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Saures dem Süßen!

Ein Leben ohne Zucker

Ohne Zucker leben? Für viele Menschen unvorstellbar und zudem scheinbar unerreichbar. Denn nicht nur, wenn Kunden Kekse schenken und sich die Süßschublade in der Apotheke und zu Hause immer wieder wie von Geisterhand füllt, ist es alles andere als einfach, nein zu sagen zur süßen Verführung. Wie kann der Ausstieg gelingen?
Isabel Weinert
14.03.2023  08:30 Uhr

In Deutschland isst jeder Mensch im Durchschnitt zwischen 32 und 33 kg Zucker pro Jahr. Pro Tag macht das knapp 90 g. Das entspricht einer ganzen Tafel Schokolade plus noch einmal einer drittel Tafel und damit beim Beispiel Schokolade 720 Kilokalorien. Äße man 90 g Haushaltszucker pur, hätte man auf einen Schlag 400 Kilokalorien intus – und das ohne auch nur einen Hauch von gesundheitlichem Wert, im Gegenteil.

Zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke sowie Zucker pur treiben den Blutzuckerspiegel in die Höhe. Was erst einen schnellen Energiekick verspricht, führt schon kurze Zeit später bei vielen Menschen zur Ermattung. Denn die Bauchspeicheldrüse schickt eine große Menge Insulin in die Blutbahn, um den Blutzucker möglichst schnell in die Zellen zu schleusen und damit die Zuckerkonzentration im Blut wieder herunterzufahren. Das beansprucht auf Dauer nicht nur die Bauchspeicheldrüse über Gebühr, sondern sorgt neben einem Leistungsknick oft genug auch für Hunger. Denn sinkt der Blutzucker schnell, schlägt das Gehirn Alarm, weil es nur mit Zucker überleben kann. Ein Alarm, der sich in Hunger bis hin zu Heißhunger äußert.

Damit steigt die Gefahr, sich zu überessen und immer mehr an Gewicht zuzulegen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Zuckerhaltiges meist auch enorm viel Fett enthält. Daneben wissen Forscher mittlerweile um einen weiteren Effekt: Zucker füttert die falschen Mikroben in der Darmflora. Es gedeihen diejenigen Vertreter besonders gut, die Adipositas und das metabolische Syndrom fördern, während die Arten, die für die schlanke Linie stehen, in ihrem Wachstum eingedämmt werden.

Den geballten Negativeffekten von Zucker, die eigentlich daran hindern sollten, zu viel davon zu konsumieren, stehen zwei Faktoren gegenüber, die den Konsum am Laufen halten: die emotionale Seite des Menschen im Zusammenhang mit Essen und die Süßwarenindustrie, deren Interesse daran, gezuckerte Nahrungsmittel zurückzufahren, gering ist. Entsprechende Werbung tut ihr Übriges, um die Lust auf Süß immer auf einem hohen Level zu halten. Denn so klar wie PTA und Apotheker als medizinisch gebildete Menschen Werbeaussagen als falsch erkennen, so unklar ist das vielen Apothekenkunden. Sie glauben mitunter, was als gesund angezeigt wird, obgleich es in Wahrheit einfach schädlich ist. Hier können und sollten PTA immer wieder aufklären.

Die Zukunft ausmalen

Wiegen die Süßkilos immer schwerer auf den Hüften, kommen gesundheitliche Probleme mit dem Blutzucker, den Blutfetten, den Gelenken, der Leber oder mit Herz und Kreislauf hinzu, steigt bei einigen Menschen die Motivation, sich aus dem süßen Leben zu verabschieden. Doch die Gesundheit ist nicht der einzige Grund, auf Zucker verzichten zu wollen. Wer es sich vornimmt, erhofft sich vom gleichmäßigen Blutzuckerspiegel einen besseren Schlaf, mehr Energie am Tag und eine bessere Stimmung. Zu Beginn ist es hilfreich, sich die eigenen Motive möglichst genau klarzumachen und sich so bildhaft wie möglich vorzustellen, wie sich das Leben anfühlt, wenn der Süßkonsum überwunden ist.

Das Naschen aus emotionalen Gründen ist ein besonderer Knackpunkt, wenn Menschen sich den Zuckerkonsum abgewöhnen wollen. Denn wer kennt es nicht, besonders dann automatisch zu Süßem zu greifen, wenn Stress, Langeweile oder Frust gerade besonders präsent sind. Dann spricht man von »Emotional eating«, das sich schnell zur Gewohnheit ausprägt, und am Ende des Tages kann man gar nicht mehr so genau sagen, wie viele Stückchen Schokolade, Gummibärchen und Ähnliches den Weg in den eigenen Magen gefunden haben. Da hilft zunächst eine, wenn auch lästige Bestandsaufnahme in Form eines Ernährungstagebuchs, in das über zwei bis vier Wochen wirklich dezidiert eingetragen wird, was alles von der Hand in den Mund gewandert ist. Hier notiert man am besten auch immer, in welcher Situation genascht wurde und wie man sich dabei gerade gefühlt hat. Das schafft am Ende einen sehr guten Überblick, auch über die Ursachen für das emotionale Essen.

