Gesund in die Jahre kommen |
Isabel Weinert |
09.04.2021 16:00 Uhr |
Der Alterungsprozess ist noch immer unausweichlich. Doch auch, wenn die Gene einiges festlegen, hat der Einzelne ein Stück weit in der Hand, wie gesund er altern wird. / Foto: Adobe Stock/Dmitry Berkut
Schon im Mutterleib beginnt das Altern, die biologische Altersuhr tickt unentwegt in jeder einzelnen Zelle des Körpers. »Moleküle, Eiweiße, Fette, Organellen wie die Mitochondrien, Zellen, Organe und Gewebe – all das ist dem Alterungsprozess unterworfen«, sagt der Biomediziner Professor Dr. Christoph Englert, Leiter der Molekularen Genetik am FLI – Fritz-Lippmann-Institut in Jena, gegenüber PTA-Forum. Wie bei einem Auto verschleißen verschiedene Komponenten und Strukturen auch im Organismus. Das sieht und spürt man irgendwann. Doch während sich optisch mittlerweile Zeichen des Alterns kaschieren und operieren lassen, gelingt das mit dem Inneren des Menschen nicht so leicht. Zu viele winzigste Zahnrädchen, Stellschräubchen, Hebelchen, an denen das Älterwerden nagt und die daraufhin nicht mehr richtig funktionieren.
Wissenschaftler suchen zum einen nach Möglichkeiten, das Altern aufzuhalten, und zum anderen nach Ansätzen, ein gesundes Altern zu ermöglichen. Dabei richten sie ihren Fokus auf verschiedene Faktoren, die ihres Erachtens eine wichtige Rolle im Prozess des Älterwerdens spielen.
Das »Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns« nennt hier unter anderem die sogenannte Genomische Stabilität. Darunter versteht man die Unversehrtheit der DNA, die in jeder Körperzelle vorliegt. Das Erbgut besteht aus über drei Milliarden DNA-Bausteinen, den Nukleotiden. In ihrer Gesamtheit bezeichnet man sie als Genom. Jeder Mensch hat sein ganz eigenes, individuelles Genom.
Die DNA hat es nicht leicht. Von innen und außen wird sie in jeder einzelnen Körperzelle pro Tag bis zu einer Million Mal geschädigt. In der Jugend ist das trotz der hohen Zahl der Schadstellen nicht schlimm, verfügt der Organismus doch über eine Menge spezieller DNA-Reparaturmechanismen. Damit gelingt es jedoch nie, alle Schäden auszumerzen. Diejenigen, die bleiben, integrieren sich als Mutationen im Genom. Mit den Lebensjahren eines Menschen nimmt die Zahl dieser Fehlstellen zu. Damit steigt zum Beispiel das Risiko, an Krebs zu erkranken oder andere typische Alterskrankheiten zu entwickeln.
Gänzlich ausgesetzt ist der Mensch der DNA-Alterung jedoch nicht. So zeigen Untersuchungen, dass sich die Zahl der Schäden verlangsamt, wenn man zum Beispiel weniger isst. Auch die bekannten Tipps wie nicht rauchen, nur ab und an Gegrilltes essen, sich der Sonne nur selten aussetzen, helfen, DNA-Schäden geringer zu halten.
Was das Essen angeht, scheint es allerdings nicht zu genügen, den Gürtel irgendwann ab der Lebensmitte enger zu schnallen, will man seine Lebensspanne verlängern: Bei Mäusen führte die sparsame Ernährung nur dann zu einem längeren Leben, wenn sie von Geburt an wenig, aber Gesundes bekamen. Wissenschaftler gehen von der Existenz eines »Ernährungsgedächtnisses« aus. Daraus lassen sich Ernährungssünden vergangener Jahrzehnte nicht einfach löschen und für den Körper ungeschehen machen. Doch auch wenn Menschen die Lebensdauer mit einer Ernährungsumstellung in späteren Jahren wahrscheinlich nicht mehr ausbremsen können, so können sie mit weniger und gesunder Nahrung auf jeden Fall dazu beitragen, das Risiko für Alterskrankheiten zu senken.
