Geschlecht und Gender in Covid-19-Studien selten berücksichtigt |
dpa/PTA-Forum |
09.07.2021 10:30 Uhr |
Bei einer SARS-CoV-2-Infektion spielen Geschlecht und Gender eine Rolle. Männer erkranken beispielsweise häufiger schwer. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Während der Pandemie habe sich herausgestellt: Männer sind häufiger von schweren Krankheitsverläufen betroffen, müssen öfter im Krankenhaus behandelt werden und sterben schließlich im Zusammenhang mit dem Virus auch öfter. Woran das liege, sei bisher nicht vollständig erforscht.
Ebenso gebe es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Geschlechterrolle (Gender) und der Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken. Dementsprechend haben Frauen ein höheres Ansteckungsrisiko, da sie häufiger als Männer als Pflegekräfte tätig seien und in Berufen mit viel Kundenkontakt arbeiteten. »Das zeigt: Gender und Geschlecht müssen in klinischen Studien und in der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden«, bilanzierte Medizin-Professorin Sabine Oertelt-Prigione von der Universität Bielefeld.
Eine Analyse von fast 4500 internationalen Covid-19-Studien habe aber ergeben, dass nur vier Prozent ausdrücklich vorsahen, Geschlecht oder Gender als Variable in ihre Analyse einzubeziehen. Studien mit dem Fokus auf Frauen untersuchten meist den Einfluss des Virus auf Schwangerschaften. In publizierten Forschungsartikeln zu klinischen Studien sei das Thema Geschlecht und Gender in jeder fünften Analyse erwähnt worden.
»Wir sehen zunehmend, dass Frauen und Männer auf die Behandlung mit Medikamenten unterschiedlich reagieren«, stellte Oertelt-Prigione fest. »Wenn dieser Zusammenhang in Studien ignoriert wird, kann das langfristig zu ernsthaften, ungewollten Nebeneffekten führen.« Die Geschlechterunterschiede in den Blick zu nehmen, habe bei Covid-19 vielfach dazu beigetragen, die Infektion besser zu verstehen. »Es wird uns auch helfen, die medizinischen Behandlungen zu verbessern.«
Ein möglicher Grund für die Vernachlässigung von Daten zu Geschlecht und Gender sei der hohe Zeitdruck. Manche Forschenden gingen davon aus, dass die Zusammenstellung der Untersuchungsgruppe länger dauere, wenn Geschlechtsunterschiede berücksichtigt werden sollen. »Insbesondere in der frühen Phase der Pandemie haben sie unter hohem Zeitdruck gearbeitet«, so Prof. Oertelt-Prigione.
Dr. Emer Brady, Erstautorin der Studie und angestellt an der Universität Aarhus (Dänemark), ergänzt: »In Bezug auf den Zeitdruck haben wir gehofft, dass mit dem Fortschreiten der Pandemie auch das Bewusstsein wachsen würde, wie Geschlecht und Gender mit der Erkrankung zusammenhängen. Wir sind davon ausgegangen, dass im Verlauf der Pandemie zunehmend mehr Studienprotokolle mit dem Fokus Geschlecht und Gender auf ClinicalTrials.gov registriert werden. Leider war das nicht der Fall. Wir haben auch die publizierten Forschungsartikel zu klinischen Studien analysiert. Die Aufmerksamkeit für das Thema Geschlecht und Gender war hier stärker. Trotzdem wurde dieser Aspekt nur in einem Fünftel der publizierten Studien erfasst oder in der Analyse erwähnt.«
Die Wissenschaftler analysierten laut eigenen Angaben 4420 Covid-19-Studien, die bei ClinicalTrials.gov eingetragen sind. Die US-amerikanische Datenbank verzeichnet insgesamt mehr als 300.000 klinische Studien aus 200 Ländern. Die ausgewertete Stichprobe zu Covid-19 beinhaltet demnach vor allem zwei Arten von Studien: 1659 Beobachtungsstudien und 2475 Interventionsstudien. In Interventionsstudien wird Patienten und Patientinnen zum Beispiel ein neues Medikament verabreicht. In Beobachtungsstudien wird auf solch eine zusätzliche Behandlung verzichtet.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.