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Allergie

Ein Fehler im Immunsystem

Allergien können die Lebensqualität von Betroffenen stark beeinträchtigen. Ein gutes Behandlungsschema lindert Symptome und verhindert das Fortschreiten der Erkrankung. Um jedoch die richtige Gewichtung zwischen Allergenkarenz, Medikamenten und spezifischer Immuntherapie finden zu können, ist es notwendig, möglichst viele Informationen über das auslösende Allergen zu haben.
Carina Steyer
18.03.2022  15:00 Uhr

In Deutschland sind fast 20 Prozent der Bevölkerung von einer Allergie betroffen. Das bedeutet, ihr Körper reagiert auf eigentlich harmlose körperfremde Substanzen aus der Umwelt mit einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. Warum das passiert, ist trotz intensiver Forschung bis heute nicht vollständig verstanden. Klar ist: Die Entstehung einer Allergie ist ein multifaktorielles Geschehen, das von der genetischen Veranlagung eines Menschen und umgebenden Umweltfaktoren bestimmt wird. Neben der Entstehung sind diese auch für die Ausprägung, den Schweregrad und den Verlauf der Allergie verantwortlich.

Kinder, deren Eltern Allergiker sind, haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls eine Allergie zu entwickeln. Schätzungen zufolge liegt es bei 20 bis 40 Prozent, wenn ein Elternteil betroffen ist, bei 50 bis 60 Prozent, wenn beide Eltern eine Allergie haben. Reagieren die Eltern auf dieselben Allergene, liegt das Risiko bei 60 bis 80 Prozent. Dennoch beruht die Allergie nicht auf einem einzelnen veränderten Gen. Um die 150 Genvarianten konnten bisher im Zusammenhang mit allergischen Erkrankungen nachgewiesen werden. Zudem scheint auch die Epigenetik, also wie und ob Gene tatsächlich abgelesen werden, bei der Allergieentstehung eine Rolle zu spielen. Epigenetische Strukturen sind durch das Verhalten eines Menschen sowie Umweltfaktoren beeinflussbar und können ebenfalls vererbt werden. Ganz deutlich wird dies, wenn Mütter während der Schwangerschaft rauchen. Sowohl ihre Kinder als auch ihre Enkelkinder haben später ein um bis zu 60 Prozent erhöhtes Allergierisiko.

Damit aus einer genetischen Veranlagung eine Allergie wird, müssen in der Regel weitere Faktoren hinzukommen. So gilt zum Beispiel eine Ernährung mit einem hohen Gehalt an Verdickungsmitteln, Farb- und Konservierungsstoffen als Allergie auslösend. Vermutet wird außerdem, dass eine hohe Feinstaubbelastung und starke emotionale Belastungen die Allergieentwicklung fördern. Zudem wird darüber diskutiert, ob Pflanzen möglicherweise verstärkt und aggressivere Pollen ausbilden, um ihre Fortpflanzung trotz veränderter Umweltbedingungen zu sichern.

Neben allergiefördernden Faktoren sind auch schützende bekannt. So konnten Studien zeigen, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, seltener an Allergien erkranken als Stadtkinder. Wissenschaftler führen dies auf die deutlich größere Anzahl an Erregern zurück, denen man auf einem Bauernhof begegnet. Sie trainieren das Immunsystem und fördern eine optimale Ausreifung des Darmmikrobioms. Ebenfalls schützend wirkt sich das ausschließliche Stillen von Säuglingen in den ersten vier Lebensmonaten aus.

Immunsystem immer beteiligt

Grundsätzlich kann jeder Bestandteil der Umwelt eine Allergie auslösen. Nach Schätzungen des Deutschen Allergie- und Asthmabundes sind etwa 20.000 verschiedene Stoffe bekannt. Trifft einer davon auf das Immunsystem eines allergisch veranlagten Menschen, kommt es zur Sensibilisierung. Diese verläuft beschwerdefrei und unbemerkt. Erst beim folgenden Kontakt erkennt das Immunsystem das Allergen wieder und aktiviert alle verfügbaren Abwehrmechanismen. Es kommt zur allergischen Reaktion.

