HPV-Impfung: Fake News mit Folgen |
Die HPV-Impfung gilt als sicher. Dennoch hat unsachliche Berichterstattung in der Vergangenheit zu einer Abnahme der Impfraten in manchen Ländern geführt. / Foto: Your PhotoToday
Dass die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) zuverlässig vor HPV-assoziierten Erkrankungen wie Zervixkarzinom oder Genitalwarzen schützt, ist medizinischer Fakt, und zwar nicht nur bei geimpften, sondern auch bei nicht geimpften Frauen und Männern. Das stellt nun eine aktuelle im Fachjournal »Lancet« publizierte Metaanalyse unter Beweis (siehe Kasten).
Nichtsdestotrotz waren in den vergangenen Monaten impfkritische Beiträge hinsichtlich der HPV-Impfung in deutschen Medien zu lesen und zu sehen. Das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) spielt konkret auf den Beitrag »Werden Risiken systematisch verschwiegen?« des Magazins »Report Mainz« des öffentlich rechtlichen Fernsehens im Dezember an. Um die Situation zu versachlichen und den Kenntnisstand auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, hat das PEI die Evidenz zu den Kritikpunkten an der HPV-Impfung zusammengestellt und im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit veröffentlicht.
Unter dem Mikroskop fast hübsch anzuschauen: humane Papillomaviren auf Zervixepithelzellen. / Foto: Shutterstock/E. Druzhinina
Worum geht es eigentlich? Konkret geht es um zwei seltene unerwünschte Nebenwirkungen, das Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) und das posturale Tachykardiesyndrom (POTS). Diese sind vor sechs Jahren in zeitlichem Zusammenhang mit der HPV-Impfung aufgetreten, allerdings nur in Japan und Dänemark.
Die Folge: In beiden Ländern sind die Impfraten erheblich zurückgegangen, obwohl in umfangreichen Studien seither das positive Sicherheitsprofil der HPV-Vakzine bestätigt wurde. Bei CRPS handelt es sich um ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, bei dem die Schmerzen nicht wie erwartet abklingen. Ein POTS ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte orthostatische Tachykardie von ≥ 30 Schlägen / min Anstieg oder durch eine maximale Herzfrequenz von > 120 Schlägen / min innerhalb von zehn Minuten ohne bedeutsame Hypotension.
Dass die HPV-Impfung nicht nur in randomisierten Studien vor Krebsvorstufen der Zervix und vor Genitalwarzen schützt, sondern auch unter Alltagsbedingungen, dokumentiert aktuell eine Studie von Wissenschaftlern um Dr. Mélanie Drolet von der Université Laval im kanadischen Québec.
Die Autoren berücksichtigten 65 Publikationen aus 14 Industrienationen. Insgesamt umfasst der Datensatz 60 Millionen Personen und einen Beobachtungszeitraum von acht Jahren. Erfasst wurden unter anderem die Infektionsraten mit HPV 16 und 18, die Häufigkeit von Genitalwarzen sowie histologisch bestätigte zervikale intraepitheliale Neoplasien (CIN2+), also Zellentartungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in Gebärmutterhalskrebs übergehen.
Alle drei Parameter sanken nach der Einführung der HPV-Impfung signifikant. So ging die Infektionsrate bei Mädchen und jungen Frauen abhängig vom Alter um 66 bis 83 Prozent zurück, die Häufigkeit von Genitalwarzen um 31 bis 67 Prozent. Bei Jungen und jungen Männern wurden Genitalwarzen ebenfalls seltener, und zwar um 32 bis 48 Prozent. Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses wurden in den Jahren nach der Einführung der Impfung bei 15- bis 19-jährigen Mädchen nur noch halb so oft gefunden wie vor der Verfügbarkeit des Impfstoffs (Rückgang um 51 Prozent). Bei Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren konnte immerhin einer von drei Fällen vermieden werden.
Wenig überraschend zeigt die Analyse, dass die Effekte umso schneller eintreten und umso stärker ausgeprägt sind, je mehr junge Menschen sich impfen lassen. Bei starken Einschränkungen der Impfempfehlung hinsichtlich Alter und Geschlecht oder niedriger Durchimpfungsrate war kein Rückgang der CIN2+ zu verzeichnen.
