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Ernährung und Demenz

Essen mit Köpfchen fürs Köpfchen

Eine gesunde Ernährung gilt als einer der wichtigsten Lebensstilfaktoren, um kognitiven Erkrankungen vorzubeugen. Dafür ist es nie zu spät und selten zu früh, da vor allem Alzheimer wahrscheinlich schon Jahre symptomlos im Gehirn schwelt. Welche Präventionsansätze gibt es?
Cornelia Höhn
25.07.2022  12:00 Uhr

Unser Gehirn benötigt vor allem ausreichend Eiweiß sowie langkettige Omega-3-Fettsäuren und ist ein leichtgewichtiger Kalorienfresser: 24/7 verbraucht es 20 Prozent unseres Ruheumsatzes, obwohl sein Anteil am Körpergewicht nur zwei Prozent beträgt. Anders als Muskulatur oder Leber hat es kaum Energiereserven, muss also kontinuierlich mit Glukose-Nachschub versorgt werden, um einwandfrei zu funktionieren.

Mittlerweise ist die einstige These, dass der Zuckerstoffwechsel und kognitive Fähigkeiten auch in pathologischer Hinsicht eng miteinander verwebt sind, etabliert. So zeigte etwa eine Untersuchung an der Berliner Charité, dass gesunde ältere Probanden schlechtere Ergebnisse in Lern- und Gedächtnistest zeigten, je höher ihr glykiertes, also mit Zuckerresten verknüpftes, Hämoglobin (HbA1c) war.

Laut Dr. Michael Rainer, Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Gedächtnis- und Alzheimerforschung in Wien, besteht eine hohe Evidenz, dass Typ-2-Diabetes über einen gestörten zerebralen Glukose- und Insulin-Stoffwechsel zur Alzheimer-Entstehung und Bildung der charakteristischen Amyloid-Plaques beitragen kann. Morbus Alzheimer ist mit zwei Dritteln die häufigste Demenzform. Auch vaskuläre Demenzen, die etwa 15 Prozent aller Demenzen ausmachen, werden durch Diabetes begünstigt, da auftretende Gefäßschäden Hirnzellen in ihrer Funktion stark beeinträchtigen.

Mit Verstand ernähren

An der Justus-Liebig-Universität Gießen ist die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Gunter Eckert spezialisiert auf nutritive Prävention beziehungsweise Therapie altersbedingter neurodegenerativer Erkrankungen. Angelehnt an eine traditionelle mediterrane Kost wirbt Eckert für einen drei Säulen umfassenden Lebensstil aus Ernährung, Bewegung und kognitiver Stimulation.

An der Basis der mediterranen Ernährungspyramide stehen geistig anregende soziale Interaktionen wie Tanzen oder Mannschaftssportarten sowie in Gesellschaft verzehrte Mahlzeiten. Erst darüber folgen die Ernährungsempfehlungen: zunächst reichlich Gemüse, Hülsenfrüchte, Pilze, Obst, Nüsse, Vollkorn und gesunde Öle.

Die Faustregel »Was beim Essen gut für das Herz ist, hilft auch dem Verstand« zielt vor allem auf wertvolle Antioxidanzien ab. Das Gehirn ist das Organ mit dem höchsten Sauerstoffverbrauch, deshalb treten dort auch besonders viele Sauerstoffradikale auf. Diese tragen durch Schädigung von Nervenzellen maßgeblich zur Gehirnalterung bei.

Die Stiftung Alzheimer Forschung Initiative (AFI) hat einen Saisonkalender mit besonders gehirnfreundlichen Obst- und Gemüsesorten erarbeitet. Anthocyane in roten und blauen Vertretern wie Aubergine, rote Bete, Heidelbeere oder Pflaume können möglicherweise dazu beitragen, den Alterungsprozess zu verlangsamen. Grünes Blattgemüse wie Mangold oder Spinat sollen degenerativen Prozessen im Gehirn entgegenwirken können. Flavonoide zur Stärkung der Gehirnzellen stecken etwa in Äpfeln und Birnen. Neben sekundären Pflanzenstoffen zeigen auch Vitamine wie C, E oder Betacarotin schützende Effekte auf das Gehirn. Hülsenfrüchte versorgen uns mit hochwertigen pflanzlichen Eiweißen und tragen wie Pilze und Knoblauch zu verbesserter Hirn- und Gefäßgesundheit bei.

