Fälle von diabetischer Ketoazidose bei Kindern verdoppelt |
Hat ein Kind ständig Durst, ist häufig müde und riecht nach Nagellackentferner, sollten Eltern an einen unentdeckten Typ-1-Diabetes denken. / Foto: Adobe Stock/Waldemar Milz
Ein unentdeckter Diabetes mellitus Typ1 kann unbehandelt durch den erhöhten Blutzucker und Stoffwechsel-Übersäuerung (Azidose) infolge der vermehrten Bildung sogenannter Ketonkörper zu einer diabetischen Ketoazidose (DKA) und somit schweren Stoffwechselentgleisung führen.
Vom 13. März bis 13. Mai 2020 habe sich die Rate solcher DKA mit 238 Fällen gegenüber den Vergleichszeiträumen der Vorjahre nahezu verdoppelt. »Insbesondere die Fallzahl der betroffenen Vorschulkinder hat zugenommen«, warnt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) in einer aktuellen Mitteilung. Die Anzahl der Neuerkrankungen von Kindern mit Diabetes Typ 1 insgesamt habe sich dagegen nicht verändert.
Die Gründe dafür seien vielfältig. »Ein Faktor ist vermutlich die Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19«, so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD), Dr. Thomas Kapellen. »Viele Eltern scheuen offenbar den Besuch einer Kinderarztpraxis«, so die Vermutung des Privatdozenten.
Um der fatalen Entwicklungen gegenzusteuern hat die DDG gemeinsam mit der AGPD und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) eine Aufklärungskampagne gestartet, mit deren Hilfe sie auf die Bedeutung der frühen Diagnose und Therapie eines Typ-1-Diabetes verweisen will. Kinder- und Jugendärzte sollen Eltern künftig bei den U6- und U7a-Vorsorgeuntersuchungen Ende des ersten und dritten Lebensjahres für die Warnzeichen des Typ-1-Diabetes sensibilisieren.
Zeige ein Kind entsprechende Symptome, bestehe sofortiger Handlungsbedarf, so die DDG. Denn mit jedem Tag mehr, den es unerkannt an einem Typ-1-Diabetes mit Insulinmangel und somit diabetischer Ketoazidose erkrankt ist, steige das Risiko auch für Einschränkungen der kognitiven Leistungen als Spätfolge der Erkrankung. Auch könne es zu einem diabetischen Koma mit Bewusstlosigkeit kommen. Daher, so die DGG, gehören betroffene Kinder sofort in notärztliche Behandlung.
»Bleibt eine Ketoazidose unbehandelt, kann sie schlimmstenfalls tödlich enden«, so der DDG-Vizepräsident Professor Andreas Neu. Es sei noch immer zu wenig bekannt, dass Typ-1-Diabetes zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindesalter zählt. »Diabetes ist keine Alterskrankheit, sie kann auch Kinder jeden Alters treffen.« Vor allem im Kleinkindalter bestehe ein erhöhtes Risiko.
»Die Zahlen sind alarmierend. Jedes fünfte Kind kommt bei Manifestation eines Diabetes mellitus mit einer Ketoazidose ins Krankenhaus, in rund 6 Prozent der Fälle liegt bereits eine schwere Ketoazidose vor«. Das hat die DGG in einer entsprechenden Mitteilung bereits zum Ende des vergangenen Jahres deutlich gemacht. Dabei hat sie auf eine US-amerikanische Untersuchung von 144 Kindern mit Typ-1-Diabetes im Alter von vier bis zehn Jahren mittels Hirnscans und kognitiven Tests verwiesen.
Danach sei der Zusammenhang zwischen der Schwere einer Ketoazidose, einem eingeschränkten Gehirnwachstum und der Minderung kognitiver Leistungen erstmals belegt. »Die Studie zeigt, dass gerade im Kleinkindalter ein starker Insulinmangel und die dadurch bedingte Übersäuerung im Blut schwere Folgen für die Gehirnentwicklung und die Lern- und Konzentrationsfähigkeit haben kann«, erklärte Kapellen.
Eine besondere Gefahr liege auch in der Tatsache, dass gerade während der jetzigen Corona-Pandemie klassische Symptome wie eine beschleunigte Atmung fehlgedeutet und für einen Atemwegsinfekt gehalten werden können. Es könne wertvolle Zeit verstreichen bis die tatsächliche Ursache feststeht. Selbst, wenn diesbezüglich Unklarheit besteht: Eltern, Lehrer oder Betreuer sollten mit dem betroffenen Kind umgehend einen Arzt oder eine Klinik aufzusuchen.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.