»Die den Lebensfaden durchschneidet« |
Katja Egermeier |
04.09.2019 09:00 Uhr |
Die Tollkirsche wächst als 50 bis 150 cm hohe strauchige Staude mit holzigen Stängeln, an deren Ende sich Blattstiele schirmförmig ausbreiten. Die eiförmigen Laubblätter sind fein behaart, die etwa 3 cm großen Blüten glockenförmig mit fünf braun-violetten Blütenblättern. Die Beeren sind schwarz, glänzend, saftig und sitzen kirschgroß in Blattkelchen. Sie enthalten, anders als echte Kirschen, keinen Stein, sondern mehrere kleinere Samen. Im Sommer trägt die Tollkirsche Blüten sowie reife schwarze und unreife grüne Beeren gleichzeitig.
Die etwa ein bis eineinhalb Meter hohe Schattenpflanze ist in ganz Europa heimisch, wächst aber im Norden eher selten. Sie bevorzugt lichte Laub- und Laubmischwälder, Gebüsche oder warme Waldränder und ist meist auf humusreichem, etwas kalkhaltigen Böden zu finden.
Atropa belladonna, Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae)
• Blüte: glockige, braun-violette Blüten
• Blütezeit: Juni bis August
• Früchte: schwarze, saftige, kirschgroße Beeren, Juni bis September
• Blätter: fein behaarte, eiförmige Laubblätter
• Vorkommen und Verwendung: in Laubwäldern
• Gift: Tropanalkaloide (L-Hyoscyamin, Atropin, Scopolamin)
• Giftige Pflanzenteile: ganze Pflanze
Die Tollkirsche enthält in allen Pflanzenteilen L-Hyoscyamin und Atropin. Die Gifte entfalten periphere parasympatholytische Wirkung, bei größeren Mengen zentral erregende Wirkung.
Zunächst treten eine Rötung des Gesichts, Trockenheit der Schleimhäute, eine Pupillenerweiterung und Sehstörungen auf. Fortschreitend kann es zu Harnretention, Verstopfung, Hyperthermie, Herzrasen, Halluzinationen bis hin zu Fieber, Krämpfen, Koma sowie Atem- und Herzstillstand kommen.
Durch die kirschähnlichen, süß schmeckenden Beeren kommt es immer wieder zu Vergiftungen, die besonders bei Kindern häufig eine klinische Behandlung erfordern. Tollkirschen sind auch giftig für Pferde, Schweine, Hunde und Katzen sowie für Hasen, Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster und Vögel.
Erheblich: 3 bis 5 Beeren können bei Kindern tödlich sein. Bei Erwachsenen liegt die tödliche Dosis bei 10 bis 20 Beeren.
Bei dem Verdacht einer Vergiftung mit Tollkirschen sind häusliche Maßnahmen nicht angezeigt. Es ist immer eine schnelle Vorstellung beim Arzt notwendig.
Kurz nach der Giftaufnahme sollte Erbrechen ausgelöst oder der Magen gespült werden. Bei manifester Symptomatik sind physikalische Maßnahmen zur Temperatursenkung notwendig. Ansonsten können die zentralen Vergiftungssymptome nur symptomatisch behandelt werden. Als Antidot steht Physostigminsalicylat (Anticholium®) zur Verfügung.
In fachkundiger Hand ist die hochgiftige Tollkirsche einer heilkräftige Pflanze, die bei Magen- und Darmerkrankungen, bei Bronchialasthma und verschiedenen Neuralgien verwendet werden kann. Sie wirkt krampflösend bei Asthma und Epilepsie. Auch in der Augenheilkunde wird Tollkirsche verwendet.
Achtung! Pflanzenbestandteil der Tollkirsche niemals selbst zubereiten und anwenden!
Stark erweiterte Pupillen wirken anziehend und sympathisch, sorgen aber für einen unklaren Blick. / Foto: Adobe Stock/Johanna Goodyear
Die Bezeichnung »Belladonna« soll damit zusammenhängen, dass sich italienische Frauen im Mittelalter vor dem Treffen mit ihrem »Auserwählten« den Saft aus Tollkirschen in die Augen träufelten, um ihre Pupillen zu erweitern. Mit ihren dadurch schwarzen Augen wollten sie auf die Männer anziehend wirken, konnten diese aber aus der Nähe nicht mehr so gut erkennen – was in manchen Fällen von Vorteil gewesen sein kann.
Die Tollkirsche verbindet aber noch weitere Geschichten mit dem Mittelalter. So lösen die enthaltenen Alkaloide Hyoscyamin, Atropin und Scopolamin neben Halluzinationen auch Gefühle des Fliegens aus und verändern die Haut- und Körperwahrnehmung. Das führte zur Verwendung der Pflanze in sogenannten Hexen- oder Flugsalben. Sie erzeugten die intensive Wahnvorstellung, zu fliegen oder sich in ein Tier zu verwandeln.
Aus diesem Grund brachte Hildegard von Bingen (1098-1179) die Tollkirsche mit dem Teufel in Verbindung und warnte vor deren Wirkung auf die menschliche Psyche. Die Abgabe wurde inzwischen per Verordnung verboten.
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