Bunt essen

Wer also bunt isst und sich an die »5-am-Tag-Regel« mit drei Portionen Gemüse und zwei Portionen zuckerarmem Obst hält, sorgt schon recht gut für Kopf und Körper. Mit naturbelassenen Lebensmitteln lassen sich dabei neurologische Auswirkungen von Pestiziden und Zusatzstoffen weitgehend reduzieren.

Besonders nahrhaft für unser Nervensystem sind ungesättigte Fettsäuren aus Nüssen, die die Gehirnleistung außerdem mit Magnesium, Eiweißen und B-Vitaminen stärken. Schon vor einigen Jahren zeigte die US-amerikanische Nurses Health Study, dass der regelmäßige Verzehr von Walnüssen, die viel Alpha-Linolensäure, eine mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäure, beinhalten, mit besseren kognitiven Fähigkeiten korrelierte. Lein- oder Rapsöl sind ebenfalls gute Lieferanten.

Was wäre die Mittelmeerkost ohne Olivenöl, welches durch die einfach ungesättigte Ölsäure und die enthaltenen Polyphenole wie Oleocanthal punktet? Tierversuche zeigten bei Labormäusen nach Verabreichung von Oleocanthal wesentlich weniger ß-Amyloid-Anhäufungen.

Epicatechin aus grünem Tee, Resveratrol im Rotwein, Curcumin sowie die schon erwähnten Flavonoide und Anthocyane gehören in die umfangreiche Gruppe der Polyphenole. Laut Lebensmittelchemiker Eckert gibt es Hinweise darauf, dass Polyphenole im Gehirn den Blutfluss verbessern, Entzündungen entgegenwirken und die Energiegewinnung aus den Mitochondrien steigern können. Unser Darmmikrobiom scheint Polyphenole zu hirngesunden Metaboliten abzubauen.

Meer-Wert

Die dritte Etage der mediterranen Ernährungspyramide bilden Fisch und Meeresfrüchte. Empfehlenswert sind zweimal wöchentlich Kaltwasserfische wie Lachs oder Makrele, deren wärmender Fettmantel aus Omega-3-Fettsäuren besteht. Mittelmeertiere dagegen weisen mit Ausnahme der Sardine nur wenig antientzündliche Eicosapentaen- (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) auf.

Eine Reihe von Studien belegt, dass Fischessen dem Gehirn dienlicher ist als reines Fischöl: Zwar verringert DHA die ß-Amyloid-Bildung, beobachtet wurde jedoch, dass das Alzheimerrisiko im Zusammenspiel mit den im Fisch enthaltenen Mineralstoffen Jod, Eisen, Kupfer, Zink und Selen effektiver gesenkt werden kann. Was eine Schwermetallbelastung vor allem mit Methylquecksilber betrifft, geben Experten Entwarnung: Der präventive Nutzen des Fischverzehrs überträfe die toxikologischen Bedenken. Keine Alternative sind im Übrigen in Aquakulturen gezüchtete Fische, ihr Futter enthält oft proinflammatorische Omega-6-Fettsäuren.

In der mediterranen Pyramide werden Milchprodukten, Geflügel und Eier in Maßen empfohlen, oben an der Spitze – zum sparsamen Verzehr – steht rotes Fleisch neben Süßigkeiten.

Wer diesen Ernährungsstil dauerhaft pflegt, ist auch mit B-Vitaminen gut versorgt. Vor allem die Vitamine B6 und B12 sowie Folsäure beugen einem erhöhten Homocysteinspiegel vor, der nach aktuellen Untersuchungen die Kognitionsleistung erniedrigt und Hirnabbauprozesse begünstigt. Mit viel Vitamin B6 punkten Rosenkohl, Bohnen, Geflügel und Seelachs. Brokkoli, Feldsalat und Spinat liefern reichlich Folsäure, während Vitamin B12 nur in tierischen Lebensmitteln vor allem Makrele, Rindfleisch und in geringeren Mengen auch in Eiern und Milchprodukten vorkommt. Gerade älteren Menschen fehlt es jedoch häufig aufgrund der Einnahme beispielsweise von Metformin oder Protonenpumpenblockern an Vitamin B12.

Zur Mittelmeerkost zählt auch moderater Rotweinkonsum, zum Essen genossen. Eine aktuelle Metaanalyse bestätigte erneut ältere Studienergebnisse: Drei bis vier Gläser pro Woche korrelierten dabei mit einer Senkung des Demenzrisikos. Andere Experten wiederum sehen jeglichen Alkoholkonsum nicht nur bezüglich alkoholinduzierter Demenz kritisch.

