Es wird ein Grippe-Winter |
Masketragen verhindert auch die Infektion mit anderen zirkulierenden Atemwegsviren. / Foto: Getty Images/Morsa Images
Durch SARS-CoV-2-Infektionen sind andere virale Atemwegsinfekte wie etwa die Influenza aus dem Blickfeld geraten. Durch Schutzmaßnahmen wie Masketragen und Kontaktbeschränkungen gab es in den vergangenen zwei Jahren denn auch keinen nennenswerten Grippe-Peak. »Doch die Influenza wird uns wieder einholen. Das zeigen die Erfahrungen in Australien. Von der Südhalbkugel haben wir die Inzidenzzahlen quasi mit einem halben Jahr Vorlauf. Seit April/Mai gibt es dort einen signifikanten Anstieg der Influenza-Fälle«, berichtete Schubert-Zsilavecz. Das Robert-Koch-Institut (RKI) beobachtet derzeit auch hierzulande eine größere Verbreitung von Influenza-, Rhino- und Parainfluenzaviren.
»Wenn Viren lange keine Rolle gespielt haben, dann kommen sie umso stärker zurück, da die meisten Menschen aufgrund der Schutzmaßnahmen gegen SARS-CoV-2 auch keinen Kontakt mit dem Grippevirus hatten und so keinen Immunschutz etwa durch eine durchgemachte Infektion aufbauen konnten und empfänglicher dafür sind.« Das gleichzeitige Zirkulieren von Influenza- und Coronaviren könnte die Lage verschärfen und zu einem verstärkten Krankheitsgeschehen führen, mutmaßte Schubert-Zsilavecz. »Ich glaube nicht, dass wir im kommenden Winter ein Problem haben werden, weil das Gesundheitswesen aufgrund von Corona-Hospitalisierungen überlastet sein wird. Wir werden ein Problem bekommen, weil hierzulande ähnlich wie in Australien die Menschen durch Influenza stark geschwächt und für ihre Arbeit ausfallen werden.« Die vorbeugende Grippe-Impfung sei dringend anzuraten.
Dass sich der fehlende Immunschutz auch hinsichtlich anderer Atemwegserkrankungen rächen könnte, zeigte sich im vergangenen Winter vor allem bei vielen Kleinkindern bezüglich des Respiratorischen Syncytial-Virus (RSV), ein Virus, das eigentlich vor allem Frühchen stark trifft. Die Zahl und die Schwere der Krankheitsverläufe stellte die Kliniken vor große Herausforderungen. Ihr Immunsystem hatte sich im ersten Pandemiejahr nicht ausreichend entwickeln können und war auf Atemwegsviren nicht vorbereitet (»Nachholeffekt«).
Bei hohen Inzidenzen an respiratorischen Atemwegserkrankungen ist Antibiotic-Stewardship in der ärztlichen Praxis und auch in der Apotheke ein entscheidendes Konzept, betonte der Referent. Neueste Daten deuten darauf hin, dass Virus-Infektionen der Atemwege Patienten für bakterielle Co-Infektionen prädisponieren, was zu schweren Krankheitsverläufen führen kann. Die durch die Erstinfektion hervorgerufene Entzündungsreaktion begünstigt die Adhäsion von Bakterien. Komplikationen führten hier schnell zum Einsatz von Antibiotika und dem Risiko antimikrobieller Resistenzen.
Hier gelte es, frühzeitig die richtigen therapeutischen Weichen zu stellen. So zeige etwa die aktuelle S3-Leitlinie zur Indikation Halsschmerzen/Pharyngitis »eine klare Abkehr von der Antibiotika-Therapie«, sagte der Referent. Sämtliche Rachentherapeutika – also Lutschtabletten, Gurgellösungen, Rachensprays – mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika werden von den Leitlinienautoren nicht empfohlen. Abgesehen von der mangelnden Evidenz sei die Anwendung dieser Mittel bei einer mehrheitlich viral bedingten Infektion nicht nachvollziehbar und nicht sinnvoll. »Lokalantiseptika sind konzentrationsabhängig zytotoxisch und wirken nur an der Oberfläche, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspielt«, heißt es dort.
Als rationalen Ansatz zur Behandlung von akuten Halsschmerzen sehen die Leitlinienautoren die symptomatische Therapie mit antientzündlichen Wirkstoffen. Das sind entweder Lutschtabletten mit Lokalanästhetika wie Benzocain oder Ambroxol sowie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder bei starken Schmerzen orale NSAR. Bei Letzteren wird die Leitlinie sehr konkret und nennt explizit Ibuprofen und Naproxen, auch aufgrund ihres günstigen Risikoprofils. Bei den Lokalanästhetika und NSAR zum Lutschen macht sie dagegen keine genaueren Angaben. Bei den Lokaltherapeutika ist jedoch laut Leitlinie nur ein moderater Effekt zu erwarten.
Eine frühe Intervention mit OTC-Präparaten hält Schubert-Zsilavecz in jedem Fall für sinnvoll, »um den Viren den Boden zu entziehen. Letztendlich helfen sie, bakterielle Infektionen zu verhindern. Wir sollten lernen, NSAR nicht nur als Analgetika zu betrachten, sondern auch ihre antiphlogistische Wirkkomponente besser zu nutzen«. In diesem Zusammenhang propagierte der Referent den Einsatz von Point-of-care-Schnelltests in der Offizin. Diese bieten eine schnelle Entscheidungshilfe bei der Frage, ob es sich um eine bakteriell oder viral bedingte Infektion handele. »Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung der Apotheken könnten diese Schnelltests eine zusätzliche Dienstleistung für die Offizinen sein.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.