritt, können lokale Anwendungen mit Capsaicin-8-Prozent-Pflaster Linderung bringen. Alpha-Liponsäure empfehlen die Autoren der Leitlinie nicht, weil die Daten sowohl für die orale als auch für die parenterale Gabe widersprüchlich sind. Unabhängig davon gibt es jedoch Diabetologen, die ihren Patienten zu der Einnahme raten, weil ihnen Patienten schon postive Rückmeldung gegeben haben. Für den Einsatz von Cannabinoiden fehlen ebenfalls belastbare Daten.
Selbst bei einer Kombination verschiedener Schmerzmittel bekommen Ärzte die Symptome ihrer Patienten häufig nicht in den Griff. Es erscheint deshalb sinnvoll, nicht nur auf Medikamente zu setzen. Akupunktur und die transkutane elektrische Nervenstimulation sind zumindest einen Versuch wert.
Stellt ein Arzt schlechte Blutzuckerwerte seines Patienten zu schnell gut ein, sinken die Werte also rasch und stark, entwickelt sich selten eine »treatment-induced neuropathy of diabetes«, also eine durch die Therapie ausgelöste oder deutlich verschlimmerte Neuropathie. Dabei entwickeln sich die Symptome subakut und zeigen sich in brennenden und einschießenden Schmerzen, das Temperaturempfinden kann sich verändern. Das Syndrom geht manchmal mit einer ausgeprägten orthostatischen Hypotonie einher. Gerade bei einer beginnenden Insulinbehandlung müssen Ärzte deshalb darauf achten, den Blutzucker-Langzeitwert HbA1c gemächlich über einen längeren Zeitraum in den Normalbereich zu senken.