Drei Wege zum Schutz vor Arbovirus-Infektion |
Isabel Weinert |
27.07.2022 16:00 Uhr |
Die asiatische Tigermücke fühlt sich mehr und mehr in immer weiter nördlichen Gefilden wohl. / Foto: CDC/James Gathany
PTA-Forum: Welche Erreger, die wir bislang hierzulande nicht kannten, werden von Stechmücken übertragen?
Schmidt-Chanasit: Am relevantesten sind die Arboviren. Einige dieser Viren werden von einheimischen Stechmücken übertragen. Dazu gehören das West -Nil-Virus, das sich seit 2018 in Deutschland ausbreitet, das Sindbis-Virus und das Batai-Virus. Das Sindbis- und das Batai-Virus haben allerdings bis jetzt keine größere medizinische Relevanz in Deutschland, das West-Nil-Virus hingegen schon. In diese Virus-Familie gehört auch das Usutu-Virus, ein Amselkiller hierzulande, das schon länger in Deutschland zirkuliert.
Diese Viren müssen wir von anderen Arboviren unterscheiden, die durch invasive Stechmücken übertragen werden. Zu diesen Arten, die sich in Deutschland immer weiter ausbreiten, gehört die Asiatische Tigermücke. Sie hat eine besondere Relevanz, weil sie sich vom Südwesten ausgehend immer weiter Richtung Norden ausbreitet und eine ganze Reihe von Arboviren übertragen kann. Die wichtigsten sind das Dengue-Virus, das Chikungunya-Virus und das Zika-Virus. Mit diesen drei Viren haben wir schon Epidemien und Infektions-Cluster in Europa gesehen, bisher aber noch nicht in Deutschland.
PTA-Forum: Wie gelangen die Arboviren in heimische Stechmücken?
Schmidt-Chanasit: Die Hausmücke oder Culex pipiens, war immer schon ein Vektor für das West-Nil-Virus, aber das Virus zirkulierte bisher eher in den Ländern des globalen Südens und hat sich immer weiter Richtung Norden ausgebreitet. Seit dem Jahr 1999 hat es in den USA riesige Ausbrüche hervorgerufen und wurde 2018 das erste Mal bei uns in Deutschland nachgewiesen. Wahrscheinlich hat es den Weg zu uns durch Zugvögel oder infizierte Stechmücken aus unseren Nachbarländern Tschechien und Österreich gefunden, in denen das West-Nil-Virus schon länger zirkuliert.
PTA-Forum: Welche Rolle spielen die ansteigenden Temperaturen im Rahmen des Klimawandels?
Schmidt-Chanasit: Im Jahr 2018 hatten wir einen Hitzesommer, und Temperatur ist ganz entscheidend für Arbovirus-Epidemien. Je wärmer, desto besser können sie sich in den Stechmücken vermehren und kann es zu Ausbrücken kommen, die wir eher im Spätsommer sehen, also im August und September. Wir konnten 2018 aufgrund von Virus-Sequenzanalysen nachvollziehen, woher diese Viren kamen – wahrscheinlich aus Tschechien oder aus Österreich.
PTA-Forum: Wie merkt man, dass man sich mit einem Arbovirus infiziert hat?
Schmidt-Chanasit: Das ist gar nicht so einfach, weil die Infektion keine spezifische, sondern eher eine allgemeine Symptomatik hervorruft. Unwohlsein, Fieber, Hautausschlag, Muskelschmerzen – das kann alles auftreten. Deshalb spielt die Labordiagnostik eine entscheidende Rolle, über die sich die klinische Verdachtsdiagnose bestätigen lässt.
An die Möglichkeit einer Infektion sollte man denken, wenn man gestochen wurde oder in einem Gebiet lebt, in dem bekannt ist, dass das West-Nil-Virus verbreitet ist. Etwa nur 20 Prozent der mit dem West-Nil-Virus Infizierten entwickeln Symptome. Normalerweise ist man nach einer guten Woche wieder genesen, doch ungefähr ein Prozent der Fälle verlaufen sehr schwerwiegend, mit einer neuroinvasiven Form der Erkrankungen, abgekürzt WNND, die mit einer Meningoenzephalitis oder einer Enzephalitis einhergeht.
An einer Infektion mit dem Zika-Virus erkrankt man sehr selten. Hier liegt die größte Gefahr in einer Infektion während der Schwangerschaft, weil das Ungeborene geschädigt werden kann. Die maximale Ausprägung ist die bekannte Mikrozephalie.