Ein weiterer Faktor, der bei der Alterung mitmischt: die Telomere. Jahrelang standen sie auf der Bestenliste der Alternsforscher auf der Suche nach einem längeren Leben. Die Länge der Telomeren-Kappen schien maßgeblich über die Lebensdauer eines Menschen zu entscheiden. »Telomere bilden die Enden der Chromosomen des menschlichen Genoms und halten die Chromosomen stabil«, so Englert. Immer wenn sich eine Zelle teilt, geht auch ein kleines Stück Telomer verloren, mit dem Altern des Menschen werden die Chromosomenkappen also immer kürzer. Ab einer bestimmten Kürze stellen Zellen dann ihre Aktivität ein und teilen sich nicht mehr. Der Umkehrschluss der Wissenschaftler noch vor zehn bis 15 Jahren: Bleiben Telomere lange lang oder lassen sie sich medikamentös wieder verlängern, lebt auch der Mensch länger. Diese These hat sich nicht bestätigt, wie Englert erklärt: »Der Ansatz, die Verkürzung der Telomeren aufzuhalten oder sie gar wieder zu verlängern, hat sich als problematisch herausgestellt. Denn Versuche an Mäusen, die Telomere künstlich zu verlängern, führten dazu, dass sich bei den Tieren häufig Tumoren entwickelten. Trotzdem spielen Telomere für das Altern eine Rolle, keine Frage, aber sie sind nicht allein entscheidend«, so Englert.
Ebenfalls unter dem Einfluss des Alterns steht das sogenannte Epigenom eines Menschen. Englert erklärt: »Unsere Gene bestehen aus den vier Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Das sind die Buchstaben des genetischen Codes. Die Gene kodieren für bestimmte Proteine und damit für bestimmte Eigenschaften, wie zum Beispiel die Haar- oder Augenfarbe. Über dieser Ebene der eigentlichen Gene gibt es eine weitere, die als Epigenom bezeichnet wird. Das kann man sich vorstellen wie jede Menge Schalter an verschiedenen Orten im Genom. Diese Schalter können verschiedene Stellungen haben. Vereinfacht kann man sich das als Ein- oder Ausschalter vorstellen. Tatsächlich gibt es da noch alle möglichen Zwischentöne. Die Stellung dieser Schalter regelt, wie aktiv ein Gen ist, ob es abgelesen wird oder nicht und ist auch altersabhängig.« So können während des Alterns zum Beispiel auch Schalter verloren gehen. Die Folge: Gene werden nicht mehr haarfein und präzise in ihrer Aktivität gesteuert. »Das Epigenom wird deutlich durch äußere Faktoren beeinflusst, zum Beispiel durch Ernährung und Lebensstil, aber auch durch Stress, traumatische Erfahrungen und sogar durch Medikamente«, so Englert. Es ist vor allem die Epigenetik, über die Umweltfaktoren Einfluss auf Altern und Lebensspanne nehmen.
Die sogenannte Proteostase ist ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt für Alternsforscher. Sie beschreibt das Gleichgewicht der durch Proteinbiosynthese hergestellten Proteine in jeder einzelnen Körperzelle. Diese Proteine funktionieren nur, wenn sie exakt gefaltet sind. Das verändert sich jedoch mit dem Älterwerden, als würde eine gebügelte Tischdecke nicht mehr genau auf Falte zusammengelegt. Nicht richtig gefaltete Proteine müssen auch wieder abgebaut werden. Damit bringen die Wissenschaftler Krankheiten wie Alzheimer in Verbindung. Wird experimentell die Faltqualität der Proteine in Zellen von Mäusen erhöht, so erhöht sich die Lebensspanne der Tiere.