Besser kleine Schritte gehen

Wer schließlich ernsthaft den Entschluss gefasst hat, dem Zucker abzuschwören, hat zwei Möglichkeiten: So gibt es Menschen, die von heute auf morgen auf jegliche Süßigkeit verzichten. Sie haben sich für die »Alles oder Nichts«-Methode entschieden, die jedoch aufgrund der Absolutheit die Gefahr eines Rückfalls vergrößert. Denn gerade, wer zuvor täglich Süßes in größeren Mengen konsumiert hat, spürt den Zuckerentzug in der ersten Zeit, kann sich müde fühlen, schlechterer Stimmung sein und regelrecht Heißhunger auf den gewohnten Zuckerschub entwickeln. Dann hat Selbstdisziplin schnell ihre Grenzen, da reicht schon eine abendliche Müdigkeit oder ein besonders anstrengender Tag.

Deshalb empfehlen einige Psychologen, sich den Konsum eher in kleinen Schritten abzugewöhnen. Die Psychologin Miriam Junge spricht in ihrem Buch »Kleine Schritte mit großer Wirkung« von sogenannten »micro habits« und meint damit kleinste Veränderungen in Gewohnheiten, die in ihrer Summe schließlich zum angestrebten Ziel führen. So beginnt man zum Beispiel damit, weniger Süßigkeiten einzukaufen oder für den Kauf von Süßem nur bestimmte Wochentage auszuwählen. Zu Hause lassen sich neue Verknüpfungen wählen, etwa die, den Genuss von Süßem mit etwas Gesundem zu verknüpfen, wie etwa, immer zu Süßem auch eine Tasse Tee zu trinken. Das erhöht die Schwelle, automatisiert zu Süßigkeiten zu greifen und schafft mehr Bewusstheit. Ebenso ein kleiner Schritt: abends eine Stunde vor dem Schlafengehen auf Süßes zu verzichten. Diese kleinen, gezielten Maßnahmen helfen, die Selbstdisziplin nicht zu überfordern und dennoch positive Effekte durch das Weglassen zu erreichen.

Wichtig ist auch die Überlegung, was man gewinnt. Wahrscheinlich ist es, dass Pfunde weichen, alleine nur dadurch, dass Süßes wegfällt. Wahrscheinlich ist auch, dass man sich in Summe wohler fühlt, weil ein gleichmäßiger Blutzuckerspiegel auch in der Stimmung für mehr Ausgeglichenheit sorgen könnte und weil das »Nein« zu Gezuckertem die Selbstwirksamkeit stärkt.

Neue Genusswelten

Das Leben mit immer weniger Zucker eröffnet auch die große Chance, eine ganz neue Sicht auf die eigene Ernährung zu gewinnen. Denn ein zuckerfreies Leben bedeutet automatisch auch ein Leben ohne Fertigprodukte. In einer Vielzahl davon stecken nämlich Zucker verschiedenster Art (siehe Kasten »Was alles Zucker ist«), auch dort, wo es niemand erwarten würde. Bekannte Beispiele sind Ketchup und Gewürzgurken, aber sogar Leberwurst enthält Zucker, ebenso wie Fertigpizza oder Chips. Um diesen Fallen ein für alle Mal zu entkommen, bleibt nur eines: möglichst aus frischen Zutaten selbst kochen und wenn mal ein Fertigprodukt dabei ist, stets und immer vorab die Inhaltsstoffe durchschauen.

Ein bisschen Arbeit bedeutet das schon, auch eine Umstellung eigener Gewohnheiten. Doch sich damit zu beschäftigen, was den Körper im besten Sinne nährt und ihm guttut, kann neue Ernährungswelten eröffnen, in denen die Geschmacksrichtung »Süß« einfach keine Rolle mehr spielt. Soziale Medien sind voll mit gesunden, einfachen und schnell zubereiteten Rezeptideen. Allerdings sollte man auch hier genau schauen. Denn es gibt einen großen Trend hin zu Zuckerersatzstoffen und allerlei eiweißreichen Pulvern, die dem Essen beigemischt werden sollen.

