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Schwangerschaft

Gezielt supplementieren

In der Schwangerschaft sind Frauen oft hoch motiviert, sich gesund zu ernähren, damit ihr Kind optimal heranwachsen kann. Zugleich wissen sie oft nicht genau, ob ihre Bemühungen ausreichen und ob nicht doch ein Defizit an Nährstoffen besteht. Viele Schwangere suchen deswegen Rat in der Apotheke.
Annette Immel-Sehr
14.08.2019  13:00 Uhr

Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere und Stillende sind eine stark umworbenen Zielgruppe für Nahrungsergänzungsmittel. Was ist aus fachlicher Sicht notwendig? In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an einigen Nährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen tatsächlich an. Bei den meisten dieser Stoffe deckt eine abwechslungsreiche Ernährung allerdings ohne Weiteres den Mehrbedarf. Zudem sorgt der mütterliche Organismus selbst vor: So steigt in der Schwangerschaft beispielsweise die Resorptionsquote von Eisen im Darm. Dennoch sind einige Nährstoffe kritisch – bei ihnen reicht die übliche Ernährung nicht oder nicht sicher, um Mutter und Kind optimal zu versorgen.

Das Netzwerk »Gesund ins Leben« der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gibt in Absprache mit den führenden Fachgesellschaften wissenschaftlich fundierte Empfehlungen als Leitfaden für einen gesunden Lebensstil heraus. Die Empfehlungen für die Schwangerschaft wurden Anfang dieses Jahres aktualisiert und erweitert. Demnach sollen werdende Mütter Folsäure und Jod sowie gegebenenfalls Docosahexaensäure (DHA) und Eisen supplementieren.

Zu wenig Folat

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen eine tägliche Zufuhr von 300 Mikrogramm Folat. »Folat« ist ein Überbegriff für zahlreiche in Lebensmitteln vorkommende Verbindungen. Sie eint dasselbe chemische Grundgerüst und eine ähnliche Vitaminwirkung. Folsäure selbst ist eine synthetische Verbindung.

Laut der Nationalen Verzehrstudie aus dem Jahre 2005/6 liegt die mittlere Folat-Zufuhr bei Männern bei 207 Mikrogramm pro Tag. Frauen nehmen durchschnittlich nur 184 Mikrogramm täglich auf. Gründe für die suboptimale Versorgung liegen darin, dass auch Frauen zu wenig Gemüse und Obst essen und dass die Lagerung und Zubereitung entsprechender Nahrungsmittel Verluste an Folaten mit sich bringen. Die empfohlene Zufuhrmenge für Schwangere, nämlich 550 Mikrogramm pro Tag, gelingt selbst mit einer sehr gezielten Lebensmittelauswahl kaum. Dies ist ein Problem, denn bei einer Folatunterversorgung in der frühen Schwangerschaft besteht für das Kind ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen am Gehirn und/oder Rückenmark.

Die häufigste Form ist die sogenannte Spina bifida, besser bekannt als »offener Rücken«. Bereits in der frühen Schwangerschaft, nämlich zwischen dem 22. und dem 27. Tag, entsteht beim Embryo das sogenannte Neuralrohr, die Vorform des späteren Rückenmarkkanals. Zu diesem Zeitpunkt wissen Frauen oft noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Bei einer unzureichenden Folatversorgung in dieser kritischen Phase steigt das Risiko, dass das Neuralrohr sich nicht oder nicht vollständig schließt. Neuralrohrdefekte können zwar auch andere Ursachen haben, doch belegen zahlreiche Studien, dass sich die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten durch Einnahme von Folsäurepräparaten verringern lässt. Zudem sinkt die Häufigkeit von angeborenen Herzfehlern, Fehlbildungen der ableitenden Harnwege sowie von Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten.

Frauen, die schwanger werden wollen, sollten 400 Mikrogramm Folsäure pro Tag supplementieren. Mit der Einnahme sollten sie schon dann beginnen, wenn sie schwanger werden möchten und nicht mehr verhüten. Der frühe Beginn ist wichtig, weil es rund sechs Wochen dauert, bis ein ausreichender Folatspiegel erreicht wird. Die Empfehlung lautet, die Supplementierung während des gesamten ersten Drittels der Schwangerschaft fortzuführen.

Genetisch im Mangel

Folsäure wird im Körper in seine Wirkform 5,6,7,8-Tetrahydrofolat umgewandelt. Diese Umwandlung ist bei manchen Menschen durch genetisch bedingte Unterschiede im betreffenden Enzym begrenzt. Die aufgenommene Folsäure kann dann nicht optimal in ihre Wirkform überführt werden, was im Fall einer Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für einen Neuralrohrdefekt einhergeht. Ob bei einer Frau eine solche Genvariante vorliegt, ist in der Regel nicht bekannt. Wer ganz sicher gehen möchte, sollte deshalb nicht Folsäure, sondern direkt den aktiven Metaboliten (Metafolin) zuführen.

