Die Kraft des Zuhörens |
Wirklich gut verbunden? Aktives Zuhören will gelernt sein. / Foto: Adobe Stock/Jenny Sturm
Gute Freundinnen sollen es haben, Ärzte auch und Psychotherapeuten sowieso: das Ohr zum Zuhören. Geduldig und mitfühlend. Menschen, die anderen ihr Gehör schenken, sind kostbar. Und sie tun darüber hinaus auch sich selbst einen Gefallen. Ein indisches Sprichwort fasst das ganz gut zusammen: »Zuhören überzeugt mehr als argumentieren.«
Unvoreingenommenes Zuhören führt zu guten Gesprächen. Doch daran hakt es: Zwar gibt jeder von uns täglich etwa 16.000 Worte von sich und hört etwa 30.000 Worte. Mit wirklichem Aufnehmen und Verarbeiten hat das aber wenig zu tun. Zum einen, weil wir innerlich oft woanders sind: bei unserem Alltags-Stress, Selbstzweifeln oder Sorgen. »Zum anderen, weil das geneigte Ohr ein Image-Problem hat«, sagt Sprachwissenschaftler Dr. Martin Hartung, Leiter des Instituts für Gesprächsforschung in Göttingen. »Wenn jemand redet, heißt das: Der ist aktiv, er tut etwas. Beim Zuhören dagegen ist nicht sichtbar, dass er handelt. Die Folgen sind nicht gleich sichtbar, deshalb bleibt es unterschätzt.« Dabei wird die Fähigkeit, gut zuhören zu können, mit Empathie gleichgesetzt.
Glückliche Paare sprechen über alles Mögliche und nicht nur über Kinder, Arbeit oder Haushalt. Sie wissen über die besten Freunde, aktuelle Stressauslöser, Lebensträume und Werte des Partners Bescheid. Unzufriedene Paare machen hingegen oft den Fehler, sich zu überhören. Sie glauben bereits, alles über den anderen zu wissen. Paartherapeuten empfehlen daher, sich regelmäßig zu einem Zwiegespräch zu verabreden. Geht so: 15 Minuten spricht der eine, 15 Minuten der andere. Wer zuhört, stellt keine Fragen, nicht mal zum Verständnis. Am Ende jeder Einheit gibt der Partner das Gehörte in eigenen Worten wieder.
Einen interessanten Aspekt nennt Birgit Echtler, Geschäftsführerin der Stiftung Zuhören: »Ein Kind hat mal gesagt: ›Wenn einem die Erwachsenen nicht zuhören, ist das so, als wenn man nicht da ist.‹ Das bringt die existenzielle Bedeutung des Zuhörens auf den Punkt. Wenn wir Erwachsene hingegen bewusst zuhören, zeigen wir Kindern: ›Das, was du sagst, hat Wert. Du bist mir wichtig.‹ Und das stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder. In Zeiten wie diesen, die uns in die Distanz zwingen und die viele mit Sorgen und Nöten belasten, ist es noch wichtiger als sonst, einander Gehör zu schenken.«
In den mehr als 4500 bundesweiten Hörclubs der Stiftung lernen die Kinder, auch selbst ganz Ohr zu sein. Sie lösen Geräuschrätsel, experimentieren mit Klängen, machen Aufnahmen. »So werden sie sensibilisiert für den Wert des Akustischen. Sie werden ruhiger und konzentrierter. Und: Sie schenken anderen Raum, ohne zu unterbrechen – das zeugt von Respekt.«
Sich angenommen zu fühlen, ist ein Grundbedürfnis. Zurückweisungen oder Ablehnungen tun dagegen weh. Hirnforscher fanden heraus, dass diese Erlebnisse im Gehirn ähnliche Regionen aktivieren wie körperliche Verletzungen. Wenn wir aber für jemanden ein offenes Ohr haben, der etwa frisch verlassen wurde, dann helfen wir ihm, mit seinem Schmerz besser fertig zu werden. Unsere Zuwendung wirkt sich dann wie eine Wundsalbe positiv auf sein Schmerzzentrum aus.
»Die derzeitige Pandemie stellt für viele Menschen eine extreme seelische Belastung dar. Die Zahl der Anrufe, die uns erreichen, ist deutlich gestiegen. Das Telefon klingelt ständig. In den Gesprächen geht es oft um Gefühle von Einsamkeit während des Lockdowns. Menschen rufen bei uns an und sagen: ›Ich merke jetzt so deutlich, was es mit mir macht, so wenige Kontakte zu haben.‹ In vielen Fällen war die Einsamkeit zwar schon vor der Pandemie da, nun wird sie aber gravierender gespürt.
Viele Anrufer äußern auch massive Existenzängste oder haben Sorge, womöglich Angehörige anzustecken. Wir haben 100 ehrenamtliche Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Berufen und Lebenssituationen. Es sind Menschen zwischen 30 und 75, die wir in einer 18-monatigen Ausbildung in seelsorgerliche Gesprächsführung geschult haben. Intensive Vorbereitung ist wichtig, um Menschen in den verschiedensten Notlagen gefühlsmäßig aufzunehmen und gerecht werden zu können.
Häufig ist ein Ohr, das gut zuhört, nicht wertet oder verurteilt, schon alles, was der Anrufer braucht. Es ist beeindruckend zu erleben, dass man durch Zuhören so viel bewirken kann.«
Babette Glöckner, Leiterin der Telefonseelsorge Hamburg