Hoch dosiert gegen Entzündungen |
Enzymreich und auch deshalb so gesund: die Ananas / Foto: Adobe Stock/Leonid
Jede lebende Zelle produziert Enzyme, für den Menschen sind bisher mehr als 2500 strukturell nachgewiesen. Auch die pflanzlichen und tierischen Zellen benötigen diese Biokatalysatoren zur Steuerung ihres Stoffwechsels. Hohe Enzymkonzentrationen finden sich zum Beispiel in frischen Früchten wie Ananas, Papaya oder Feigen.
Ein Brei aus Papaya- oder Ananasfruchtfleisch oder frischer Feigensaft diente schon im Altertum dazu, Gelenkschmerzen oder Darmbeschwerden zu behandeln. Erst im 19. Jahrhundert gelang es der Wissenschaft, das Wirkprinzip dieser Volksmedizin zu entschlüsseln. Louis Pasteur (1822–1895) schlussfolgerte im Jahr 1868, dass die Mikroorganismen über Substanzen verfügen, mit deren Hilfe sie organische Substrate chemisch verändern können, wie beispielsweise Zucker zu Alkohol. Er nannte diese Substanzen »Fermente«. Den Begriff »Enzym« prägte der deutsche Forscher Wilhelm Friedrich Kühne (1837–1900) als Kunstwort aus den altgriechischen Silben »en« und »zỳmē«, was so viel bedeutet wie »das in Sauerteig/Hefe Enthaltene«.
Erstmalig setzte der österreichisch-amerikanische Forscher Max Wolf (1885–1976) Enzyme bewusst zu medizinischen Zwecken ein. Er ging davon aus, dass proteolytische Hydrolasen in der Lage sind, die Schutzsubstanzen von Krebszellen aufzulösen und diese damit für das Immunsystem angreifbar zu machen. Gemeinsam mit Karl Ransberger (1931–2001) gilt Wolf als Begründer der Enzymtherapie. Auch viele andere Krankheiten sollten seiner Meinung nach gut auf eine Behandlung mit Enzymen ansprechen. Er entwickelte ein Gemisch aus Hydrolasen, die so genannten WOBE-Enzyme (benannt nach ihm selbst und seiner Technikerin Helen Benitez), das er bis zur Produktionsreife brachte. Wolf war mit seiner neuen Therapie in den aufgeschlossenen Vereinigten Staaten ein regelrechter Modearzt und behandelte unter anderem Charly Chaplin, Marylin Monroe und die Kennedys.
Bei Rheuma und Arthrose sollen Enzyme hilfreich sein. / Foto: Shutterstock/ImagePointFr
Die heutige Enzymtherapie beansprucht vor allem Indikationen, die mit Entzündungen einhergehen, wie Rheuma, Wundheilungsstörungen, Venenentzündungen, Harnwegsinfekte, Sinusitis, Ödeme, Arthrose und Obstipation, aber immer noch die Krebserkrankungen. Dort werden Enzyme vor allem genutzt, um Nebenwirkungen von Strahlen- und Chemotherapie zu mildern. So empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die vorbeugende Anwendung von Enzymen gegen Schleimhautläsionen im Mundbereich.
Für die Behandlung kommen Enzyme pflanzlichen (zum Beispiel Bromelain und Papain) und tierischen Ursprungs (wie Trypsin, Chymotrypsin und Pankreatin) zum Einsatz. Die Therapie wird als nebenwirkungsarm beschrieben, lediglich gastroenterale Beschwerden wie Blähungen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall können auftreten. Aufgrund der organischen Struktur der Enzyme sind allergische Reaktionen möglich. Bromelain und Trypsin sind als Arzneimittel zugelassen.
Kritiker der Therapierichtung bezweifeln vor allem die Möglichkeit der kompletten Resorption der Polypeptide. Tatsächlich zerlegen im Laufe des Verdauungsprozesses Peptidasen die langkettigen Eiweißmoleküle in einzelne Aminosäuren, Di- und Tripeptide, bevor diese im Dünndarm zur Resorption gelangen. Säuglinge können jedoch größere Proteine auf dem Weg der Endozytose aufnehmen. Dabei stülpen sich bestimmte Bereiche der Zellmembran des Darmendothels ein, umschließen die Proteinkörper und transportieren sie unverdaut in die Blutbahn. Der Dünndarm des Erwachsenen ist dazu nur noch in äußerst geringem Umfang in der Lage. Verschiedene Studien konnten jedoch zeigen, dass eine geringe Menge an Enzymen auch bei Erwachsenen die Blutbahn erreicht, weshalb sie peroral stets hoch dosiert und zwischen den Mahlzeiten oder parenteral verabreicht werden müssen.
Vor allem Naturmediziner, aber auch der Berufsverband Deutscher Internisten und die Deutsche Krebsgesellschaft empfehlen die Enzymtherapie als begleitende Maßnahme, niemals jedoch als alleinige Behandlungsmethode. Kontraindikationen sind Gefäßerkrankungen, Leber- und Nierenschäden, Schwangerschaft und die Therapie mit Gerinnungshemmern (Marcumar, Heparin). Allergiker sollten Enzyme mit Vorsicht anwenden. Wechselwirkungen mit Antibiotika und Chemotherapeutika sind möglich.