Gute Ruhe, gute Nacht |
Gut geschlafen? Pflanzliche Sedativa können die Schlafqualität verbessern. / Foto: Getty Images/Seb Oliver
Von gutem Schlaf können viele Deutsche nur träumen. Umfragen ergeben regelmäßig, dass rund jeder dritte Deutsche zumindest zeitweise nachts umsonst Schäfchen zählt und fast jeder zehnte dauerhafte Ein- oder Durchschlafstörungen hat.
Dass Betroffene abends nicht einschlafen können, sich nachts von einer Seite auf die andere drehen und morgens lange vor dem Weckerklingeln die Augen wieder aufmachen, liegt oft an einer enormen inneren Anspannung. Überforderung, Zeitdruck, Ängste und Stress lassen die Betroffenen nicht zur Ruhe kommen. Nervöser Unruhe und Getriebensein am Tag folgen Schlafstörungen in der Nacht. Sorgen und der Berg anstehender Aufgaben scheinen im Schlafzimmer noch zu wachsen, das Gedankenkarussell kreist unaufhörlich. Die Sehnsucht nach Schlaf wird immer größer und der Druck, nicht genug Schlaf zu bekommen, erschwert das Einschlafen zusätzlich.
Grundlage jeder Therapie ist deshalb, Lebensplanung und Tagesablauf zu überdenken. Das Erlernen von Regeln zur Schlafhygiene ist essenziell (siehe Kasten). Zusätzlich bietet es sich an, den Teufelskreis aus nervöser Anspannung und Schlaflosigkeit medikamentös zu durchbrechen. Chemisch-synthetische Mittel wie Benzodiazepine sind zwar meist sehr wirksam, haben aber häufig Nebenwirkungen wie einen Hangover am nächsten Tag, und sie können abhängig machen. Pflanzliche Beruhigungsmittel sind hingegen mild wirksam, haben kaum Nebenwirkungen, schränken die Leistungsfähigkeit und Fahrtüchtigkeit nicht ein und machen nicht abhängig. Allerdings wirken Phytopharmaka nicht sofort. Ein Effekt ist erst nach ein paar Tagen der Einnahme zu erwarten. Auf diese Latenzzeit ist im Beratungsgespräch hinzuweisen.
Unter den schlafanstoßend wirkenden Heilpflanzen ist die Wurzel des Echten Baldrians (Valeriana officinalis) die am besten untersuchte. Klinische Daten deuten darauf hin, dass sich die Schlafqualität zwar verbessert, ich aber die Einschlafzeit kaum verkürzt. Eine Leitlinien-Empfehlung für Baldrian gibt es nicht; die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin vermerkt darin, dass es zu Baldrian, genauso wie zu Hopfen, Passionsblume und Melisse, keine genauen Daten gebe.
Echter Baldrian soll die Schlafqualität verbessern, verkürzt aber laut Studien nicht die Einschlafzeit. / Foto: Shutterstock/Marina Lohrbach
Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe sind nicht endgültig identifiziert. Fakt ist, dass die lange favorisierten Valepotriate in Extrakten nicht oder nur in Spuren nachweisbar sind. Von Bedeutung scheinen eher die enthaltenen Lignane zu sein. So konnte für das hydrophile Lignan Olivil in vitro nachgewiesen werden, dass es als partieller Agonist am Adenosin-1-Rezeptor fungiert. Adenosin dämpft das aktivierende System im Vorderhirn, indem es die Ausschüttung aktivierender Transmitter hemmt. Hohe Konzentrationen an Adenosin sorgen so für einen hohen Schlafdruck, der sich im Laufe des Tages aufbaut – ein Prozess, der durch die adenosinerge Wirkung von Baldrian-Lignanen direkt unterstützt wird. Ein allgemeingültiges pharmakologisches Prinzip existiert bislang aber nicht.
Der Markt an Baldrianpräparaten ist unübersichtlich; die Rote Liste führt mehr als 50 Präparate auf. In der Offizin sind Präparate empfehlenswert, die gemäß der Monographie des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA dem well-established use entsprechen. Das sind Trockenextrakte der Baldrianwurzel mit einem DEV (Droge-Extrakt-Verhältnis) von 3 bis 7,4:1, die mit dem Auszugsmittel Ethanol 40 bis 70 Prozent hergestellt wurden (wie Baldrivit®, Euvegal® Balance, Baldriparan® stark für die Nacht, Luvased® mono, Moradorm® Beruhigung Baldrian, Sedonium®). Sie werden zur Behandlung von leichten nervösen Spannungen und Schlafstörungen angewendet. Andere Zubereitungen, wie Baldrianpulver, -trockenextrakte, -tinkturen oder -presssäfte, dienen traditionell zur Linderung von leichtem Stress und als Schlafhilfe und werden dem traditional use zugeordnet.
Bei nervöser Unruhe nimmt man am besten dreimal täglich eine Dosis von 400 bis 600 mg Trockenextrakt ein. Schlafstörungen lassen sich mit einer Einzeldosis eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen behandeln.
Kombinationspräparate mit anderen potenziell schlafanstoßend und spannungslösend wirkenden Heilpflanzen wie Hopfenzapfen, Melissenblätter, Passionsblumenkraut und Johanniskraut gibt es in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen, Extraktformen und Dosierungen. In der Kombination können sich die Eigenschaften der Arzneipflanzen ergänzen und verstärken. Doch nur für die Fixkombination aus Baldrianwurzel/Hopfenzapfen (wie in Allunapret®, Abtei Baldrian-Hopfen Beruhigungs-Dragees, Methanol-Trockenextrakte) hat die EMA aufgrund positiver Studienergebnisse den Status well-established use vergeben. Klinische Studien zeigen einen schlaffördernden Effekt, der der Wirkung der Monotherapie mit Baldrianextrakt überlegen ist.