Frauen, die bereits mit einem Kind mit Neuralrohrdefekt schwanger waren, sollten vor der nächsten Schwangerschaft nach Rücksprache mit dem Gynäkologen eine deutlich höhere Dosis Folsäure beziehungsweise Metafolin einnehmen, da das Risiko für Geschwisterkinder hoch ist, ebenfalls eine solche Fehlbildung zu erleiden. Falls die Monatsblutung unerwartet ausbleibt, kann es sinnvoll sein, sofort mit einer sehr hohen Dosis zu beginnen.

Jod äußerst wichtig

In der Schwangerschaft nimmt der Jodbedarf zu, da mehr Schilddrüsenhormon synthetisiert wird und auch die Schilddrüse des Kindes etwa ab der zwölften Schwangerschaftswoche Hormone bildet. Zwar steigt der Bedarf nur um 15 Prozent, doch da die meisten Frauen schon vorher nicht optimal versorgt sind, besteht in der Schwangerschaft ein relevantes Defizit, das allein durch Seefisch und Jodsalz nicht zu beheben ist. Bei Jodmangel der Mutter steigt die Gefahr einer Früh- oder Totgeburt sowie für irreversible mentale und motorische Entwicklungsstörungen des Kindes. Manche Kinder kommen wegen Jodmangel schon mit einem Kropf zur Welt. Bereits eine geringe Vergrößerung der Schilddrüse kann unmittelbar nach der Geburt zu Atemstörungen und Schluckbeschwerden des Neugeborenen führen.

Fachgesellschaften empfehlen schwangeren und stillenden Frauen, 100 bis 150 Mikrogramm Iod pro Tag zu supplementieren. Aus Sicherheitsgründen sollte aber zuvor geklärt werden, ob die Schwangere schon andere jodhaltige Supplemente einnimmt oder sich besonders jodreich ernährt. Eine Überversorgung durch Mehrfach-Supplementierung, etwa durch Algen- und Multivitaminpräparate, ist zu vermeiden. Schwangere mit Schilddrüsenerkrankungen sollten vor einer Supplementierung mit ihrem Arzt sprechen.

Ausreichend Sauerstoff

Während der Schwangerschaft steigt der Eisenbedarf beträchtlich. Knapp die Hälfte der Schwangeren nimmt über die Ernährung deutlich weniger Eisen auf, als die DGE empfiehlt. Führt dies zu einem deutlich erniedrigten Hämoglobinwert, bekommt das Kind womöglich nicht genug Sauerstoff. Dieser Mangel kann seine Entwicklung verzögern, für Geburtskomplikationen und ein geringes Geburtsgewicht sorgen. Daher messen Gynäkologen im Rahmen der Schwangeren-Vorsorge regelmäßig den Hämoglobinspiegel im Blut. Liegt er unter einem bestimmten Grenzwert, verordnen sie in der Regel ein Eisen-Präparat. Eine grundsätzliche Supplementierung jeder Schwangeren mit Eisen empfehlen die Fachgesellschaften allerdings nicht. Denn auch ein Zuviel kann schaden.

Das richtige Fett

Omega-3-Fettsäuren sind während der Schwangerschaft besonders für die Entwicklung von Gehirn und Sehvermögen des Kindes unentbehrlich. Vor allem Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure (DHA) spielen hier eine wichtige Rolle. Die DGE empfiehlt Schwangeren, durchschnittlich mindestens 200 Milligramm DHA pro Tag aufzunehmen - vorzugsweise aus zwei Portionen fettem Meeresfisch pro Woche. Wem dies nicht schmeckt, der kann auf Supplemente zurückgreifen, die 200 Milligramm DHA pro Tag zuführen.

Calcium ist für die Knochenmineralisierung und für eine optimale Wirkung von Vitamin D unentbehrlich. Die DGE sieht allerdings keinen erhöhten Bedarf in der Schwangerschaft und Stillzeit. Die empfohlene tägliche Zufuhr von 1000 mg lässt sich über eine abwechslungsreiche Mischkost mit reichlich Milch und Milchprodukten leicht erreichen.

Magnesium wird in der Schwangerschaft in der Regel nur supplementiert, wenn Wadenkrämpfe auftreten. Allerdings sollte ein Arzt Beschwerden im Bein zunächst abklären, um eine Thrombose oder eine Venenentzündung auszuschließen.

Bei Mehrlingsschwangerschaften oder bei zwei und mehr Schwangerschaften in kurzer Folge gelten die oben genannten üblichen Empfehlungen nicht ohne weiteres. Der Nährstoffbedarf kann deutlich höher liegen, da die Vorräte des Körpers erschöpft sind. Besondere Aufmerksamkeit benötigen auch Schwangere, die untergewichtig, chronisch krank oder alkoholabhängig sind. Auch Frauen, die sich vegan ernähren, tragen ein erhöhtes Risiko für einen Mangel an bestimmten Nährstoffen. Bei all diesen Frauen sollte der Frauenarzt die zu supplementierenden Nährstoffe und deren Dosierung individuell festlegen. 

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