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Faktor-VIII-Mangel beheben

Erste Gentherapie bei Hämophilie

Mitte September hat das Pharmaunternehmen Biomarin das Medikament Roctavian® auf dem deutschen Markt eingeführt. Es handelt sich um die erste Gentherapie bei Hämophilie. Es kommt für bestimmte Patienten mit Hämophilie A infrage.
Sven Siebenand
27.09.2022  16:00 Uhr

An Hämophilie A leiden in Deutschland etwa 4000 Menschen. Da die Erkrankung X-chromosomal vererbt wird, sind die Betroffenen in der Regel männlich. Es handelt sich um eine Blutgerinnungsstörung, die durch eine mangelhafte Aktivität des Gerinnungsfaktors VIII hervorgerufen wird. Bisher werden Betroffene vor allem mit Faktor-VIII-Präparaten behandelt. Vor einigen Jahren kam mit Emicizumab zudem ein neuer Antikörper auf den Markt.

Die Einführung einer Gentherapie ist nun die nächste Stufe in der erfolgreichen Entwicklungsgeschichte von Hämophilie-A-Medikamenten. Valoctocogen Roxaparvovec (Roctavian®) besteht aus dem Adeno-assoziierten Virus des Serotyps 5 (AAV5). Dieses wurde so verändert, dass es das Gen für Faktor VIII enthält. Nach der Gabe an den Patienten soll das Virus das Faktor-VIII-Gen in die Leberzellen transportieren, sodass diese den fehlenden Faktor VIII über einen langen Zeitraum bilden können. Dadurch soll die Blutungsstörung kontrolliert werden. Die Hauptstudie zeigt, dass das oft gut funktioniert. Zwei Jahre nach Erhalt des Arzneimittels wiesen rund drei Viertel der Patienten eine durchschnittliche Faktor-VIII-Aktivität von mindestens 5 Internationalen Einheiten pro Deziliter auf, was nur noch ein Maß für eine leichte Hämophilie A ist – und damit eine deutliche Verbesserung im Krankheitsstadium der behandelten Männer. Darüber hinaus sank die jährliche Anzahl der Blutungsepisoden deutlich und die Notwendigkeit einer zusätzlichen Faktor-VIII-Substitutionstherapie ging sehr stark zurück.

Zugelassen ist Roctavian bei schwerer Hämophilie A im Erwachsenenalter. Bedingung für die Anwendung ist zudem, dass keine Antikörper gegen Faktor VIII und keine Antikörper gegen das AAV5 vorliegen. Roctavian wird einmalig verabreicht. Das geschieht per Infusion in die Vene. Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten. Die empfohlene Dosierung sind 6x1013 Vektorgenome pro Kilogramm.

Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Roctavian zählen erhöhte Leberenzym-Werte, Übelkeit und Kopfschmerzen. Kontraindiziert ist das Gentherapeutikum bei Personen, die an einer aktiven oder chronischen Infektion leiden, die nicht durch Arzneimittel kontrolliert wird, oder die eine signifikante Leberfibrose oder -zirrhose haben. Grundsätzlich wird das neue Gentherapeutikum nicht bei Vorliegen einer Lebererkrankung empfohlen. Denn die Wirksamkeit von Valoctocogen Roxaparvovec beruht letztlich auf der Bildung des Gerinnungsfaktors in den Leberzellen. Verständlich ist daher auch, dass vor Therapie und in regelmäßigen Abständen danach die Leberfunktion überprüft wird. Der Einsatz hepatotoxischer Arzneimittel ist in jedem Fall auch zu hinterfragen. Zudem wird in der Fachinformation dazu geraten, dass Patienten mindestens ein Jahr nach Verabreichung von Roctavian auf Alkoholkonsum verzichten und ihn nachfolgend begrenzen. Last but not least wird auch der Wirkstoff Isotretinoin nicht empfohlen, da er die Faktor-VIII-Expression beeinträchtigen kann. 

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