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Verzicht

Gesund durch Heilfasten?

Heilfasten soll gesund halten und Krankheitsbeschwerden lindern. Stimmt das wirklich? Und wie gelingt der bewusste Verzicht auf festes Essen am besten?   
Judith Schmitz
19.02.2020  09:30 Uhr

Laut dem Fastenexperten Professor Dr. Andreas Michalsen, Chefarzt für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus in Berlin, macht ständiges Essen krank. Wir frühstücken, essen zu Mittag und Abend und snacken unentwegt zwischendurch. Die permanente Nahrungsmittelzufuhr überfordere unseren Stoffwechsel, schreibt Michalsen in seinem Buch »Mit Ernährung heilen«. Die Forschung zeige, dass Organismen, die regelmäßig fasten, einen verbesserten Stoffwechsel haben. Ihre Lebensdauer kann sich dadurch um bis zu 30 Prozent verlängern.

Heilfasten wirkt laut Michalsen vorbeugend oder verbessert Krankheitsbeschwerden. Ein weiterer positiver Effekt auf das Essverhalten: Durch das Fasten lernt der Mensch wieder, echten Hunger von Appetit und Essgelüsten zu unterscheiden. Wichtig ist dabei: Wer heilfastet, entscheidet sich freiwillig dazu, in dem Bewusstsein, seinem Körper für eine begrenzte Zeit durch den Verzicht auf Essen etwas Gutes zu tun. Hunger dagegen ist unfreiwillig.

»Um Gottes Willen, wie soll ich das durchhalten?« fragte sich Birgit Kamps (Name von der Redaktion geändert) am zweiten Tag ihres ersten Heilfastens. Einige Pfunde zu viel und die begeisterten Schilderungen einer fastenden Freundin über weniger Rücken-, Knieschmerzen und Migräneanfälle hatten die 49-jährige Grundschullehrerin vor vier Jahren motiviert, das Heilfasten nach Karneval auszuprobieren. Ihre Freundin, die parallel fastete, sagte, sie dürfe am Anfang ruhig schlechte Laune haben, die vergehe. »An Tag 4 war ich voller Tatendrang. Ich hatte das Gefühl, die Energie ist nicht mehr im Darm, sondern überall im Körper«, schildert Kamps gegenüber PTA-Forum. Seitdem fastet sie regelmäßig im Frühling und Herbst für fünf Tage nach Buchinger, der am häufigsten in Europa praktizierten Heilfastenmethode. Neben anderen positiven Effekten, die sie durch das Fasten erfährt, verbessere das Fasten ihre starken Unterleibsschmerzen während der Regelblutung, zumindest für eine gewisse Zeit.

Nichts Festes

Nach der Fastenmethode nach Buchinger nimmt der Anwender täglich weniger als 500 Kilokalorien über Flüssignahrung zu sich, in der Regel 200 bis 300 Kilokalorien. Auf feste Nahrung wird verzichtet, damit das Kauen keinen Hunger auslöst. Morgens und mittags stehen je 250 ml Gemüsesaft und abends 250 ml Gemüsebrühe auf dem Plan. Gemüsesaft ist zum Fasten besser geeignet als Obstsaft, weil er weniger Fructose enthält und so die Hormonspiegel von Insulin und dem Wachstumshormon IGF-1 stärker absinken. Tagsüber trinkt der Fastende 2 bis 3 Liter Flüssigkeit, Wasser und ungesüßte Kräutertees, und fördert damit die Durchspülung der Nieren.

Ein täglicher 30-minütiger Leberwickel am Mittag, bei dem eine Wärmflasche auf einem warmen Tuch in Leberhöhe auf der Haut liegt, soll die Durchblutung der Leber anregen, die der Theorie zufolge durch das Fasten stärker arbeiten muss. Eine Darmentleerung zum Fastenstart mittels Glauber- oder Bittersalz ist nicht zwingend notwendig, wird aber meist angewendet. So verbleibt der Darminhalt aus der Zeit vor dem Fasten nicht über Tage im Darm. Bei der Technik nach Buchinger wird der Darm auch alle zwei Tage während des Fastens entleert.

