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Darmflora

Diät fördert Krankenhauskeim im Darm

Viele Menschen versuchen, ihr Körpergewicht durch eine Diät zu reduzieren – meist durch eine drastische Umstellung der Ernährung. Doch was genau bewirkt eine stark kalorienreduzierte Diät im Körper? Wie ein von der Charité Berlin koordiniertes Forschungsteam nun im Fachjournal »Nature« beschreibt, spielt hier das als Krankenhauskeim bekannte Bakterium Clostridioides difficile eine entscheidende sowie überraschende Rolle.
Katja Egermeier
09.07.2021  15:30 Uhr

»Wir konnten erstmals zeigen, wie eine Diät mit sehr niedrigem Kaloriengehalt die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm tiefgreifend verändert und so den Energiehaushalt des menschlichen Wirtes nachhaltig beeinflusst«, sagt Professor Joachim Spranger, Direktor der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité, als einer der leitenden Autoren der Studie. Im Darm hätten sich ganz bestimmte Bakterien, vor allem aber Clostridioides (früher Clostridium) difficile, deutlich vermehrt. Diese den meisten Menschen als Krankenhauskeim bekannten Bakterien können den Forschern zufolge die Nahrungsaufnahme im Darm beeinflussen.

Im Rahmen der Studie untersuchte das Forscherteam die Folgen einer Diät bei 80 älteren Frauen mit leichtem bis starkem Übergewicht. Diese hielten entweder ihr Gewicht über 16 Wochen oder verringerten es in diesem Zeitraum durch eine Formuladiät, also mittels Fertiggetränken mit weniger als 800 Kilokalorien pro Tag. Regelmäßige Stuhlanalysen hätten gezeigt, dass sich die Zahl der Mikroorganismen im Darm durch die Diät verringere und so die Zusammensetzung der Darmflora verändere, heißt es in der Pressemitteilung der Charité. »Wir konnten beobachten, wie die Bakterien ihren Stoffwechsel umstellen, um vermehrt Zuckerverbindungen aufzunehmen, die dem Menschen dann nicht mehr zur Verfügung stehen«, erklärt Erstautor Dr. Reiner Jumpertz von Schwartzenberg.

»Man kann sagen, es entwickelt sich ein hungriges Mikrobiom.«
Dr. Reiner Jumpertz von Schwartzenberg, Wissenschaftler und Arzt an der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité Berlin

Ein erstaunliches Phänomen registrierten die Wissenschaftler schließlich, als sie Stuhlproben, entnommen sowohl vor als auch nach der Diät, auf keimfrei gehaltene Mäuse ohne Darmflora übertrugen: Die Tiere, die den nach der Diät entnommenen Stuhl erhielten, verloren innerhalb von nur zwei Tagen mehr als 10 Prozent ihrer Körpermasse. Eine Stuhltransplantation mit Stuhl aus Zeiten vor der Diät blieb dagegen ohne jeden Effekt. Für Professor Spanger lässt sich das vor allem durch eine Veränderung der Nahrungsabsorption im Darm der Tiere erklären. »Dies unterstreicht, dass Darmbakterien die Aufnahme der Nahrung maßgeblich beeinflussen.«

Problemkeim ohne Probleme

Bei der Untersuchung der Stuhlzusammensetzung sei den Forschenden schließlich eine verstärkte Besiedelung vor allem mit einem Bakterium aufgefallen: Clostridioides difficile. Sowohl die Probandinnen, die die Diät durchlaufen hatten, als auch die Mäuse, denen ihre Darmbakterien übertragen wurden, hätten erhöhte Konzentrationen dieser Bakterien aufgewiesen. »Wir konnten außerdem nachweisen, dass Clostridioides difficile die für das Bakterium typischen entzündungsfördernden Giftstoffe produzierte – davon hing sogar der Gewichtsverlust der Tiere ab«, so Spranger. Bemerkenswert sei jedoch gewesen, dass weder die Probandinnen noch die Tiere klinische Zeichen einer Darmentzündung zeigten.

»Eine stark kalorienreduzierte Diät sorgt also dafür, dass ein als Krankenhauskeim bekanntes Bakterium sich leichter vermehren kann und die Aufnahme der Nahrung über die Darmwand weniger effizient macht – ohne aber Krankheitssymptome zu verursachen«, lautet das Resümee des Forschers. Spranger erhofft sich aus den Ergebnissen der Studie, die unter anderem vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) gefördert wurde, die Entwicklung möglicher Therapieoptionen für Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas oder Diabetes mellitus. Das Team gehe daher nun der Frage nach, wie sich die Darmbakterien beeinflussen lassen könnten, um beim Menschen vorteilhafte Effekte für das Körpergewicht und den Stoffwechsel zu bewirken.

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