Erst Wärme, dann Tropfen |
Das Trockene Auge ist zur Volkskrankheit geworden: Zwischen 15 bis 17 Prozent aller Deutschen leiden laut Ophthalmologen unter dem Sicca-Syndrom. / Foto: Fotolia/Jürgen Fälchle
Rein schematisch betrachtet, besteht der Tränenfilm aus drei Schichten. Zwischen der dünnen, nach außen liegenden Lipidschicht und einer der Bindehaut aufliegenden, gleichfalls dünnen Schleim- oder Mucinphase sitzt die wässrige Schicht. Sie macht mengenmäßig mit 98 Prozent den größten Anteil aus (siehe Grafik). Ist nur eine einzige der Komponenten vermindert oder fehlerhaft zusammengesetzt, machen sich Sicca-Symptome bemerkbar.
Für schmerzhafte Augenblicke sorgen entweder wässrige Sekretionsstörungen, bei denen ein tatsächlicher Tränenmangel vorliegt, weil die wässrige Schicht vermindert oder fehlerhaft von den Tränendrüsen produziert wird. Zum anderen kann die Tränenflüssigkeit aber auch zu schnell verdunsten. Dann spricht man von einer Hyper-Evaporation. Diese verstärkte Verdunstung aufgrund einer gestörten Lipidschicht ist viel häufiger als die wässrige Sekretionsstörung, schreiben die Autoren der Leitlinie »Trockenes Auge« der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands.
Der Tränenfilm besteht aus drei Schichten: Der Bindehaut liegen Schleimstoffe auf. Darauf folgt die wässrige Schicht. Sie wird von einem dünnen Lipidfilm abgedeckt, der die wässrige Phase vor Verdunstung schützt. / Foto: PZ Grafik
Wesentliche Ursache der Hyper-Evaporation ist die Meibomdrüsen-Dysfunktion (MDD), eine chronische, nicht entzündliche Fehlfunktion der Meibomdrüsen. Diese Drüsen, deren Ausführungsgänge parallel zur inneren Lidkante sitzen, produzieren die äußere fetthaltige Tränenschicht. Bei jedem Lidschlag werden Lipide über die Drüsen auf den Lidrand abgegeben, von wo sie auf den Tränenfilm gelangen und die Lipidschicht bilden. Deren Hauptaufgabe besteht darin, die Verdunstung der Tränenflüssigkeit zu verhindern. Zudem stabilisiert sie den gesamten Tränenfilm und sorgt dafür, dass die Tränen nicht über die Lidkante ablaufen.
Beschwerden dieser Form des Trockenen Auges äußern sich anfangs in einem paradoxen verstärkten Tränenfluss und brennenden Augen. Brennen die Augen stark, ist meist eine Lipidstörung im Rahmen einer MDD der Grund für das Sicca-Syndrom. Ein Fremdkörpergefühl ist dagegen eher ein Indiz für eine wässrige Sekretionsstörung. Und auch bei der Therapie mit dem Tränenersatz gibt es wichtige Unterschiede.
Warme Wattepads machen das Fett geschmeidiger, sodass es leichter aus den Meibomdrüsen kommt und besser über die Augenoberfläche spreitet. / Foto: Adobe Stock/Kaesler Media
In jedem Fall müssen künstliche Tränen substituiert werden. Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie der Hyper-Evaporation ist aber die Vorbehandlung. Die Basistherapie besteht aus der Zufuhr von Wärme und einer Reinigung der Lidränder. Dazu legen sich Betroffene morgens und abends etwa 40 °C warme Kompressen – in warmes Wasser getauchte Wattepads – für etwa fünf Minuten auf das geschlossene Auge. Die Wärme macht das Fett geschmeidiger, sodass es leichter aus den Drüsen herauskommt. Dann wird mit einem Wattestäbchen unter sanftem Druck senkrecht zur Lidkante, in Wimpernrichtung, das Ober- und Unterlid massiert, um das erwärmte Fett aus den Drüsen zu drücken. Schuppen zwischen den Wimpern entfernen. Erst dann sind mehrmals täglich Tränenersatzmittel einzutropfen.