Die Fastentage liegen zwischen zwei Entlastungs- und drei Aufbautagen, die Körper und Geist auf die Nahrungsumstellung vorbereiten. An den Entlastungstagen entwässern salzarme leichte Mahlzeiten mit Hafer, Naturreis oder Hirse sowie Obst und Gemüse den Körper und entlasten die Verdauungsorgane vor dem Fasten. Zum Fastenbruch am ersten Aufbautag kann der Fastende einen Apfel zum Frühstück, mittags einer Gemüse-Kartoffel-Suppe und abends Naturreis mit Gemüse und Kräutern zu sich nehmen und so zugleich den Aufbau des Darm-Mikrobioms fördern. Weiterhin wird reichlich getrunken. Am zweiten und dritten Aufbautag kommen morgens zum Apfel etwa 50 g Haferbrei und 100 g Beeren dazu. Mittags gibt es mit Kartoffel und Gemüse oder einem Salat und einem Esslöffel Öl feste Nahrung, abends eine Gemüsesuppe. Der Körper lagert nun wieder Wasser ein. Das Körpergewicht steigt.

Alternative Schleimfasten

Wer durch die Gemüse- oder Obstsäfte Magenprobleme bekommt, kann das Schleimfasten nach F.X. Mayr ausprobieren. Bei der Milch-Semmel-Kur wird zweimal täglich ein Bissen altes Brot oder Brötchen im Mund zerkleinert und eingespeichelt, anschließend mit Milch hinuntergeschluckt. Zentrales Element ist hier das Kauen. Der Anwender stoppt spätestens dann mit dem Essen, wenn er ein Sättigungsgefühl spürt. Fastenexperte Michalsen empfiehlt diese klassische Variante heute nicht mehr, da tierisches Eiweiß, wie es in der Milch vorkommt, einen Teil der Fasteneffekte zunichte mache.

Eine Nulldiät, bei der es zu vermehrtem Muskelabbau kommt, ist nach Michalsens Verständnis ebenso kein Heilfasten wie eine Schrotkur, die zwischen Trinktagen mit zwei Gläsern Wein und Trockentagen abwechselt. Auch das Basenfasten, bei dem sich der Anwender für mehrere Tage vegetarisch mit viel Wurzelgemüse und ohne Brot ernährt, zähle nicht zum Heilfasten, weil die tägliche Kaloriensenkung auf unter 500 Kilokalorien fehlt.

Die Fastendauer ist von den vorhandenen Fettreserven abhängig. Signale für einen notwendigen Fastenbruch können auftretendes körperliches oder psychisches Unwohlsein sein sowie Müdigkeit und Leistungsabfall. Michalsen empfiehlt mindestens fünf, maximal 28 Fastentage am Stück, je nach Länge nicht häufiger als zwei- bis viermal jährlich.

Achtsamer Neustart

Das Heilfasten ist für die meisten Anwender nicht nur ein bewusster und freiwilliger Verzicht auf feste Nahrung, sondern ein ganzheitliches Erlebnis, eine Zeit, in der man Körper und Geist mehr Achtsamkeit schenkt. Dazu können eine intensivere Zahn- und Zungenpflege, Spaziergänge, Meditation, Yoga oder Qigong, Ruhepausen sowie Saunagänge bei niedrigen Temperaturen und Kneipgüsse zur Anregung der Durchblutung beitragen.

Für Lehrerin Kamps ist das Heilfasten wie ein Neustart des Körpers. Sie achtet während des Fastens und in der Zeit danach verstärkt auf ihre Körpersignale, macht sich bewusst, was ihr Körper braucht und womit sie ihm zu viel zumuten würde. Auch Michalsen erlebt in der Praxis, dass das Heilfasten für viele auch ein Trigger ist, ihre Ernährung umzustellen und gesünder und bewusster zu leben.