Das PEI berichtet, dass das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA und das Global Advisory Committee for Vaccine Safety der Weltgesundheitsorganisation WHO zwischen 2015 und 2017 einem möglichen Zusammenhang zwischen der Impfung und den unerwünschten Wirkungen nachgegangen sind. Dabei ergab sich kein Hinweis darauf, dass sich die Inzidenzraten beider Syndrome bei geimpften jungen Frauen von den erwarteten Raten in dieser Altersgruppe unterscheiden. Pro Jahr entwickeln je etwa 150 von einer Million Mädchen und jungen Frauen ein CRPS oder ein POTS. Die Raten bei geimpften und ungeimpften 10- bis 19-Jährigen unterschieden sich nach der Analyse nicht, betont das PEI.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine finnische Kohortenstudie mit insgesamt 240.605 11- bis 15-Jährigen zum CRPS, ebenso eine Analyse von Daten des US-Vaccine Adverse Event Reporting Systems (VAERS) zum tetravalenten HPV-Impfstoff. Forscher hatten dabei 19.760 Meldungen zu möglichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen aus den Jahren 2009 bis 2015 bei etwa 60 Millionen Impfdosen ausgewertet. Auch die VAERS-Daten zur Sicherheit des bivalenten HPV-Impfstoffs in den Jahren 2009 bis 2017 zeigten keine Auffälligkeiten.
»Die inadäquate Berichterstattung über Impfungen kann zur Verunsicherung der Bevölkerung führen und die Impfrate negativ beeinflussen«, heißt es im PEI-Bericht. »Unsachliche Kritik, die zu einem Vertrauensverlust und Rückgang der Impfrate führt, kann schwere gesundheitliche Konsequenzen haben, nämlich im Fall von HPV ein höheres Risiko für Zervixkarzinom.« Insofern tragen Fake News nicht unerheblich dazu bei, dass Chancen in der Gesundheitsvorsorge vertan werden, fassen die Impfexperten aus Langen zusammen.
Die Untersuchung auf Gebärmutterhalskrebs erfolgt per Zervix-Abstrich. / Foto: Adobe Stock/Iryna
So ist in Dänemark die HPV-Impfrate von 90 Prozent (Jahrgänge 1998 bis 2000) auf 54 Prozent (Jahrgang 2003) im Jahr 2014 abgesackt. Der starke Rückgang folgte der negativen Berichterstattung in den Medien in Dänemark ab 2013, nachdem vermehrt die unerwünschten CRPS- und POTS-Ereignisse in zeitlichem Zusammenhang mit einer HPV-Impfungen an die dänische Behörde gemeldet worden waren, berichtet das PEI. Inzwischen steigt die Impfrate wieder an.
In Japan wurde die Impfempfehlung aufgrund der gesteigerten Medienaufmerksamkeit und Berichterstattung über vermeintliche Impfschäden 2013 ausgesetzt, obwohl der Impfstoff weiterhin zugelassen war. Im Zuge dessen gingen die Impfraten von 70 bis 80 Prozent auf 0,6 bis 3,9 Prozent in manchen Regionen zurück. Und das, obwohl zeitgleich eine Studie veröffentlicht wurde, die die Wirksamkeit der Impfung für japanische Probandinnen belegte, merkt des PEI an. Die in Japan durchgeführte Kohortenstudie mit 22.743 Studienteilnehmerinnen im Alter von 20 bis 29 Jahren ermittelte für geimpfte Frauen ein um 69 Prozent geringeres Risiko für eine Vorstufe des Zervixkarzinoms als für nicht geimpfte Frauen.
Auch in Deutschland werde das präventive Potenzial der Impfung bei Weitem nicht ausgeschöpft, merkt das PEI an. Im Jahr 2014 erkrankten 4509 Frauen neu an einem Zervixkarzinom, 1500 starben an Gebärmutterhalskrebs, und etwa 50.000 Frauen müssen sich pro Jahr einem operativen Eingriff, einer sogenannten Konisation zur Therapie einer HPV-bedingten Krebsvorstufe, unterziehen.
Obwohl die HPV-Impfung die Krankheitslast von HPV-assoziierten Tumoren bei gleichzeitig positivem Sicherheitsprofil nachweislich zu senken vermag, sind die Impfraten hierzulande erschreckend niedrig, führt das PEI aus. So waren nach einer STIKO-Analyse für den Zeitraum von 2014 bis 2017 lediglich 31,4 Prozent der 16-jährigen Mädchen vollständig geimpft. Somit werde das Gesundheitspotenzial dieser Impfung nicht genutzt und »auch die für eine Herdenprotektion erforderliche HPV-Impfrate von 80 Prozent wird bei Weitem nicht erreicht«, bedauern die Impfexperten.