Doch bringt ihr Einsatz tatsächlich einen Mehrwert? Bei den Zuckeraustauschstoffen fehlen bislang Studien, die klar belegen könnten, dass die eingesetzten Substanzen einen gesundheitlichen Vorteil gegenüber herkömmlichem Zucker brächten. In einer Metaanalyse über 56 Studien lässt sich zum Beispiel eine Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Kindern und Erwachsenen durch den Ersatz von Zucker nicht eindeutig belegen. Auf der anderen Seite fehlen ebenfalls klare Beweise dafür, dass Zuckeraustauschstoffe nicht schädlich sind. Hier plädieren Wissenschaftler für weitere Studien. Viele »moderne« Süßungsmittel bringen zwar etwas weniger oder gar keine Kalorien ins Essen, allerdings handelt es sich oft um chemisch stark verarbeitete Stoffe, und auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit scheitern einige Zuckeralternativen.

So nennt die Verbraucherzentrale Birkenzucker, also Xylit, sowie Erythrit und Steviolglykoside als hoch verarbeitete Zusatzstoffe. Infolge langer Transportwege belasten Alternativen wie Kokosblütenzucker, Rote-Bananen-Pulver und verschiedene Sirupe die Umwelt. Gemeinsam haben die meisten Zuckeralternativen ihren höheren Preis, verglichen mit Haushaltszucker, bei einem Fehlen nennenswerter Vorteile. Wer Alternativen einsetzen möchte, wählt am besten regionale Sirupe und Dicksäfte.

Honig dient auch nicht etwa als zucker- und nennenswert kalorienärmerer Ersatz, bestehen immerhin 82 g in 100 g Honig aus Zucker. Und auch die viel gepriesenen wertvollen Inhaltsstoffe mancher Zuckeralternative sind in derart geringen Mengen darin enthalten, dass man vom Produkt sehr große Mengen essen müsste, um einen gesundheitlichen Wert daraus zu ziehen. Wer also tatsächlich auf Zucker verzichten möchte, dem ist auch mit Zuckeralternativen nicht gedient. Bei Süßstoffen stellt sich die Frage, ob sie denjenigen, die ernsthaft auf Zucker verzichten möchten, tatsächlich nutzen. Die Datenlage zu den Effekten von Süßstoffen außerhalb ihrer Süßkraft ist nicht einheitlich. 

Zucker steckt natürlich auch in Obst. Dennoch sollte man auf Obst nicht verzichten, weil es so viele gesunde Substanzen enthält. Allerdings sollte der Konsum auch nicht zu hoch liegen; Obst sollte also nicht die neue Süßigkeit werden. Hier fährt gut, wer sich an die altbekannte Ernährungsregel »5 am Tag« hält, also täglich drei Hände Gemüse und zwei Hände Obst zu sich nimmt.

Kein Projekt der Politik

Weil der Trend, weniger Zucker zu konsumieren, in Teilen der Gesellschaft schon länger anhält, haben einige Hersteller zuckerreduzierte Produkte auf den Markt gebracht. Da enthält das Müsli dann etwa 20 Prozent weniger Zucker. Wer genau hinschaut, erkennt jedoch schnell, dass es auch dann noch mehr Zucker enthält als nötig. Einhalt wollen viele Experten dem hohen Zuckerzusatz in fertigen Lebensmitteln und dem Zuckerkonsum mit einer Zuckersteuer bieten. Produkte mit viel Zucker werden dadurch teurer und somit weniger gekauft, die Industrie wiederum muss dann mit geringeren Zuckerzusätzen reagieren. Mehr als 40 Länder haben eine solche Zuckersteuer bereits. Allerdings liegt sie meist so niedrig, dass der gewünschte Effekt eines geringeren Konsums nicht so ausfällt wie gewünscht.

In Deutschland unternimmt die Politik keine Anstrengungen, zuckerhaltige Lebensmittel höher zu besteuern. Dabei gibt es positive Beispiele, ein Beispiel ist Großbritannien. Seit dem Jahr 2018 werden dort Getränke mit mehr als fünf g Zucker pro 100 ml mit einer Abgabe von 18 Pence (etwa 20 Cent) pro Liter belegt. Auf Softdrinks mit mehr als acht g Zucker pro 100 ml fallen 24 Pence, also circa 28 Cent, pro Liter Steuern an. Durch diese Maßnahmen ging der Konsum von Zucker über damit gesüßte Getränke um ein Drittel zurück; Hersteller mengten ihren Produkten zudem weniger Zucker bei. Ob das ausreicht, um das Bewusstsein von Menschen für zu viel Zucker zu schärfen, ist nicht sicher. Klar ist jedoch, dass der Konsum gezuckerter Lebensmittel am besten schon im Kindesalter gering gehalten werden sollte, damit die Geschmackssensibilität für zu viel Süß am Gaumen möglichst erhalten bleibt und sich Süßwaren gar nicht erst als Seelentröster etablieren können.

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