Im Fastenmodus baut der Körper Fett ab, um Energie zu gewinnen, durchschnittlich 300 bis 400 g Fett pro Fastentag. An den ersten Fastentagen baut der Körper außerdem etwas Protein ab. Meist führt aber vor allem der Wasserverlust zur größten Gewichtsabnahme, weil der Fastende kein Salz isst, der Spiegel entwässernder Hormone ansteigt und der Insulinspiegel sinkt. Kehrt er zum normalen Essen zurück, lagert der Körper aber recht schnell wieder einen Teil Wasser ein. Wer Medikamente einnimmt, sollte generell nur unter ärztlicher Begleitung fasten, am besten in einer Klinik. Mit dem Arzt sollte die Einnahme oder das Absetzen der Medikamente während der Fastenzeit besprochen werden.

Ketonkörper liefern Energie

Heilfasten wirkt etwa positiv auf Gehirn und Nervensystem, das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem, den Magen-Darm-Trakt, auf Nieren, Leber, Fettgewebe und Bauchspeicheldrüse sowie auf das Muskelgewebe und die Gelenke. Fasten führt zu Fettabbau und zur Erholung verschiedener Hormone und Steuerungssysteme, die an der Verdauung und Verarbeitung der Nahrung beteiligt sind. Ketonkörper entstehen als Energielieferant: Wenn gefastet wird, setzt die Leber für die ersten 10 bis 16 Stunden Glykogenreserven für die Energie- und Zuckergewinnung frei, das Glykogen wird zu Zucker umgebaut. Sind die Vorräte leer, startet der körpereigene Fettabbau. Der Körper nutzt die frei werdenden Fettsäuren zur Energiegewinnung, für das Gehirn produziert er Ketonkörper. Diese scheinen laut Michalsen für die gesundheitsfördernden Effekte des Fastens eine wichtige Rolle zu spielen.

Ein leichter Hungerstress zu Beginn des Fastens ist positiv für den Körper, weil dabei für Zellschutz und Reparatur zuständige Gene und Proteine aktiviert werden. Während des Fastens widmet sich der Körper dann stärker der Reparatur von Genen, Proteinen und Mitochondrien. Das Fasten regt zudem Körperzellen an, schadhafte, alte Bestandteile abzubauen und wieder zu verwerten. Trigger dieser Autophagie ist ein niedriger Insulinspiegel. Durch Fasten kann sich zudem der Darm erholen, die Darmflora kann sich normalisieren. Und nicht zuletzt hebt Fasten die Stimmung, denn es ist mehr Serotonin verfügbar, und Endorphine und Endocannabinoide werden vermehrt ausgeschüttet.

So fällt das Fasten leichter

»Alleine hätte ich das erste Mal Heilfasten nicht geschafft«, erinnert sich Birgit Kamps. Sie hatte die Unterstützung ihrer Freundin, andere schließen sich Fastengruppen an oder besuchen eine Fastenklinik. Hilfreich ist, sich vorher Gedanken über Länge und den Zeitraum des Fastens zu machen, etwa an einem Freitag zu starten, damit die krisenhaften ersten Tage an einem stressfreien Wochenende stattfinden. Auch sollte man vorab schon alle Zutaten für die Entlastungs- und Fastentage kaufen. Wichtig ist auch Ablenkung: Alles, was Spaß macht, ist erlaubt.

Birgit Kamps fiel das Fasten beim zweiten Mal schon viel leichter. Sie hatte nun einen »Plan im Kopf« und bereits erlebt, dass ihr Körper die Tage ohne feste Nahrung gut schaffen kann. Sie hatte auch ein Stück Selbstkontrolle erfahren, war stolz auf das Erreichte und darauf, ihrem Körper etwas Gutes getan zu haben.

 

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