Hohe Temperatur ohne Infektion |
Bei mehr als 90 Prozent aller Betroffenen beginnt das Mittelmeerfieber vor dem 20. Geburtstag. / Foto: Shutterstock/George Rudy
Seit mehr als hundert Jahren kennen Pädiater bei kleinen Patienten ungewöhnliche, zeitlich begrenzte Fieberschübe, Veränderungen im Blutbild und Entzündungen der Haut. Zusammenhänge blieben ihnen verschlossen. Damals war die Kindersterblichkeit generell hoch, und die Molekularbiologie lag in weiter Ferne. Erst ab 1948 untersuchte Dr. Hobart Reimann, ein Arzt an der American University in Beirut, das familiäre Mittelmeerfieber systematisch.
Reimann hatte an seinem damaligen Arbeitsplatz Kontakt zu Patienten unterschiedlicher Ethnien, was seine Arbeit deutlich vereinfachte. Gelegentlich treten bei Patienten aus dem Mittelmeerraum periodische Fieberschübe auf. Meist erkranken sephardische, mizrahische und aschkenasische Juden, aber auch Armenier, Aserbaidschaner, Araber unterschiedlicher Herkunft, Kurden, Griechen, Türken und Italiener. Sie haben mehrere Stunden bis vier Tage lang eine Körpertemperatur zwischen 38 und 40 °C. Zwischen den Schüben können Monate oder Jahre ohne Beschwerden liegen. Bei mehr als 90 Prozent aller Betroffenen beginnt die Erkrankung vor ihrem 20. Geburtstag.
Fieber kann speziell bei Kindern das einzige Symptom sein. Meist kommen jedoch extrem starke Unterleibsschmerzen als Anzeichen einer Bauchfellentzündung hinzu. Sie treten bei 95 Prozent aller Patienten auf und können zu einer unnötigen Laparotomie führen, sprich einer chirurgischen Öffnung des Bauchraums. Ärzte vermuten oft eine Appendizitis, finden aber keinen entzündeten Wurmfortsatz. Neben dem Bauchfell ist bei 40 Prozent auch das Rippenfell entzündet. Die Betroffenen klagen über Schmerzen beim Luftholen und über Atemnot.
Andere Patienten haben starke Gelenkschmerzen, weil sich die Innenhaut ihrer Gelenkkapseln entzündet. Erysipel-artige Rötungen der Haut, Muskelschmerzen oder Entzündungen der Scheidenhaut des Hodens (Tunica vaginalis testis) treten eher selten auf.
Foto: PTA-Forum
Beim autosomal-rezessiven Erbgang tritt eine Erkrankung nur auf, wenn sich Mutationen in beiden Kopien des Gens befinden. Dazu ein Beispiel: Mutter und Vater tragen neben dem intakten Gen (R) das Risikogen (r), ohne Beschwerden zu haben. Bei ihren Kindern ist die Wahrscheinlichkeit statistisch 1:4, dass sie von beiden Elternteilen das Risikogen (r) vererbt bekommen und dann am Mittelmeerfieber leiden. Dieser Erbgang kann auch mehrere Generationen überspringen. Bei den violett gefärbten Figuren handelt es sich um Menschen mit einem Risikogen, aber ohne Symptome. Rot bedeutet, dass die Betroffenen beide Risikogene tragen und die typischen Krankheitssymptome aufweisen. Die blau gefärbten Personen haben kein Risikogene und sind gesund.
Diese unterschiedlichen Symptome machten Ärzten zu früheren Zeiten das Leben schwer. Sie suchten nach Bakterien, Viren, Pilzen oder Plasmodien, wurden aber nicht fündig. Im Blut fand man auffällig viel C-reaktives Protein und mehr Leukozyten als üblich: zwei typische Hinweise auf Entzündungen.
Mit der Perfektionierung der Molekularbiologie konnten Wissenschaftler die Ursache des bis dahin rätselhaften Mittelmeerfiebers lösen. Ab dem Jahr 1997 fanden mehrere Arbeitsgruppen Mutationen im MEFV-Gen auf dem Chromosom 16. MEFV steht für Mediterranean Fever. Diese Abweichungen im Erbgut treten normalerweise recht selten auf. In manchen Bevölkerungsgruppen hat aber jeder Siebte bis Zehnte Mutationen und gibt sie per autosomal-rezessiver Vererbung weiter (siehe Grafik).
Deshalb sind Gentests der diagnostische Goldstandard. Sie ersetzen einen früheren Provokationstest. Nach Gabe von einmalig zehn Milligramm Metaraminol treten bei Patienten meist die typischen Symptome auf. Anders als bei der molekularbiologischen Untersuchung wurden hier auch Fälle übersehen.
