Food-Influencer häufig keine Ernährungsexperten |
Zahlreiche Influencer beschäftigen sich auf ihren Social-Media-Kanälen mit dem Thema Essen. Ein großer Teil der gezeigten Informationen ist dabei nicht unbedingt fachlich korrekt, sondern vielmehr persönliche Meinung oder Werbung. / Foto: Getty Images/d3sign
Wer früher berühmt werden wollte oder etwas zu sagen hatte, brauchte vor allem eines: Kontakte. Das konnte der Manager im Plattenlabel sein, der Lektor im Buchverlag oder der Redakteur bei der Zeitung. Seit das Internet 1993 für alle nutzbar wurde, hat sich das verändert. Das neue Medium ermöglicht es, dass jeder Nutzer seine eigenen Inhalte veröffentlichen kann: ungekürzt, unverändert, unzensiert. Walter Laufenberg gilt als der erste, der diese Chance in Deutschland nutzte. Am 3. Januar 1996 stellte er die erste Ausgabe seines Laufenberg Netzines auf www.netzine.de online. Der erste deutsche Blog war geboren.
Seitdem hat sich viel getan: 2004 wurde Facebook gegründet, das sich innerhalb weniger Monate zum populärsten sozialen Netzwerk weltweit entwickelte und noch immer angesagt ist. Ein Jahr später kam Youtube als Videoplattform hinzu. Seit 2010 bieten Pinterest und Instagram ihren Usern die Möglichkeit, Bilder zu teilen. TikTok gibt es seit 2016. Hier können kurze Videoclips selbst erstellt und mit Musik unterlegt werden. Jüngster Neuzugang von 2020 ist Clubhouse, eine »Audio-only-App«, in der man sich an Diskussionen zu verschiedenen Themen beteiligen kann.
Soziale Netzwerke haben die Art und Weise unserer Kommunikation grundlegend verändert. Es ist so einfach wie nie, andere Menschen zu erreichen und mit ihnen immer und überall in Kontakt zu bleiben. Große Teams und teures Equipment sind überflüssig; zumindest für Einsteiger reichen Text, Bilder und Videos vom Smartphone völlig aus.
Manche Nutzer machen das so gut, dass sie mit ihren Blogs, Videos, Bildern und Beiträgen täglich Millionen von Menschen erreichen. Jeder davon hat seinen eigenen Stil, doch bei mehr als 50 Prozent der Deutschen, die sich inzwischen in den sozialen Netzwerken tummeln, findet praktisch jeder seine Zielgruppe mit den entsprechenden Interessen und bedient deren Sehnsüchte und Wünsche. Anders als die Stars von früher, die man nur aus Film, Fernsehen oder Zeitschrift kannte, nehmen die Internet-Stars von heute ihre Follower, Abonnenten und Fans mit in ihren Alltag. Sie gewähren Einblicke ins Privatleben, interagieren mit ihnen und binden sie in ihre Entscheidungen mit ein. Auf diese Weise bauen sie sich eine treue Anhängerschaft auf, die oft unkritisch und für jegliche Inhalte empfänglich ist. Weil es ihnen oftmals sogar gelingt, ihre Fans in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, hat sich für sie der Name Influencer (von engl. to influence = beeinflussen, einwirken, prägen) etabliert.
Quelle: Oliver Schrott Kommunikation 2018
Neben Mode, Beauty und Reisen ist vor allem Essen das Thema vieler Influencer. Die Kategorie »Food« zählt zu den relevantesten Themen in sozialen Netzwerken und ist insbesondere bei Frauen beliebt. Denn Essen dient längst nicht mehr ausschließlich der physiologischen Sättigung. Essen ist eine Form des Lifestyles. Es geht darum, andere an den eigenen Erlebnissen teilhaben zu lassen und Feedback zu erhalten.
Ob Low Carb, High Fat, Keto, vegetarisch oder vegan – das Universum der Food-Influencer ist so groß wie die Vielfalt der heutigen Food-Trends. Auf Instagram kommen stündlich mehr als 8000 neue Posts mit dem Hashtag #Food dazu: ansprechende Bilder, bei denen den Followern das Wasser im Mund zusammenläuft, und Rezepte, die zum Nachmachen einladen. Wie viele Food-Influencer es in Deutschland gibt, ist unklar. Sie kommen und gehen, mal hat der eine die Nase vorn, dann ein anderer. Außerdem fallen Definition und Abgrenzung schwer: Bei einigen stehen Essen und Trinken im Fokus, andere – vor allem Sportler und Models – sprechen genauso über Mode, Beauty und Lifestyle. Die einen beschäftigen sich ganz allgemein mit dem Thema Essen und sprechen dadurch sehr viele Menschen an, andere picken sich eine Ernährungsweise heraus, die nur für eine kleine Zielgruppe relevant ist. Agenturen, die sich auf Influencer-Marketing spezialisiert haben, veröffentlichen deshalb regelmäßig ihre erfolgversprechendsten Talente. Demnach hat Emrah derzeit auf YouTube die meisten Abonnenten, auf Instagram Nermin Yazılıtaş, auf TikTok der Foodgod.
