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Androgenetische Alopezie

Durchhalten und dranbleiben

Lichter werdendes Haar, Geheimratsecken, Tonsur – mit zunehmendem Alter leiden viele Männer unter Haarausfall. Auch wenn die Werbung etwas anderes verspricht, nachweislich wirksam sind nur zwei Substanzen. Sichtbare Erfolge – weniger Haarausfall und eine höhere Haardichte – zeigen sich bei der Behandlung allerdings erst nach mehrmonatiger, konsequenter Anwendung.
Kornelija Franzen
19.03.2019  16:16 Uhr

Jeder Mensch besitzt 80.000 bis 120.000 Kopfhaare. Sie werden geschnitten, gewaschen, geföhnt und ­gefärbt – denn Haare bieten weit mehr als Schutz gegen Überhitzung und ­Sonnenbrand. Gesundes, volles Haar symbolisiert Jugend und Attraktivität. Frisur und Farbe sind zudem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Es ist daher nur verständlich, dass eine schwindende Haarpracht am Selbstbewusstsein vieler Betroffener nagt.

Wann genau spricht man eigentlich von Haarausfall (Effluvium)? Per Definition ist ein Verlust von bis zu 100 Haaren pro Tag normal. Alles, was darüber hinausgeht, kennzeichnet Haarausfall. Außerdem befinden sich beim Haarausfall mindestens 80 Prozent der ­Haare in der als Anagenphase bezeichneten Wachstumsphase. Zum Verständnis: Das Haarwachstum unterliegt einem zyklischen Prozess, der in drei aufeinanderfolgende Abschnitte unterteilt wird. Der erste Abschnitt (Anagenphase) ist die aktive Wachstums­periode. Sie dauert etwa zwei bis sechs Jahre. Während dieser Zeit wächst das Haar täglich etwa 0,3 Millimeter.

Zyklus des Haarwachstums

Anschließend schrumpft der haarbildende Follikel – die zweiwöchige Rückbildungsphase (Katagenphase) setzt ein. Das Haar wird dabei von der Nährstoffversorgung abgeschnitten. Es stirbt ab und sitzt fortan nur noch als loses Kolbenhaar in der Kopfhaut. Normalerweise befindet sich nur 1 Prozent aller Kopfhaare in dieser Phase. Zu guter Letzt tritt der Follikel in ein re­generatives Ruhestadium (Telogenphase; maximal 20 Prozent der Haare) ein. Nach zwei bis vier Monaten erwacht der Follikel zu neuem Leben – er startet mit der Produktion eines neuen Haares und der Zyklus beginnt von vorn.

Ursache der androgenetischen Alopezie ist eine anlagebedingte, also genetisch vorherbestimmte, Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber dem männlichen Geschlechtshormon Dihydrotestosteron (DHT). Dabei lässt DHT die Haarfollikel vorzeitig schrumpfen und verschiebt somit das Gleichgewicht in Richtung Katagen- beziehungsweise Telogenphase. Die Haare werden zusehends dünner, bis nur noch ein dünnes Flaumhaar übrig ist oder die Haarbildung komplett ausbleibt. Dieser Vorgang wird auch als Miniaturisierungsprozess des Haarfollikels bezeichnet.

Genetisch festgelegt

DHT wird in verschiedenen Geweben, unter anderem in der Prostata und rund um den Haarfollikel, mithilfe des Enzyms 5α-Reduktase aus Testosteron gebildet. Sowohl die Aktivität der 5α-Reduktase als auch die Dichte der DHT-Hormonrezeptoren auf der Oberfläche der Haarfollikel sind genetisch festgelegt. Mit anderen Worten, ­Personen, die an androgenetischer Alopezie leiden, besitzen entweder eine besonders eifrige Enzymvariante oder überdurchschnittlich viele DHT-Rezeptoren.