Auf der Kenntnis über das Epigenom beruht eine geniale Entdeckung von Steve Horvath, Professor für Humangenetik und Biostatistik an der University of California, Los Angeles, die sogenannte Horvath´sche Lebensuhr. Horvath entdeckte, dass sich an bestimmten Stellen die Schalter an der DNA, die sogenannten Epi-Marks, statistisch gesehen besonders zuverlässig mit dem Alter ändern. Diese Veränderungen stellten sich als derart konstant heraus, dass sich an ihrem Grad das Lebensalter ablesen lässt. Eine phänomenale Entdeckung, mit deren Hilfe Wissenschaftler zum Beispiel bestimmen können, ob (Arznei-)Mittel in der Lage sind, das biologische Alter eines Menschen tatsächlich zurückzudrehen – oder auch, welche Faktoren es vorantreiben. Die Wirksamkeit von »Therapien« gegen das Altern lassen sich auf diese Weise prüfen. Zudem kann man mit dieser Methode Aussagen darüber treffen, wie weit das chronologische (mit Geburt beginnende) und das biologische (das tatsächliche, dem Altern des Organismus entsprechende) Alter eines Individuums voneinander abweichen.
Mit dem Altern verändert sich auch die Sensibilität, mit der Körperzellen Nährstoffe wahrnehmen. Die Zellen stumpfen ab. Hier suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, die Wahrnehmung von Nährstoffen durch die Körperzellen wieder zu schärfen. Ein einfacher Weg: die Nahrungsaufnahme reduzieren. Ein anderer besteht darin, dem Körper vorzutäuschen, er bekäme weniger Nahrung, zum Beispiel durch spezielle Medikamente. Dabei widmet sich die Wissenschaft vor allem zwei Stoffwechselwegen im Körper: dem Insulin/Insulin-Wachstumsfaktor (IGF) und dem Target of Rapamycin (TOR-)-Stoffwechselweg. Ist das IGF- oder TOR-Netzwerk genetisch oder medikamentös gehemmt, so verlängert sich das Leben bei vielen Tieren. Wissenschaftler erhoffen sich daraus die Entwicklung effektiver Anti-Aging-Medikamente.
Von besonderem Belang in Bezug auf das Altern sind die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien, in denen den Zellen Energie durch die Verwertung von Sauerstoff zur Verfügung gestellt wird. Bei diesem Prozess fallen immer physiologisch reaktive freie Radikale an (ROS). Sie standen lange im Ruf, das Altern voranzutreiben, weshalb man versuchte, ihre Konzentration zu senken. Mittlerweile wissen die Forscher jedoch, dass eine gewisse Menge von freien Radikalen gebraucht werden. Stimmt die Balance in den Zellen nicht mehr, leistet die daraus resultierende mitochondriale Fehlfunktion Muskel- und Nervenerkrankungen Vorschub.
»Im Moment stark beforscht wird die sogenannte Autophagie. Das ist der Prozess, in dem Zellen zelleigene Abfallstoffe recyceln«, so Englert. Hier gibt es im Alter Störungen, die zum Beispiel bei der Entstehung von Alzheimer eine erhebliche Rolle spielen könnten. Ein weiterer wichtiger Prozess ist die zelluläre Seneszenz, also die altersbedingte Unfähigkeit von Zellen, sich weiterhin teilen zu können. Mehr noch: Manche dieser Zellen geben schädliche Moleküle an ihre Umgebung ab, die andere Zellen negativ beeinflussen können, schreibt das Max-Planck-Institut. Deshalb entwickeln Forscher sogenannte Senolytika, Medikamente, die seneszente Zellen abtöten oder zum Stillstand bringen sollen. Sie erhoffen sich davon, Alterungsprozesse und womöglich die Entstehung von Krebs aufhalten zu können.
Die Stammzellen, aus denen jeder Zelltyp hervorgehen kann und die der Erneuerung von Gewebe und Organen dienen, stehen ebenfalls im Fokus der Alternsforscher. Leider machen sie das im Laufe des Alterns immer unkontrollierter, was Krankheiten wie Krebs wahrscheinlicher macht.