Noch ein Blick auf das MEFV-Gen. Welche Aufgaben das zugehörige Protein Pyrin hat, ist Thema laufender Forschungsprojekte. Wissenschaftler haben aber schon herausgefunden, dass Spaltprodukte dieses Eiweißes zur vermehrten Bildung von mehr NF-κB führen, eine mögliche Erklärung für die Entstehung von Entzündungen. Außerdem kurbelt Pyrin die Bildung von Interleukin-1β an, einem weiteren Molekül im Entzündungsgeschehen. Experimenten zufolge führt bei gesunden Menschen die Gabe weniger Nanogramm dieses Interleukins zu Fieber und zur Aktivierung unterschiedlicher Leukozyten. Nicht zuletzt interagiert Pyrin mit den sogenannten Tubulinen, sprich Proteinen der Mikrotubuli mit strukturellen Funktionen innerhalb der Zellen.
Aus den molekularbiologischen Mechanismen lassen sich mehrere Behandlungsstrategien ableiten. Colchicin ist vielen PTA und Apothekern aus der Gichttherapie ein Begriff. Ziel ist, zu verhindern, dass Entzündungszellen in die Gelenke einwandern. Colchicin stört Mikrotubuli in Leukozyten. Flüssigkeit strömt vermehrt ins Innere dieser Immunzellen, und sie vergrößern sich. Ihre Beweglichkeit im Interstitium, dem Zwischenraum zwischen Organen, Geweben oder Zellen, nimmt drastisch ab. Leukozyten wandern kaum noch in biologische Strukturen ein, um dort Schaden zu verursachen. Bleiben Gewebsschädigungen aus, werden auch keine Akute-Phase-Proteine wie Amyloid A mehr freigesetzt. Ohne die Behandlung mit Colchicin würden sich Akute-Phase-Proteine an diversen Stellen ablagern. Dies führt zu Organschäden, vor allem die Nieren sind betroffen. Besonders häufig tritt eine Niereninsuffizienz auf, eine vermeidbare Komplikation.
Neben Colchicin greifen Ärzte heute vor allem zu Biologicals. Sie verordnen Etanercept. Dieses gentechnisch hergestellte Protein fängt Zytokine als entzündungsauslösende Botenstoffe ab. Das Pharmakon stammt ursprünglich aus der Rheumatologie. Außerdem hat sich Anakinra bewährt. Hier handelt es sich um einen Interleukin-1-Rezeptorantagonisten. Er verhindert, dass Interleukin-1α und Interleukin-1β ihre inflammatorischen Eigenschaften entfalten, da deren biologische Bindungsstellen blockiert werden. Ergänzend zu diesen Strategien erhalten Patienten noch Analgetika. Meist werden nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac verordnet.
Das familiäre Mittelmeerfieber hat als häufigstes periodisches Fiebersyndrom medizinisch die größte Bedeutung. Daneben gibt es ähnliche, aber deutlich seltenere genetische Leiden, teilweise sind nur wenige hundert Menschen betroffen. Einige Beispiele:
Beim Hyper-IgD-Syndrom (HIDS) fanden Molekularbiologen Veränderungen auf Bereichen am Chromosoms 12. Ab dem ersten Lebensjahr leiden kleine Patienten an Fieber, Schwellungen der Halslymphknoten, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall. Das Muckle-Wells-Syndrom (MWS) lässt sich durch Mutationen auf dem Chromosom 1 erklären. Neben Fieber sind vor allem Nesselsucht, Gelenk- und Muskelschmerzen typisch. Im Unterschied dazu konnte man beim PFAPA-Syndrom noch keine speziellen Genorte mit Veränderungen identifizieren. Das Akronym beschreibt typische Beschwerden, nämlich periodisches Fieber (PF), eine aphthöse Stomatitis (Entzündung der Mundschleimhaut; A), eine Pharyngitis (Rachenentzündung; P) sowie eine zervikale Adenitis (eine Drüsenentzündung, A).
Heute kennen Wissenschaftler mehrere Gemeinsamkeiten der molekularbiologisch unterschiedlichen Krankheiten. Dazu zählen der Beginn in jungen Jahren, regelmäßig auftretende Fieberschübe, Begleitsymptome jenseits der hohen Körpertemperatur und Auffälligkeiten im Blutbild. Auch bei der Therapie stehen Biologicals an erster Stelle, um Immunreaktionen zu bremsen.