Männer mit androgenetischer Alopezie zeigen ein charakteristisches Haarverlustmuster nach dem Hamilton-Norwood-Schema: Zunächst rückt die Stirn-Haar-Grenze immer weiter nach hinten, wobei besonders die Schläfenregion betroffen ist – Geheimratsecken bilden sich. Im weiteren Verlauf dünnt der Scheitelbereich am Hinterkopf aus und lässt eine Tonsur entstehen. Grund für dieses typische Ausfallmuster ist die unterschiedliche Empfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber DHT. Abhängig von der individuellen Veranlagung und dem Alter des Betroffenen können die kahlen Stellen schließlich ineinanderlaufen. Meist bleibt ein Haarkranz übrig, eine Vollglatze ist eher selten.

Die androgenetische Alopezie ist so charakteristisch in ihrem Erscheinungsbild, dass sich eine weiterführende Labordiagnostik erübrigt. Will man jedoch den Grad des Haarausfalls genauer bestimmen oder den Behandlungserfolg einer Therapie dokumentieren, wird häufig ein Tricho(rhizo)gramm erstellt. Hierzu werden 50 bis 100 Haare samt Wurzel gezupft und mikroskopisch untersucht. Auf diese Weise kann der Anteil der Anagen- und Telogenhaare bestimmt werden.

Die europäische Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der androgenetischen Alopezie empfiehlt evidenzbasiert zwei Arzneistoffe: Finasterid und Minoxidil. Die Wirksamkeit beider Substanzen ist vergleichbar. Großangelegte Patientenstudien belegen: Sowohl die mehrmonatige Einnahme von Finasterid als auch die topische Applikation von Minoxidil stoppen den Haarausfall bei 80 bis 90 Prozent der Anwender. Bei jedem Zweiten ist sogar eine Zunahme des Haarwachstums nachweisbar.

Der verschreibungspflichtige Arzneistoff Finasterid ist ein selektiver Hemmstoff der 5α-Reduktase. Das wirkstoffabhängige Absinken des DHT-Spiegels bremst nicht nur den anlagebedingten Haarausfall, sondern auch das Wachstum der Vorsteherdrüse bei benignem Prostatasyndrom (BPS). Während Patienten mit BPS täglich 5 Milligramm Finasterid (zum Beispiel Proscar®) als Einzeldosis einnehmen, genügt bei androgenetischer Alopezie bereits eine Wirkstoffmenge von 1 Milligramm (wie Propecia®, Finapil®, Finasterid Puren®) pro Tag. Trotz guter Behandlungserfolge bei Haarausfall, einige Wermutstropfen gibt es doch: Sichtbare Ergebnisse zeigen sich frühes­tens nach dreimonatiger Einnahme. Außerdem erlischt die haarverdichtende Wirkung mit dem Absetzen der Substanz wieder. PTA und Apotheker sollten beide Punkte klar im Beratungsgespräch kommunizieren. Zu den typischen substanzspezifischen Nebenwirkungen zählen erektile Dysfunktion, Ejakulationsstörungen und eine verminderte Libido. Seit 2018 enthält die Packungsbeilage zudem einen Hinweis auf mögliche therapieinduzierte Stimmungsschwankungen, Depressionen, Suizidgedanken und Angst. Treten derlei Symptome auf, ist die Behandlung umgehend abzubrechen.

Topische Behandlung

Während Minoxidil zur Behandlung der Hypertonie peroral angewendet wird, erfolgt die Applikation bei Haarausfall topisch. Auf welche Weise die Substanz bei Alopezie hilft, ist nicht abschließend geklärt. Minoxidil führt, so viel steht fest, zu einer Entspannung der Endothelzellen und damit zu einem Absinken des Blutdrucks. Diese gefäßerweiternde Wirkung sorgt für eine verbessert Mi­krozirkulation am Haarfollikel, so die allgemein akzeptierte These. Außerdem enthält Minoxidil in seiner Struktur Stickstoffmonoxid (NO), das ebenfalls gefäßerweiternd wirkt. Darüber hinaus scheint Minoxidil die Expression verschiedener Wachstumsfaktoren, darunter die des Vascular Endothelial Growth Factors (VEGF) und des Hepatocyten-Growth Factors (HGF), zu erhöhen.

