Hämophilie-Therapie eine Kunst |
Hämophilie-Kranken fehlt entweder der Gerinnungsfaktor VIII oder IX. Mit verschiedenen Faktorpräparaten kann man gezielt in die Gerinnungskaskade eingreifen. / Foto: iStock/BrianAJackson
Hämophilie wird auch als Bluterkrankheit bezeichnet. Dabei verursacht ein Gendefekt einen Mangel an Gerinnungsfaktoren: Bei Hämophilie A fehlt Gerinnungsfaktor VIII, bei Hämophilie B Faktor IX. Durch diesen Mangel treten bei Stürzen, Operationen oder spontan starke Blutungen auf. Da die Erkrankung X-chromosomal-rezessiv vererbt wird, trifft sie in erster Linie Männer. Frauen bleiben als heterozygote Trägerinnen fast immer asymptomatisch. Etwa 1 von 5000 Jungen kommt mit einer Hämophilie A zur Welt, fünfmal weniger mit Hämophilie B. Die Hälfte von ihnen erkrankt schwer, das heißt, die Aktivität des fehlenden Gerinnungsfaktors liegt unter einem Prozent. Der Defekt fällt bereits im Krabbelalter auf und unbehandelt würden die Betroffenen meist als Kind oder junger Erwachsener an unstillbaren Blutungen sterben.
Die Therapie der Hämophilie A und B besteht hierzulande seit etwa fünfzig Jahren aus der Substitution der Gerinnungsfaktoren. Diese erhielten die rund 6000 Betroffenen in Deutschland aus spezialisierten Hämophilie-Zentren – zumindest bis vergangenes Jahr. Durch eine Gesetzesänderung versorgen seit September 2020 nun Apotheken die Patienten mit ihren lebensnotwendigen Faktorpräparaten. Der Switch macht Sinn, weil mit dem neuen monoklonalen Antikörper nun erstmals ein Arzneimittel zur Verfügung stand (die Gerinnungsfaktoren sind Blutzubereitungen) und ein einheitlicher Vertriebsweg nötig wurde.
Den Mangel auszugleichen, klingt zunächst nach einer simplen Strategie. Doch so leicht ist es nicht! Denn standardisierte Therapien gibt es nicht, stattdessen benötigt jeder Patient eine fein abgestimmte, individuell angepasste Medikation. Rekombinant oder aus Blutplasma gewonnen? Wie oft, in welcher Dosis und nach welchem Konzept? Möglich sind zwei Wege: Die prophylaktische Gabe der Faktoren oder die »On-Demand«-Substitution bei Bedarf. Letztere erfolgt beispielsweise vor Operationen, bei Verletzungen oder Blutungen.
Gelenkblutungen treten vor allem bei mittelschwerer und schwerer Hämophilie auf und betreffen häufig Knie, Ellenbogen oder Sprunggelenk. Dabei schwillt das Gelenk an, schmerzt stark und es sammelt sich Blut im Gelenkspalt. Die Einblutung löst eine Entzündung der Gelenksinnenhaut aus, die wiederum die Blutungsneigung erhöht und selbst von rezidivierenden Blutungen unterhalten wird - ein Teufelskreis entsteht. Daher müssen Patienten sofort mit Gerinnungsfaktoren und Kühlen reagieren! Trotzdem können Bluter Gelenkschäden auf Dauer kaum vermeiden. Bei Schmerzen dürfen für wenige Tage Paracetamol, Diclofenac, Naproxen oder Metamizol Linderung verschaffen. Bei länger andauernden Beschwerden muss unbedingt Rücksprache mit dem Hämophilie-Zentrum erfolgen. Acetylsalicylsäure und Ibuprofen sind tabu.