Gendermedizin – der große Unterschied |
Isabel Weinert |
20.03.2020 16:00 Uhr |
Medizinisch gesehen sind Männer und Frauen nicht gleich, obwohl sie gleich behandelt werden. / Foto: Adobe Stock/Dilok
Frauen werden nach wie vor in der Medizin benachteiligt. Regitz-Zagrosek kennt etliche Beispiele: Medikamentenstudien an Tieren erfolgen ausschließlich an jungen männlichen Mäusen. Bei klinischen Studien dominiert nach wie vor das männliche Geschlecht. Gleiche Symptome bei Mann und Frau führen zu unterschiedlichen Diagnosen. Frauen kommen in Therapien schwerer Erkrankungen oft zu kurz und werden von männlichen Ärzten in ihren Anliegen häufig weniger ernst genommen als Männer.
Dabei spielt der »kleine Unterschied« medizinisch betrachtet in vielerlei Hinsicht eine tragende Rolle. Zum einen ist da das zweite X-Chromosom der Frauen, das ihnen einen Pool von Genen beschert, die Männer nicht haben. Daraus resultieren Vor- und Nachteile, wie Regitz-Zagrosek erklärt. »Das zweite X-Chromosom birgt einige Schutzfaktoren für Frauen.Dazu gehören Gene, die wahrscheinlich die Entzündungsabwehr stärken, und solche, die vor Tumoren schützen.« Ein Teil der für das Immunsystem wichtigen Gene befinden sich auf dem zweiten X-Chromosom. Frauen können unter anderem deshalb akute Infekte besser abwehren als Männer. Dafür schießt ihr Immunsystem häufiger als das der Männer über das Ziel hinaus und attackiert körpereigene Strukturen. Autoimmunerkrankungen entstehen im Schnitt häufiger, und bei Frauen spielen sich mit dem Älterwerden stärker chronische Entzündungsprozesse im Körper ab.
Zum anderen geht es um das männliche Geschlechtshormon Testosteron. »Es setzt bei Jungen schon im Mutterleib Prägungen nicht nur an den Geschlechtsorganen, sondern auch an Herz und Gehirn. Damit gehen Veränderungen der Genexpression einher, die bei relativ vielen Krankheiten eine Rolle spielen«, erläutert die Expertin.
Der Anstieg der Sexualhormone in der Pubertät nimmt nochmals Einfluss auf etliche Systeme im Körper, auch ausserhalb der Sexualorgane. Gehirn, Immun- und Herz-Kreislauf-System gehören dazu. »Wir haben ein sehr komplexes Bild, wie die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zustande kommen. »Manchmal kann man im Einzelnen nicht sagen, was genau für einen bestimmten Mechanismus verantwortlich ist«, weiß die Expertin.
Bei der Lokalisation von Darmtumoren spielt das Geschlecht eindeutig eine Rolle, berichtet Regitz-Zagrosek. So tritt ein Tumor bei Frauen häufig rechtsseitig im Kolon auf, bei Männern dagegen auf der linken, absteigenden Seite des Dickdarms und im Rektum. Hier macht sich ein Tumor schon früher durch Symptome bemerkbar als bei einem Wachstum im Kolon und lässt sich damit auch leichter diagnostizieren. Darmkrebsvorsorge sollte nicht ab einem bestimmten Lebensalter aufhören, denn Frauen erkranken meist später als Männer an Darmtumoren.