Anstatt der warmen Kompressen können sich Patienten auch mit einer speziellen Wärmebrille (Blephasteam®) behelfen. In diese Brille werden Feuchtelemente eingesetzt, sodass dadurch konstant feuchte Wärme auf das Auge abgegeben wird. Danach lässt sich das Fett leichter aus den Drüsen herausdrücken.
Viele Patienten vermuten hinter ihren Beschwerden zunächst eine vorübergehende Bindehautentzündung. In der Apotheke werden dann häufig α-Sympathomimetika wie Tetryzolin oder Tramazolin abgegeben. Diese beseitigen die Rötung und die Schwellung, indem sie die feinen Gefäße der Bindehaut verengen. Rührt die Rötung aber von einem Trockenen Auge her, dann unterhalten die Vasokonstringenzien die Beschwerden anstatt sie zu bessern.
Warum? Der Tränenfilm ist dazu da, die Hornhaut, die keine eigenen Blutgefäße hat, mit Sauerstoff zu versorgen. Wenn der Tränenfilm dieser Aufgabe nun nicht mehr ausreichend nachkommen kann, versucht der Körper, durch Erweiterung der Gefäße der Bindehaut den Sauerstoff durch dieses Notprogramm an die Hornhaut heranzuführen. Verengen dann α-Sympathomimetika diese Gefäße, potenzieren sich die Beschwerden.
Tränenersatzmittel sollten PTA und Apotheker ihren Patienten nicht längerfristig abgeben, ohne dass diese die Diagnose Trockenes Auge vom Arzt abgeklärt haben. Nur dieser kann feststellen, ob eine MDD oder eine wässrige Sekretionsstörung vorliegt oder ob eine Grunderkrankung die Beschwerden befeuert (siehe Kasten »Augen im Zentrum«).
Nicht zuletzt ist der Arztbesuch auch deshalb notwendig, weil sich aus der vermeintlich harmlosen Erkrankung des Trockenen Auges unbehandelt Binde- und Hornhautentzündungen entwickeln könnten. Im fortgeschrittenen Stadium können sich gar Ulcera oder Narben auf der Hornhaut bilden, was die Sehfähigkeit immens beeinträchtigt.
Verschiedene Grunderkrankungen und ihre Behandlung könnten sich negativ auf die Tränenflüssigkeit auswirken:
Tränenersatzmittel enthalten Polymere, die auf dem Auge mehr oder weniger lange haften und den wässrigen Anteil des Tränenfilms steigern. Sie verringern die Tränenfilmosmolarität und reduzieren die Scherkräfte beim Blinzeln. Das allein dämpft den mechanisch bedingten Entzündungsschub und sorgt für Entspannung. Je nach Polymerisationsgrad unterscheiden sie sich in ihrer Viskosität.
Niedrigvisköse Tränenersatzmittel enthalten zum Beispiel synthetische Polymere wie Polyvinylpyrrolidon (PVP) oder Polyvinylalkohole (PVA). Diese wässrigen Polymerlösungen (wie Liquifilm®, Vidisept®, Oculotect® fluid/sine PVD®) sind eher etwas für leichtere Beschwerden.
Künstliche Tränen enthalten Polymere, die auf dem Auge mehr oder weniger lange haften und den wässrigen Anteil des Tränenfilms steigern. / Foto: Shutterstock/goodluz
Höher visköse Filmbildner wie das Cellulosederivat Hypromellose (wie Berberil® DryEye, Sic-Ophthal®) oder Natriumcarboxymethylcellulose (wie Optive®) sowie Polyacrylsäuren/Carbomere (wie Lac®-Ophthal® Gel) schmieren besser und sind für ausgeprägtere Beschwerden gedacht.
Bestehen bereits Epithelveränderungen, sind Gele zu empfehlen, so etwa mit höher visköser Hyaluronsäure (wie Hylo-Comod®, Biolan® Gel, Artelac® Rebalance). Auch Ophthalmika mit Dexpanthenol oder Vitamin A (wie Oculotect® Gel) tragen zur Regeneration bei. Studien haben gezeigt, dass sich die Augenoberfläche unter einer Hyaluronsäure-Therapie verbessert. Carbomere und Hyaluronsäure bilden pseudoplastische Sole und plastische Gele, die gegenüber dem Cornealepithel mukoadhäsive Eigenschaften ausbilden. Die Carboxylgruppen dieser Polymere scheinen dabei Wasserstoffbrücken mit den Hyroxylgruppen der Corneamucine einzugehen. Das hält die Substanzen länger auf der Augenoberfläche. Die Hyaluronsäure kann man genauso wie Cellulosederivate in ihrer Viskosität variieren.