Auch Kaffee ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen: Während zu viel eher schädlich ist, sollen weniger als sechs Tassen täglich die Wahrscheinlichkeit für Demenzerkrankungen durch Senkung des Serumcholesterols senken können. Erhöhtes Cholesterol steht in Verdacht, die Blut-Hirn-Schranke zu schwächen.

Sicher ist dagegen, dass Wassermangel die kognitive Leistungsfähigkeit akut einschränkt. Durch das nachlassende Durstgefühl sind besonders ältere Menschen gefährdet und sollten laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung mindestens 1,3 bis 1,5 Liter täglich trinken.

Diabetes im Kopf

Aufgrund der Zusammenhänge von Typ-2-Diabetes und Demenz empfehlen einige Wissenschaftler, bereits bei bestehender Insulinresistenz Lebensmittel mit niedriger glykämischer Last zu bevorzugen.

In ihrem Buch »Essen!Nicht!Vergessen!« propagieren etwa der Internist Dr. Peter Heilmeyer und die Ernährungswissenschaftlerin Ulrike Gonder eine Ernährung nach der sogenannten LOGI-Methode. Die Abkürzung steht für »Low Glycemic and Insulinemic«; auf dem Teller landet, was den Blutzuckerspiegel kaum beeinflusst, so dass folglich wenig Insulin im Blut zirkuliert. Sofern man sich auf zuckerarmes Obst und kleine Mengen Vollkornprodukte beschränkt, deckt sich das gut mit der mediterranen Ernährung. Wer dabei nicht mehr als drei Mahlzeiten isst, gönnt seiner Bauchspeicheldrüse ausreichend Erholungsphasen.

Zudem sollte drei Stunden vor dem Schlafen der letzte Bissen geschluckt sein; eine nächtliche Nahrungspause von 12 bis 16 Stunden fördert die Bildung von Ketonen. In Gehirnarealen, die Glukose aufgrund einer Insulinresistenz nicht mehr ausreichend verwerten können, kann die Energiegewinnung laut Gonder alternativ über die Verstoffwechselung von Ketonkörpern erfolgen. So hätten Studien gezeigt, dass mittelkettige Triglyceride aus Kokosöl beziehungsweise MCT-Fetten, die in der Leber zu Ketonkörpern abgebaut werden, die Gehirnfunktion von Patienten mit leichter kognitiver Dysfunktion verbesserten. Ob eine streng ketogene Kost bei Demenz von Nutzen sein kann, wird allerdings von Experten kontrovers diskutiert.

Training ist Hirnschutz

Sportliche Aktivitäten verbessern die Durchblutung, und bewegte Muskelzellen sezernieren ein Myokin namens BDNF (brain-derived neurotrophic factor), welches Neuronen und Synapsen nicht nur schützt, sondern auch deren Wachstum und Weiterentwicklung fördert. Die AFI rät zu wöchentlich mindestens 150 Minuten abwechslungsreichem Training, wobei die Kombination von Kraft und Ausdauer die geistige Leistungsfähigkeit am besten zu fördern vermag.

Auch bezüglich der geistigen Fitness ist es nie zu spät, der Hirnalterung mit kognitiver Stimulation entgegenzutreten. Um Synapsen zu bilden, brauchen die grauen Zellen laufend neuen Input: eine Sprache lernen, musizieren, kochen, spielen oder kreativ sein – am besten gemeinsam mit anderen, ist daher geeigneter als allein im stillen Kämmerlein vorhandenes Wissen bei Kreuzworträtseln abzurufen. Wer aus dem Alltagstrott aussteigt, beispielweise in einem anderen Supermarkt einkauft, fordert und fördert ganz nebenbei seinen Kopf.

Guter und erholsamer Nachtschlaf normalisiert den Kortisolspiegel und sorgt dafür, dass Reparaturprozesse stattfinden, die unter anderem das Gehirn von Stoffwechselprodukten reinigen. Diese Autophagieleistung lässt im Alter nach, was vermutlich neurodegenerative Prozesse begünstigt.

Sport, Intervallfasten und körpereigenes Spermidin unterstützen die nächtlichen Putz- und Recyclingvorgänge im Organismus. Kleine Studien zeigen gar eine verbesserte Gedächtnisleistung nach Spermidin-Supplementation. Weizenkeime, Soja, Pilze oder Kürbiskerne sind spermidinreiche Nahrungsmittel. Bewusste Ernährung, körperliche und geistige Fitness, ein intaktes Sozialnetzwerk sowie gute Schlafhygiene sind folglich wichtige Meilensteine in der Demenzprävention.

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