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Broken-Heart-Syndrom

Herz in der Zwickmühle

»Es brach ihr das Herz, und sie sank tot nieder«, heißt es am Ende des Märchens »Gottes Speise« der Brüder Grimm. Auch im realen Leben kann das Herz vor Kummer krank werden. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts, die Ursache liegt aber nicht in verengten Gefäßen, sondern im Herzmuskel selbst. Betroffen sind vor allem Frauen.
Barbara Erbe
30.06.2020  09:30 Uhr

Atemnot, Brustenge und Schmerzen im Oberkörper: Die Symptome eines Broken-Heart-Syndroms gleichen denen eines Herzinfarkts. Doch etwas ganz anderes steckt dahinter. Entdeckt wurde das Phänomen 1991 von japanischen Forschern, berichtet Dr. Jana Boer, Sprecherin der Arbeitsgruppe Gendermedizin im Berufsverband niedergelassener Kardiologen, im Gespräch mit PTA-Forum. Die Forscher zeigten anhand von Ultraschallbildern, dass der Herzmuskel bei einigen ihrer Patienten teilweise gelähmt war. Gleichzeitig hatte sich die linke Herzkammer wie ein Ballon aufgebläht. Das Bild erinnerte die Mediziner an einen »Takotsubo«, eine landestypische Krakenfalle aus Ton. Diese Beobachtung erklärt die medizinische Bezeichnung der Takotsubo-Kardiomyopathie für das Broken-Heart-Syndrom.

Als Ursache für diese Aufdehnung machten die Forscher Bewegungsstörungen im Muskel der linken Herzkammer aus, häufig im Bereich der Vorderwand und der Herzspitze. »Dort haben Broken-Heart-Patienten besonders viele Rezeptoren für Stresshormone«, erklärt Boer. »Docken dann tatsächlich viele Stresshormone an, kann das die Herzfunktion dramatisch absenken.«

Belastung für Herzmuskel

Wie genau es zu der Herzschwäche kommt, ist noch nicht umfassend geklärt, erläutert Professor Dr. Hugo Katus, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. »Sicher gibt es erhebliche individuelle Veranlagungen, denn nicht alle Menschen reagieren mit einem Broken Heart auf extremen Stress.« Deshalb wird das Takotsubo auch den Kardiomyopathien zugeordnet, also den häufig genetisch bedingten Erkrankungen mit Herzmuskelschwäche.

Neben der Veranlagung und der unterschiedlichen Verteilung von Östrogenrezeptoren kommt auch der Herz-Hirn Interaktion eine große Bedeutung zu. »Wir wissen, dass Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Vorerkrankungen häufiger an Takotsubo erkranken und eine höhere Komplikationsrate als die Betroffenen ohne Vorerkrankungen haben.« Interessanterweise konnten in MRT-Untersuchungen des Gehirns von Takotsubo-Patienten auch ohne bekannte neurologische oder psychiatrische Vorerkrankungen strukturelle Veränderungen im limbischen System, das im Gehirn die emotionale und vegetative Reizverarbeitung moduliert, nachgewiesen werden. »Die überschießende Stressreaktion des Takotsubo-Patienten führt zu einer enormen Freisetzung von Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin. Durch ihre gefäßverengende Wirkung steigt einerseits der Blutdruck kritisch an mit erheblicher Mehrarbeit für den Herzmuskel, andererseits verschlechtert die Gefäßverengung die Durchblutung in den Organen - auch des Herzens mit entsprechender Kraftabnahme.«

Abgrenzung Herzinfarkt

Nach Schätzungen der Deutschen Herzstiftung haben rund ein Prozent aller Patienten, die wegen eines Verdachts auf Herzinfarkt notfallmäßig ins Krankenhaus kommen, ein Broken Heart Syndrom.

Der Unterschied zwischen einem Herzinfarkt und einem Broken-Heart-Syndrom wird erst bei der Untersuchung mit dem Katheter deutlich. Dann zeigt sich, dass die Herzkranzarterien beim Broken- Heart-Syndrom anders als beim Infarkt nicht verengt sind, die linke Kammer aber dennoch nicht mehr richtig arbeitet.

Somit ist das gebrochene Herz eine stressbedingte Sonderform der Herzmuskelerkrankung, erklärt die Kardiologin Boer. Denn neben der erblich bedingten gibt es auch die erworbene Kardiomyopathie, etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, sportliche Belastung trotz eines Infektes – oder eben als Reaktion auf schweren akuten Stress. Die häufigsten seelischen Auslöser dafür sind Trauer um einen oder auch Trennung von einem geliebten Menschen, Angststörungen, zwischenmenschliche Konflikte oder auch große finanzielle Probleme.

Betablocker-Schutz vor Stress

Aufgrund der völlig unterschiedlichen Entstehungsgeschichte der Beschwerden ist auch die Therapie eine andere. Während es beim akuten Herzinfarkt darauf ankommt, so schnell wie möglich wieder einen normalen Blutfluss herzustellen, geht es bei einer Kardiomyopathie darum, lebensbedrohende Herzrhythmusstörungen zu beseitigen und die Herzschwäche zu mildern. Patienten werden deshalb in der Regel in den ersten 48 Stunden auf der Intensivstation überwacht. Außerdem erhalten sie Betablocker, die das Herz vor der schädlichen Wirkung der Stresshormone schützen und Herzrhythmusstörungen verhindern.

Durch die Behandlung normalisiert sich die Herzleistung in der Regel in rund drei Monaten. Im Gegensatz zum Herzinfarkt bleiben keine Narben und keine anhaltenden Störungen des Herzmuskels zurück, und bei der Mehrzahl der Patienten heilt die Krankheit ohne Folgen aus. Allerdings kann es zu Rückfällen durch erneute Stresssituationen kommen. Deshalb sollten die Patienten auch nach der Gesundung regelmäßig ihr Herz kontrollieren lassen. Und nicht nur das. Wichtig ist vor allem eine psychotherapeutische Behandlung, betont Kardiologin Boer: »Es geht vor allem darum, den Patienten Bewältigungsstrategien zu vermitteln, um sich besser gegen Stress durch überwältigende Gefühle zu wappnen.« Dies gilt ganz besonders für Menschen mit neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen. Als hilfreich haben sich Entspannungstechniken wie Atemgymnastik, progressive Muskelentspannung, Tai-Chi, Qigong oder auch bestimmte Formen von Yoga erwiesen – und vor allem ein Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, über den eigenen Kummer mit einem vertrauten Menschen zu reden.

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