Im Gegensatz zu den mehrmals täglich einzuträufelnden wässrigen Präparaten muss man visköse Gele oder Salben sehr viel seltener anwenden. Durch eine verbesserte Bioadhäsion an der Augenoberfläche haben sie eine längere Verweildauer. Allerdings bilden sich nach der Applikation Schlieren. Deshalb gegebenenfalls solche Zubereitungen vor dem Mittagsschlaf oder vor der Nachtruhe anwenden.
Anwendungsfreundlicher zeigen sich wässrige Präparate, die durch eine spezielle Galenik erst im Auge zähflüssig werden (wie Systane® Balance, -Ultra). Die Tropfen enthalten viskositätserhöhende Zusätze aus natürlichen Rohstoffen wie Polysaccharide wie das aus Guar-Gummi gewonnene Hydroxypropylguar. In Verbindung mit der Tränenflüssigkeit und dem ebenfalls enthaltenen Propylenglykol bildet es auf der Augenoberfläche ein Mucin-artiges Gel aus, und zwar ohne dass den Patienten Schlieren stören. Genau umgekehrt funktionieren Augengele mit Naturstoffen wie dem Tamarindensamen-Polysaccharid. Das viskose Gel verflüssigt sich im Auge beziehungsweise beim Lidschlag (wie Visine® müde Augen).
Sicca-Patienten mit MDD profitieren nach der Wärmebehandlung von einem Tränenersatzmittel mit Lipidzusatz. Das können Triglyceride (Artelac Lipids®) oder Phospholipide (wie Systane® Balance) sein. Letztere können nicht nur getropft, sondern auch aufgesprüht werden. Und zwar mit Sprays, in denen die Phospholipide in Liposomen verpackt vorliegen (wie Tears Again®, Omnitears® Lidspray, Lipo Nit®). Sie werden auf das geschlossene Augenlid aufgesprüht. Die Liposomen wandern über die Lidränder nach und nach ins Auge und werden in den Lipidfilm integriert, was zu einem normalen Verdunstungsschutz führen soll. Bis zu vier Stunden soll der Tränenfilm durch die Liposomen stabilisiert sein.
Konservierte Augentropfen sollten maximal viermal am Tag appliziert werden. Grund für die Begrenzung sind die enthaltenden Konservierungsmittel, allen voran Benzalkoniumchlorid. Zwar punktet dieses mit seinen antibakteriellen Eigenschaften und der Stabilisation des Arzneistoffs. Doch es beeinflusst den Aufbau des präkornealen Tränenfilms ungünstig und verkürzt die Tränenfilm-Aufreißzeit. Die Folge sind eine höhere Lidschlagfrequenz und damit eine schlechtere okulare Verfügbarkeit. Als Störung des Tränenfilms ist vor allem das Emulgieren der Lipidkomponenten zu nennen, weshalb die Tränen schneller verdunsten. Benzalkoniumchlorid kann bei Dauergebrauch zudem das Cornealepithel schädigen, indem es die obere Zellschicht auflockert.
Wer häufiger am Tag tropfen muss, sollte besser konservierungsmittelfreien Tränenersatz wählen – gekennzeichnet durch Namenszusätze wie O. K., SINE, SE, UD oder EDO – oder auf moderne Konservierungsmittel achten. Dazu gehören etwa Polyquad oder Polyhexanid. Andere Substanzen wie Oxyd oder Purite zerfallen bei Kontakt mit der Tränenflüssigkeit beziehungsweise bei Tageslicht in pharmakodynamisch inerte Substanzen.
Augentropfbehälter auf der Basis des COMOD- oder des Airless-Systems ermöglichen, obwohl es sich um Mehrdosenbehältnisse handelt, eine konservierungsmittelfreie Formulierung flüssiger Ophthalmika (wie Hylo-COMOD®, Hylo-Care®, Lac®-Ophthal®system, Artelac® Splash MDO/-Complete MDO). Sie arbeiten mit einer speziellen Luftführung, bei der keine Außenluft angesaugt wird. So können keine Keime ins Innere der Flasche gelangen.