Die Fähigkeit der Zellen, sich miteinander auf nahe und größere Distanz zu verständigen, lässt ebenfalls mit dem Altern nach. Sowohl das von einer Zelle »Gesagte« als auch das von der Empfängerzelle »Verstandene« verändern sich so, dass die Kommunikationsprobleme in chronischen Gewebeentzündungen und einem Versagen des Immunsystems münden können. Das Altern des Immunsystems bezeichnet man als Immunoseneszenz. Es macht schwere Infektionskrankheiten wahrscheinlicher und auch Autoimmunerkrankungen treten vermehrt auf. Die Immunoseneszenz ist eng mit der Thymusdrüse verbunden. Diese schrumpft im Laufe des Lebens und verkümmert um das 63. Lebensjahr herum vollständig. Deshalb erschöpfen sich dann bestimmte Immunzellen. Bei den wenigen Menschen, die sehr alt werden, scheint dieser Prozess weniger dramatisch abzulaufen. Ihr Immunsystem arbeitet auch in hohem Alter noch ordentlich.
Altern ist derzeit noch nicht umkehrbar. Ob der Mensch hier jemals maßgeblich und nebenwirkungsfrei eingreifen kann, ist fraglich. Was jeder Einzelne aber schon jetzt ein Stück weit in der Hand hat, ist die Art, wie er altert. Schädliches weglassen, gut für sich selbst sorgen, sozial in Verbindung bleiben – das sind Verhaltensweisen, die die Chancen steigern, bei guter Gesundheit in die Jahre zu kommen.
Ein Forscherteam um Dr. Gregory M. Fahy und Kollegen von der University of California, Los Angeles, behandelte über ein Jahr lang neun gesunde, freiwillige Männer zwischen 51 und 65 Jahren mit einem Cocktail aus humanem Wachstumshormon (rhGH), Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Metformin. Nach Messung des biologischen Alters vor und nach der Intervention waren die Männer im Schnitt um 1,5 Jahre jünger geworden, das heißt, die Medikamente scheinen die Lebensuhr ein kleines Stück zurückgestellt zu haben.
Professor Christoph Englert sieht die Intervention im Gespräch mit PTA-Forum kritisch: »Von diesen Medikamenten zu diesem Zweck halte ich persönlich wenig. So würde ich Wachstumshormon niemals einnehmen, denn wir wissen aus zahlreichen Studien, dass die Prozesse, die dadurch angestoßen werden, kontraindiziert sind, wenn man alt werden will. So existieren Arbeiten an Mäusen, die dann bedeutend länger lebten, wenn man das Wachstumshormon stark reduziert hatte. Auch Metformin wäre ohne medizinische Notwendigkeit keine Option für den Wissenschaftler.
Dass eine differenzierte Betrachtung extrem wichtig ist, zeigten Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena und ihre Kollegen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) am Beispiel von Metformin. Sie untersuchten die Langzeitwirkungen einer Meformin-Behandlung in einer nicht diabetischen Kohorte bei Applikation in verschiedenen Altersgruppen am Fadenwurm C. elegans sowie an menschlichen Primärzellen. Das Forscherteam um Professor Dr. Ermolaeva stellte fest, dass genau dieselbe Behandlung, die bei Applikation an junge C. elegans-Würmer deren Lebensdauer verlängerte, bei Applikation an alte Tiere hochgiftig war und bis zu 80 Prozent der Population innerhalb der ersten 24 Stunden nach Behandlung tötete, so die Pressemitteilung des Instituts. »Die menschlichen Zellen zeigten im Zellkulturmodell durchgängig eine fortschreitende Abnahme der Metformin-Toleranz, wenn sie sich zum Zeitpunkt der Applikation bereits der Seneszenz genähert hatten«, so die Autoren der Studie. Die Forscher bringen den schädlichen Effekt der Metformin-Gabe mit der altersbedingt verminderten Fähigkeit alter Zellen und Nematoden in Verbindung, sich an metabolische Stressoren (wie Metformin) anpassen zu können.