Neben Allergien sind Intoleranzen und Überempfindlichkeitsreaktionen weit verbreitet. Ihre Symptomatik ist allergischen Reaktionen zum Verwechseln ähnlich, doch es gibt einen entscheidenden Unterschied in der Entstehung: Bei Intoleranzen und Überempfindlichkeiten ist das Immunsystem nicht beteiligt. Sie entstehen durch unspezifische Reizung des betroffenen Organs, oder der Körper bildet zu wenig von bestimmten Enzymen oder Transportproteinen, um zum Beispiel Lactose, Fructose und Histamin abzubauen oder aufzunehmen

Echte Allergien hingegen folgen immer einer typischen immunologischen Reaktion. Diese wurde von den Immunologen Robert Coombs und Philip Gell in vier Formen – Typ I, II, III, IV – unterteilt (siehe Tabelle). Viele verbreitete Allergien wie der allergische Schnupfen oder das allergische Asthma, aber auch der anaphylaktische Schock gehören zum Allergietyp I, dem Sofort-Typ. Sie sind Immunglobulin E (IgE)-Antikörper vermittelt, zusätzlich werden Botenstoffe, allen voran Histamin, freigesetzt. Bei allergischen Kontaktekzemen (Typ IV) mit Rötungen, Blasen- und Schuppenbildung stehen T-Lymphozyten im Mittelpunkt. Im Vergleich zu Typ I und IV sind die Allergietypen II und III selten. Hier kommt es zur Bildung von Immunkomplexen aus Antigenen und Antikörpern. Diese führen zur Zerstörung der Zellen (Typ II) oder zur Freisetzung von gewebe- und zellschädigenden Substanzen (Typ III).

Allergietyp Dauer zwischen Kontakt und Symptomen Beispiele
Typ I – Soforttyp Wenige Sekunden bis Minuten – nach vier bis sechs Stunden kann eine zweite Reaktion auftreten • Allergischer Schnupfen und Asthma durch Pollen, Schimmelpilzsporen oder Staubbestandteile
• Nahrungsmittelallergie
• Arzneimittelallergie
• Nesselsucht
• Insektengiftallergie
• Anaphylaktischer Schock
Typ II – Zytotoxischer Typ sechs bis zwölf Stunden • Transfusionsreaktionen
• Allergische Agranulozytose
• Hämolytische Anämie durch Arzneimittel
Typ III – Immunkomplex-Typ sechs bis zwölf Stunden • Exogen-allergische Alveolitis
• Allergische Vaskulitis (Gefäßentzündung)
Typ IV – Spättyp 12 bis 72 Stunden • Kontaktekzeme
• Arzneimittel-Exanthem
Allergietypen und ihre Eigenschaften

Neben den vier Allergieformen von Coombs und Gell wurden zwei weitere vorgeschlagen. Die granulomatöse Hypersensitivität vom verzögerten Typ (Typ V) und die stimulierende/neutralisierende Hypersensititvität (Typ VI) haben bisher wissenschaftlich jedoch noch keine allgemeine Anerkennung gefunden.

Auf Spurensuche

Allergieauslösern auf die Spur zu kommen und sie eindeutig zu identifizieren, ist nicht einfach. Allergologen sind auf möglichst genaue Informationen zum Auftreten von Beschwerden und Hinweise zu möglichen Zusammenhängen angewiesen. Oft sind auch Symptomverläufe oder Symptome, die bereits vor Jahren aufgetreten sind, sowie Allergien bei nahen Verwandten von Interesse. Um möglichst viele Angaben beim Arztbesuch parat zu haben, können sich Patienten gezielt vorbereiten. Der Allergieinformationsdienst stellt zum Beispiel Vordrucke für Checklisten und Tagebücher zur Verfügung, die Medizinische Universität Wien bietet in Kooperation mit internationalen Pollenwarndiensten ein Online-Pollentagebuch an, in dem Beschwerden mit der täglichen Pollenbelastung verglichen werden können (siehe Kasten).

Sind der Allergietyp und mögliche Allergene eingegrenzt, geht es ans Testen. Der Arzt startet meist mit einem Hauttest. Der Pricktest eignet sich für die Abklärung von Soforttyp-Allergien. Dafür werden kleine Tropfen von Allergenlösungen auf den Unterarm oder Rücken aufgetragen und mit einer Nadel durch den Tropfen in die Haut gestochen. Das Ergebnis ist bereits nach 15 bis 20 Minuten ablesbar. Bilden sich um die Einstichstelle eine juckende Quaddel und eine Rötung aus, reagiert die Testperson auf das Allergen. Die Größe der Quaddel entspricht dabei dem Ausmaß der Allergiebereitschaft. Ab 3 mm Durchmesser sprechen Allergologen von einer Sensibilisierung. Eine Allergie liegt jedoch erst vor, wenn unabhängig vom Test allergische Beschwerden bestehen.