Geprüfte Phytopharmaka mit Baldrian- oder Hopfenextrakt sind potenter als Schäfchen zählen. / Foto: Shutterstock/oksana2010
Hopfenextrakt, gewonnen aus den weiblichen Blütenständen von Humulus lupulus, enthält Bitterstoffe wie Humulone und Lupulone sowie als Leitsubstanz das Chalkon Xanthohumol. Aus den Bitterstoffen entsteht bei längerer Lagerzeit und vermutlich auch in vivo 2-Methyl-3-buten-2-ol, das in hohen Dosen im Tierversuch stark sedierend wirkt.
Als Wirkmechanismus diskutiert man vor allem Melatonin-ähnliche Effekte. In-vitro-Untersuchen zufolge binden methanolisch lösliche Hopfen-Inhaltsstoffe an die Melatoninrezeptoren ML1 und ML2 und steigern dadurch genau wie Melatonin selbst die Schlafbereitschaft. Melatonin ist der zentrale Taktgeber der inneren Uhr. Seine Freisetzung aus der Zirbeldrüse im Gehirn wird bei zunehmender Dunkelheit stimuliert. Durch Tageslicht nimmt seine Sekretion wieder ab. Eine Bindung von Melatonin an die entsprechenden Rezeptoren sorgt für ein Absinken des Blutdrucks, eine leichte Abnahme der Körpertemperatur sowie Müdigkeit, und hat dadurch eine schlaffördernde Wirkung. Der natürliche Schlaf-wach-Rhythmus wird unterstützt.
Neben Hopfen ist Johanniskraut ein häufiger Kombinationspartner der Baldrianwurzel. Freilich ist die eigentliche Spezialdisziplin standardisierter Johanniskrautextrakte die Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen, nervöser Unruhe und Angst. 900 mg Extrakt aus den getrockneten Triebspitzen von Hypericum perforatum sind Placebo signifikant überlegen und wirken bei besserer Verträglichkeit genauso effektiv wie synthetische Antidepressiva, was ihm auch die Aufnahme in die S3-Leitlinie zur unipolaren Depression eingebracht hat. Da Depressionen häufig mit Schlafstörungen einhergehen, verbessert sich meist auch der Schlaf, wenn die Depression behandelt wird.
Werden Baldrianwurzel und Johanniskraut als Trockenextrakte in Kombination eingesetzt, ist eine dreifache Wirkung zu erwarten: beruhigend, spannungslösend und stimmungsaufhellend. Untersuchungen zufolge scheinen die einzelnen Wirkaspekte zeitversetzt einzutreten: die beruhigende Komponente bereits nach wenigen Stunden, nach fünf bis sieben Tagen ein spannungslösender, reizabschirmender Effekt, und die stimmungsaufhellende Wirkung entfaltet sich nach etwa zwei Wochen. Allerdings gibt es derzeit kein entsprechendes Kombinationspräparat, das den Status well-established use vorweisen kann.
Als gut untersuchtes Phytopharmakon gegen leichte Angststörungen und innere Unruhe gilt ein spezielles Lavendelöl-Präparat aus Lavandula angustifolia (Lasea®). Bei der Einnahme bessern sich auch Schlafstörungen, die mit diesen Beschwerden verbunden sind. Das enthaltene Lavendelöl Silexan® besitzt einen hohen Gehalt an Linalool und Linalylacetat von rund 80 Prozent. Zwar wird Lavendelöl wegen seiner positiven Beeinflussung von Angststörungen in der S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen genannt, aber nicht empfohlen.
Lavendelöl in Kapselform lindert innere Unruhe und leichte Angststörungen. / Foto: Shutterstock/Boumen Japet
Für die Wirksamkeit macht man einen modulierenden Effekt auf Calciumkanäle verantwortlich. Dadurch soll das Gleichgewicht der Neurotransmitter wiederhergestellt werden, so die Vermutung. Die Lavendelöl-Zubereitung drosselt den Einstrom von Calciumionen in Nervenendigungen. Das bremst die Ausschüttung erregender Neurotransmitter wie Noradrenalin und Serotonin, weshalb sich die natürliche Reizfilterfunktion zwischen den Neuronen bei der Informationsweitergabe verbessern soll. In Studien war Silexan Placebo deutlich überlegen und äquipotent zu Lorazepam, und zwar ohne sedierend zu wirken und die Konzentration zu beeinflussen. Ein Abhängigkeitspotenzial ergab sich nicht. In einer weiteren Studie zeigte sich Silexan sowohl Placebo als auch Paroxetin überlegen.
Zugelassen ist das Präparat bei »Unruhezuständen mit ängstlicher Verstimmung«. Die Fachinformation verweist auf die Notwendigkeit des Arztbesuchs, wenn die Symptome nach zwei Wochen unverändert anhalten oder sich gar verschlechtern. Als Nebenwirkungen können Magen-Darm-Beschwerden wie Aufstoßen sowie allergische Hautreaktionen auftreten. Schwangere sollten Silexan nicht anwenden, da hierzu keine klinischen Daten vorliegen.