Auch eine Infektion mit dem Chikungunya-Virus verläuft in den meisten Fällen asymptomatisch. Der Manifestationsindex der Erkrankung liegt jedoch höher als bei Dengue oder Zika, die Infektion manifestiert sich also deutlich häufiger in einer Erkrankung. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der die Infektion von den anderen unterscheidet: Es können sich langanhaltende Arthralgien entwickeln, also Gelenkbeschwerden und Entzündungen, die die Betroffenen sehr einschränken können und häufiger mit rheumatischen Erkrankungen verwechselt werden. Sie führen dazu, dass die Menschen monatelang nicht arbeitsfähig sind.
Diese langanhaltenden Gelenkbeschwerden treten bei 5 bis 10 Prozent aller Erkrankten auf. Im Regelfall jedoch dauern Gelenkbeschwerden bei der akuten Infektion ein paar Wochen. Das Chikungunya-Virus ist das einzige exotische Arbovirus, das in Europa schon Epidemien hervorgerufen hat: in Italien in den Jahren 2007 und 2017. Das liegt daran, dass die Tigermücke eine hohe Vektorkompetenz für dieses Virus besitzt, überall in Italien vorkommt und das auch in sehr hohen Dichten. In Deutschland haben wir hingegen nur einzelne Nachweise der Tigermücke.
PTA-Forum: Ist man nach einer einmaligen Infektion immun?
Schmidt-Chanasit: Ja, bei fast allen Arboviren, von denen wir sprechen, gibt es nur einen Serotyp. Eine durchgemachte Infektion schützt also lebenslang oder zumindest über viele Jahrzehnte vor einer Reinfektion. Die einzige Ausnahme ist das Dengue-Virus. Hier gibt es vier Serotypen, das heißt, man kann sich theoretisch viermal damit infizieren, aber bisher gibt es keine autochthonen, also in Deutschland erworbenen Fälle, mit dem Dengue-Virus. Die hier bekannten Fälle wurden aus den Ländern des globalen Südens importiert, vor allem aus Thailand.
PTA-Forum: Wenn Hitze auch Dürre bedeutet, sollte dann der geringe Niederschlag nicht dazu führen, dass es weniger Stechmücken und somit weniger Vektoren und damit weniger Infektionen gibt?
Schmidt-Chanasit: Das ist nicht immer so. Die einzelnen Stechmückenarten haben sehr unterschiedliche Lebensräume. Für die Tigermücke spielt die Trockenheit keine große Rolle, also, wenn zum Beispiel ein Fluss austrocknet, denn ihr genügen kleine Wasserreservoirs im Umfeld von Siedlungen. Die höhere Temperatur sorgt für die schnellere Replikation der Viren in der Stechmücke, die intrinsische Inkubationszeit ist verkürzt. Auch der Vermehrungszyklus der Stechmücken geht bei höheren Temperaturen schneller vonstatten und das führt letztlich dazu, dass man verstärkt mit Ausbrüchen konfrontiert ist.
Für andere Arten, zum Beispiel für die Überschwemmungsmücken, führt Trockenheit natürlich zu einer geringeren Anzahl an Mücken.
PTA-Forum: Gibt es Impfstoffe?
Schmidt-Chanasit: Gegen Dengue wurde ein tetravalenter Impfstoff von Sanofi-Pasteur namens Dengvaxia entwickelt, der in der EU zugelassen ist, allerdings nur für die europäischen Überseegebiete. Es gibt aber ein Problem: Es treten Durchbruchsinfektionen auf. Und bei Menschen, die vor der Impfung noch keine Dengue-Virus-Infektion hatten, kann sich daraus auf Grundlage des sogenannten antibody-dependent enhancement-Phänomens (ADE) ein Dengue-hämorrhagisches Fieber ausbilden, mit inneren Blutungen. Das verläuft dann häufiger auch mal tödlich. Leider ist das schon geschehen, etwa auf den Philippinen, wo man 500.000 Schulkinder geimpft hat, ohne vorab zu testen, ob sie schon einmal Dengue hatten. Einige dieser Schulkinder sind daraufhin an Durchbruchsinfektionen verstorben, die hämorrhagisch verlaufen sind.
Das ADE-Phänomen führt dabei dazu, dass Antikörper, die durch die Impfung gebildet wurden, bei der Durchbruchsinfektion diese Infektion verstärken und diese hämorrhagischen Verläufe auftreten können. Das zeigt eben noch einmal mehr, wie wichtig eine gute wissenschaftliche Begründung für solche Impfkampagnen ist, wie wir sie hier in Deutschland dank der STIKO haben.
Ein weiterer Impfstoff von Takeda gegen Dengue ist in der Entwicklung. Wir rechnen mit einer Zulassung in der EU Ende des Jahres. Das könnte der erste Impfstoff sein, der auch für Reisende empfohlen wird.