Besteht der Verdacht auf eine Kontaktallergie (Spättyp-Allergie), ist ein Epikutantest das Mittel der Wahl. Hier sind die Testsubstanzen in ein Pflaster eingelassen, das auf den Rücken des Patienten geklebt wird. Da Kontaktallergien besonders häufig im beruflichen Kontext auftreten, werden neben Testreihen mit häufigen Allergenen speziell abgestimmte Testreihen zum Beispiel mit gängigen Stoffen aus dem Baugewerbe, dem medizinischen Bereich oder dem Friseurhandwerk aufgeklebt. Diese werden von der Deutschen Kontaktallergie-Gruppe (DKG) in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) festgelegt und regelmäßig adaptiert.

Bis sich bei Spättyp-Allergien Symptome zeigen, können bis zu 72 Stunden, manchmal auch mehr vergehen. Epikutantests werden deshalb in zwei Schritten ausgewertet. Bei Abnahme der Pflaster, ein bis zwei Tage nach dem Aufkleben, wird ein Zwischenergebnis vermerkt. Weitere ein bis zwei Tage später erfolgt die Endablesung. Noch länger dauert es beim Photo-Patch-Test. Hierbei handelt es sich um eine Sonderform des Epikutantests, mit der Kontaktallergien abgeklärt werden, die durch die Einwirkung von UV-Licht entstehen. Eine erste Ablesung erfolgt nach zwei bis fünf Tagen, eine zweite findet nach weiteren sieben Tagen statt.

Für die Abklärung von Soforttyp-Reaktionen steht Allergologen ein weiteres Diagnosemittel zur Verfügung: die Bestimmung der Gesamtmenge an IgE und die Menge an IgE-Antikörpern, gegen die verdächtigten Allergene beziehungsweise Allergenkomponenten. In der Diagnostik dient der Bluttest der Bestätigung oder Ergänzung des Pricktests, kann den Hauttest aber auch ersetzen, wenn dieser nicht durchführbar ist. Das Ergebnis ist ähnlich zu deuten wie das des Hauttests: Ein positiver Nachweis zeigt eine Sensibilisierung an, eine Allergie ergibt sich erst aus dem Auftreten entsprechender Symptome.

Auch für die Therapie von Allergien haben Bluttests eine wichtige Bedeutung. Sie ermöglichen es, eine Allergie von einer Kreuzreaktion zu unterscheiden, die Allergenvermeidung zu spezifizieren und das Risiko für eine anaphylaktische Reaktion abzuschätzen. Zudem kann bereits im Vorhinein geklärt werden, ob eine spezifische Immuntherapie (SIT) in Frage kommt und mit einer gezielteren Zusammensetzung der Allergenextrakte der Therapieerfolg erhöht werden.

Fallen Haut- und Bluttests ergebnislos oder nicht eindeutig aus, kann ein Provokationstest Klärung bringen. Er ist durchführbar bei Atemwegs-, Nahrungsmittel- und Medikamentenallergien vom Soforttyp und kann helfen, nicht-allergische Überempfindlichkeitsreaktionen von einer Allergie abzugrenzen. Provokationstests werden häufig mit Inhalationsallergenen an der Nasenschleimhaut oder der Bindehaut durchgeführt. Bei Nahrungsmittelallergien ist zunächst das Einhalten einer strengen Diät mit Allergenkarenz notwendig, um anschließend eine gezielte Provokation unter klinischer Kontrolle vornehmen zu können. Eine Insektenstich-Provokation wird ausschließlich im Rahmen einer SIT zur Erfolgskontrolle durchgeführt.

Drei-Komponenten-Therapie

Die Behandlung von Allergien setzt sich grundsätzlich aus drei Komponenten zusammen: Allergenvermeidung, medikamentöse Behandlung und SIT. Das Vermeiden oder Reduzieren des Allergenkontakts ist zwar die einfachste Behandlungsform, doch nicht immer möglich. Während Nahrungsmittelallergiker ihren Speiseplan durch die verpflichtende Allergenkennzeichnung meist gut kontrollieren können, sind Pollen ubiquitär vorhanden. Pollenallergikern wird dennoch geraten, die Pollenflugzeiten bei der Planung von Aktivitäten im Freien und Urlauben zu berücksichtigen. Der Deutsche Wetterdienst gibt hierzu täglich eine Pollenflugvorhersage heraus.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Apps, die eingesetzt werden können. Ein Beispiel ist die Pollen-App des Pollenwarndienstes der Medizinischen Universität Wien. Sie ermöglicht eine personalisierte Belastungsvorhersage und liefert ein stündliches Allergierisiko. Durch die Kooperation mit internationalen Partnern wie der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst ist die App auch in Deutschland, Schweden, Spanien, Großbritannien, Südtirol sowie der Schweiz anwendbar.