YouTube | TikTok | |
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Abonnentenzahl in 1.000(Quelle: HitchOn 2020) | Abonnentenzahl in 1.000(Quelle: Likeometer.co 2021) | Follower in 1.000(Quelle: www.inbeat.co 2021) |
Emrah (2.350) | @nerminyazılıtaş (3.389) | @foodgod (3.100) |
CrispyRob (1.900) | @_foodstories_ (1.045) | @demigodfood (177) |
Sallys Welt (1.670) | @pamgoesnuts (973) | @foodschau (40) |
Klaus grillt (282) | @fitgreenmind (854) | @zimtliebe_de (25) |
CookBakery (280) | @dritanalsela (792) | @healthiswealth_ (17) |
Influencer unterhalten, sind Trendsetter und für viele Jugendliche und junge Erwachsene ein großes Vorbild. Aufgrund ihrer enormen Reichweite können Influencer beispielsweise zu einer gesünderen Ernährung motivieren und so einen wichtigen Beitrag zur Gesundheits- beziehungsweise Ernährungskommunikation leisten. Eine Befragung der Schweizer Tierrechtsorganisation »Tier im Fokus« unter 2412 Menschen aus der Deutschschweiz und Romandi hat beispielsweise ergeben, dass sich 25 Prozent durch Youtube, 14 Prozent durch Facebook und 12 Prozent durch Instagram zu einer veganen Lebensweise haben inspirieren lassen. Zum Vergleich: 32 Prozent der Menschen haben den Anstoß durch das soziale Umfeld erhalten, 25 Prozent durch Bücher.
Was sich zunächst positiv anhört, hat aber auch Schattenseiten. Nicht jeder Einblick, den Influencer in ihr Privatleben gewähren, ist natürlich und unverfälscht. Wissenschaftler vermuten, dass den Fans oftmals nicht klar ist, dass das Leben ihrer Stars aufwendig in Szene gesetzt sein kann und die Bilder von den Speisen möglicherweise arrangiert und nachbearbeitet sind. Immer wieder werden vermeintlich vegane Influencer dabei erwischt, wie sie tierische Lebensmittel essen. Zudem sind die Empfehlungen der Influencer zunächst persönliche Meinungen und basieren nicht unbedingt auf wissenschaftlichen Grundlagen. Dies wird durch die nachlassende Medienkompetenz zusätzlich befeuert.
Fotos für Instagram sind häufig aufwendig in Szene gesetzt. Für die Follower soll es aber möglichst authentisch und mühelos wirken. / Foto: Getty Images/PeopleImages
Zahlreiche Studien zeigen, dass User über alle Altersgruppen hinweg die Fähigkeit verlieren, die verschiedenen Medienkanäle und deren Inhalte kompetent und vor allem kritisch zu nutzen. Sie verlassen sich auf zufällig aufgeschnappte Informationen aus den sozialen Netzwerken und merken nicht, wenn Information und Meinung miteinander vermischt werden. Genau dies ist aber bei Influencern oft der Fall, denn nur wenige bringen eine Ausbildung im Ernährungsbereich mit. Trotzdem zählt ihre Geschichte mehr als wissenschaftliche Studien. Was der Influencer erlebt hat, stimmt – und lässt sich auf die Allgemeinheit übertragen.
Auf diese Weise können auch falsche oder irreführende Informationen vermittelt werden. Christina Sabbagh von der Universität Glasgow hat die Qualität von Bloggern in Großbritannien untersucht. Ausgewählt wurden sie, wenn sie auf zumindest einem sozialen Netzwerk mehr als 80.000 Follower haben, auf zumindest zwei Seiten wie Twitter verifiziert sind und einen aktiven Blog über Gewichtskontrolle betreiben. Nur einer der 14 Blogger, ein bei der UK Association for Nutrition angemeldeter Ernährungsexperte, erfüllte 83 Prozent der Kriterien und bestand damit den Test. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass Influencer keine glaubwürdigen Quellen für das Gewichtsmanagement sind und von ihnen verlangt werden sollte, dass sie anerkannte wissenschaftlich oder medizinisch gerechtfertigte Kriterien für die Bereitstellung von Online-Ratschlägen erfüllen.
Zum anderen sind längst nicht alle Influencer völlig unabhängig in dem, was sie tun. Mit steigender Reichweite spielen monetäre Aspekte eine große Rolle. Immer mehr Influencer lassen sich von Unternehmen sponsern und zeigen oder testen dafür ein bestimmtes Produkt. Das hat auch die Lebensmittelindustrie für sich entdeckt. Zwar gelten auch im Onlinebereich gewisse Spielregeln. Influencer müssen werbliche Inhalte seit 2018 lesbar als »Werbung« oder »Anzeige« kennzeichnen. Sie dürfen keine direkten Kaufappelle an Kinder und Jugendliche richten oder deren Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit sowie deren Verhältnis zu Vertrauenspersonen ausnutzen. Solange dies eingehalten wird, können Lebensmittelkonzerne ihre Produkte jedoch praktisch ungehindert vermarkten.
Auf diese Weise werden auch Kinder und Jugendliche erreicht. Foodwatch hat in seinem im Dezember 2020 erschienen Junkfluencer-Report fünf negative Beispiele herausgepickt, bei denen extrem reichweitenstarke Influencer Werbung für McDonald‘s, Coca-Cola, Haribo, Hitschler, Milka (Mondelez) und andere Lebensmittelunternehmen machen. Zum Teil haben sie auch ihre eigenen Marken geschaffen beziehungsweise ihren Namen für unausgewogene Lebensmittel zur Verfügung gestellt.
All das zeigt: Die Nachfrage nach Food-Information und -Inspiration ist groß. Das spricht dafür, dass Ernährungsfachkräfte oder andere Gesundheitsfachberufe in den sozialen Medien mitmischen und selbst zum Influencer werden sollten. Das Potenzial des Internets ist immens: Es bietet die technischen Möglichkeiten, unabhängig von Standort und Tageszeit mit den Klienten oder der Gruppe zu kommunizieren und eine große Zielgruppe zu erreichen, über einen langen Zeitraum – eine gute Ergänzung zu den klassischen Beratungsangeboten.