Für das Chikungunya-Virus existiert kein Impfstoff. Da sind einige Kandidaten in der klinischen Phase zwei, unter anderem solche, die auf dem Masern-Impfvirus basieren, in das man bestimmte Gene des Chikungunya-Virus hineinkloniert hat.
Beim Zika-Virus gab es auch einige Kandidaten, davon hat es bisher aber nur einer in Phase 2 geschafft. Hier rechnet jedoch niemand damit, dass in den nächsten Jahren eine Zulassung erfolgen kann. Denn in einer Phase-3-Studie wäre der Endpunkt ja, eine schwere Schädigung des ungeborenen Kindes zu verhindern, und das ist bei einer Infektion, die nur selten symptomatisch verläuft, sehr schwer durchzuführen.
PTA-Forum: Was bleibt dann als Schutz?
Schmidt-Chanasit: Neben möglichen Impfungen haben wir eine zweite sehr wichtige Möglichkeit, das ist die professionelle Stechmückenbekämpfung mit grünen, innovativen und nachhaltigen Methoden. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema in meinen Forschungsgruppen. Die dritte Maßnahme sind die berühmten vier D: Drain für keine Wasseransammlung; Dress für langärmelige und stichfeste Kleidung; Deet für DEET-haltige Repellentien, denn DEET ist der wirksamste Stoff, der auch über mehrere Stunden Stiche durch Mücken verhindern kann, und schließlich das vierte D: Dusk to Dawn, also nicht bei Dämmerung rausgehen, weil da eben gerade die Hausmücke sehr aktiv ist. Die Tigermücke ist allerdings rund um die Uhr aktiv!
PTA-Forum: Wie ist Ihre Prognose für Deutschland, was die Verbreitung der Arboviren angeht?
Schmidt-Chanasit: Bis auf das West-Nil-Virus gibt es bisher noch keine autochthonen Infektionen, aber die Tigermücke breitet sich immer weiter aus. Das wird man auch nicht aufhalten können, nur verlangsamen. Insofern wird auch das Risiko für autochthone Infektionen mit dem Dengue- oder Chikungunya-Virus in der Zukunft steigen. Allerdings haben wir den Vorteil, dass wir in Deutschland auch in 50 Jahren noch nicht durchgehend im Jahr so hohe Temperaturen haben werden, dass eine ganzjährige Virus-Zirkulation und -Ausbreitung zustande kommt. Die Ausbrüche werden im Spätsommer stattfinden und im Herbst vorbei sein, weil das dann einfach mit niedrigen Temperaturen für die Viren nicht mehr funktioniert. Das ist das wahrscheinliche Szenario.
PTA-Forum: Sind diese Erkrankungen von Mensch zu Mensch übertragbar?
Schmidt-Chanasit: Für das West-Nil-Virus trifft das nicht zu, es braucht immer Vögel als Amplifikationswirte. Dengue-, Zika- und Chikungunya-Viren können hingegen von einem Menschen über die Mücke auf den anderen Menschen übertragen werden.
PTA-Forum: Wirklich gute Nachrichten haben Sie also nicht für uns?
Schmidt-Chanasit: Man muss es immer in Relation zu anderen Gesundheitsgefahren sehen. Wenn man es in einem Satz zusammenfasst, was sich in Deutschland geändert hat: Wenn man jetzt von einer Stechmücke gestochen wird, muss man potenziell davon ausgehen, dass Viren übertragen werden können. Nichts desto trotz ist das bis jetzt etwas, was sehr selten passiert.
»Das Usutu-Virus, hier als Amselkiller-Virus bekannt, kann auch Menschen krankmachen, aber seltener als das West-Nil-Virus, und es spielt bei der Blutspenden-Sicherheit eine Rolle«, sagt Experte Schmidt-Chanasit. Man sollte schon gut aufpassen, wenn man eine verendete Amsel findet und sie wegräumt. »Wie man dabei vorgeht, wird etwa in unserem Totvogel-Surveillance Projekt im Rahmen eines Citizen-Science-Programms beschrieben und auch auf den Seiten des NABU.« Jeder, der einen toten Vogel findet, kann ihn an das Bernhard-Nocht-Institut schicken, wo das Tier auf das West-Nil- und auf das Usutu-Virus untersucht wird. Man sollte auf jeden Fall den direkten Kontakt mit den Vögeln vermeiden. Insofern ist es immer wichtig, sich selber zu schützen, also nur mit Handschuhen und Mundschutz einen toten Vogel zu bergen.