Gerade bei Pollen, aber auch bei Tierhaaren oder Hausstaubmilben ist ergänzend eine medikamentöse Behandlung sinnvoll. Diese lindert beziehungsweise beseitigt akute Symptome und verhindert, dass sich die Allergie weiter verschlechtert. Heute stehen gut verträgliche Arzneimittel zur Verfügung, die an unterschiedlichen Stellen in den Ablauf einer allergischen Reaktion eingreifen (siehe Tabelle).

Arzneimittelgruppe (Beispiele) Wirkung Einsatz bei (Beispiele)
Abschwellende Nasensprays und -tropfen (Xylometazolin) Verengung der erweiterten Blutgefäße der Nasenschleimhaut, abschwellend allergischem Schnupfen
Anticholinergika (Ipratropium, Tiotropium) Erweiterung der Bronchien und Hemmung der Sekretbildung in den Atemwegsschleimhäuten allergischem Asthma (2. Wahl)
H1-Antihistaminika (Cetirizin, Loratadin) Blockade von Histamin-Rezeptoren allergischer Rhinitis insbesondere Heuschnupfen, Hausstaubmilben- und Tierhaarallergie, Nesselsucht, allergisch bedingter Haut- und Schleimhautschwellung, Medikamentenallergie vom Soforttyp, Anaphylaxie
Antikörper (Dupilumab, Omalizumab) Gezielte Blockade bestimmter Immunreaktionen allergischem Asthma, Neurodermitis
Beta-2-Sympathomimetika (Salbutamol, Salmeterol) Erweiterung der verengten Bronchien durch Entspannung der glatten Muskulatur in der Bronchialwand, Verbesserung des Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien, Verminderung der Freisetzung von Bronchien-verengenden Botenstoffen allergischem Asthma
Calcineurin-Hemmer (Pimecrolimus, Tacrolimus) Immunsuppressiv Neurodermitis
Glucocorticoide (Betamethason, Mometason) Entzündungshemmend und immunsuppressiv Neurodermitis, Kontaktekzem, allergischer Rhinitis, Hausstaubmilbenallergie, allergischer Bindehautentzündung und allergischem Asthma
Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten (Montelukast) Durch Hemmung der Leukotrien-Wirkung (entzündungsfördernde Botenstoffe) werden die Verengung der Bronchien, die übermäßige Sekretbildung und Reizbarkeit verringert allergischem Asthma
Mastzellstabilisatoren (Cromoglicinsäure) Hemmt Chloridkanäle in aktivierten Mastzellen und blockiert so damit die Freisetzung von Histamin, vorbeugende Wirkung allergischem Schnupfen, allergischer Bindehautentzündung, allergischem Asthma und Nahrungsmittelallergien
Wirkung und Einsatz von Arzneimitteln bei Allergien

Auf die Ursache der Allergie zielt die SIT ab. Hier wird das Immunsystem in regelmäßigen Abständen mit einer zunächst sehr geringen Dosis des Allergens gezielt in Berührung gebracht. Die Allergene können subkutan injiziert (SCIT) oder als Tablette oder Lösung eingenommen werden (SLIT, sublinguale Immuntherapie). Zu Beginn ist die Allergenmenge so niedrig, dass keine typische allergische Reaktion ausgelöst wird. Es kommt zu einer Aktivierung von spezifischen Bestandteilen des Immunsystems, die eine weitere Verstärkung der durch die Allergene ausgelösten Immunreaktion blockieren. Die Entzündungsreaktion im Gewebe wird dadurch abgeschwächt. In definierten zeitlichen Abständen wird nun die Allergenmenge gesteigert bis eine Erhaltungsdosis erreicht ist.

Welchen Stellenwert die SIT im Behandlungsschema einnimmt, hängt von der Art der Allergene ab. So ist ihre Wirksamkeit für den allergischen Schnupfen bei Pollen- oder Hausstaubmilbenallergie sowie bei Allergien gegen Bienen- und Wespengifte gut belegt. Gute Erfahrungen gibt es auch zur Behandlung der Erdnussallergie bei Kindern und Jugendlichen. Beim allergischen Schnupfen lässt sich zudem das Risiko für einen Etagenwechsel senken und Neusensibilisierungen verhindern. Dabei gilt, je länger die Therapie durchgeführt wird, umso besser ist der Therapieerfolg. Im Durchschnitt müssen Patienten mit einer Therapiedauer von drei Jahren rechnen. Bei Insektengiftallergikern wird der Therapieerfolg zur Sicherheit nach einem Jahr mit einem Provokationstest kontrolliert. Für viele andere Allergene ist die Studienlage weniger eindeutig. Bei einer Tierhaarallergie zum Beispiel wird ganz von einer SIT abgeraten. Hier ist die Allergenvermeidung gut umsetzbar und hat deshalb die größte Bedeutung im Behandlungsschema.

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