Zur Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls können betroffene Männer zwischen einer apothekenpflichtigen fünfprozentigen Minoxidil-Lösung beziehungsweise einem Spray (Minoxidil-Bio-H-Tin®, Alopexy® 5 % Minoxidil-Lösung, Regaine® Männer ­Lösung) und einer entsprechenden Schaumzubereitung (Regaine® Männer Schaum) wählen. Auch das NRF enthält eine standardisierte Rezeptur zur Herstellung eines fünfprozentigen Minoxidil-Haarspiritus. Die Wirkung der unterschiedlichen Minoxidil-haltigen Topika ist vergleichbar. Gleichwohl scheinen unerwünschte Hautreak­tionen (Rötungen, Schuppungen, Kontaktdermatitis) bei Anwendung des Propylenglycol-freien Schaums seltener aufzutreten.

Sowohl Lösung als auch Schaum werden zweimal täglich auf die betroffenen Kopfhautregionen aufgetragen und mit den Fingerspitzen leicht einmassiert. Anschließend sind die Hände gründlich zu waschen. Um eine optimale Wirkstoffpenetration in die Kopfhaut zu gewährleisten, dürfen die Haare bis zu vier Stunden nach Applikation nicht gewaschen werden, auch das unmittelbare Föhnen ist tabu. Die Verwendung gängiger Stylingprodukte ist laut Herstellerangaben aber in Ordnung. Sichtbare Erfolge stellen sich nach etwa drei Monaten ein. Auch hier gilt: Die haarwachstumsfördernde Wirkung ist reversibel und erlischt mit dem Absetzen.

Typisch bei der Anwendung topischer Minoxidil-Zubereitungen ist zunächst ein verstärkter Haarausfall, der sich in den ersten Behandlungswochen bemerkbar macht. Dieses als »Shedding« bezeichnetes Phänomen ist keinesfalls ein Anzeichen dafür, dass die Behandlung nicht wirkt. Im Gegenteil: Durch das Wiedererwachen des Follikels wird ein neues Anagenhaar gebildet, so die Erklärung. Das neue Haar schiebt beim Wachsen das alte Kolbenhaar nach außen, sodass es schließlich ausfällt.

Selbstmedikation etabliert

Alfatradiol (17α-Estradiol) ist das Stereoisomer des weiblichen Geschlechtshormons 17β-Estradiol. Es bindet nicht an Hormonrezeptoren und besitzt folglich auch keine estrogen­artige Wirkung. Interessant im Hinblick auf die Therapie des anlagebedingten Haarausfalls ist, dass Alfatradiol zur Gruppe der 5α-Reduktase-Inhibitoren gehört. Obwohl seine Wirkung nicht eindeutig durch Patientenstudien belegt ist, hat sich die Anwendung von Alfatradiol im Bereich der Selbstmedikation bei androgenetischer Alopezie etabliert. Üblicherweise wird es in Form einer 0,025-prozentigen Lösung (wie Ell-Cranell®, Pantostin®) einmal täglich auf die betroffene Kopfhaut appliziert.

Aloe vera, Aminexil, Biotin, Koffein, Extrakte aus Sägepalmfrüchten, Ginkgo­, Grüner Tee, Hirsesamenextrakt, Nikotinsäure, Traubensilberkerze – die Liste an Stoffen, mit vermeintlichem haarwachstumsfördernden Potenzial ist lang. Diskutiert werden etwa 5α-Reduktase-hemmende und DHT-antagonisierende Effekte (Grüner Tee, Sägepalme, Traubensilberkerze) sowie eine Verbesserung der Mikrozirkulation (Aminexil, Koffein, Nikotinsäureester, Ginkgo).

Aufgrund der unzureichenden Daten­lage kann für keinen dieser Kandidaten eine evidenzbasierte Empfehlung ausgesprochen werden. Dennoch müssen Nahrungsergänzungsmittel und Pflegeprodukte (etwa ­Vichy Dercos® Aminexil Clinical 5 Männer­, Amitamin® Hair plus, Rausch® Ginseng Coffein-Shampoo) nicht durchweg abgelehnt werden. Zugegeben, die enthaltenen Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine werden den Haarausfall kaum stoppen können. Dank ihrer Nährstoffversorgung verbessern sie aber die Haarstruktur und -qualität und sorgen so für ein insgesamt schöneres Erscheinungsbild.

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