Impfstatus bei Deutschlands Kindern mangelhaft |
Zu Schulbeginn nicht unbedingt komplett geimpft, das zeigen die neuesten Auswertungen der Impfquoten der Sechsjährigen. / Foto: Fotolia/Picture-Factory
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat zum ersten Mal Daten zum Impfstatus aus den Schuleingangsuntersuchungen und Abrechnungsdaten der niedergelassenen Ärzte in einem gemeinsamen Bericht ausgewertet und in einer Gesamtschau dargestellt. Nur in dieser Kombination lasse sich nachvollziehen, ob die Impfungen rechtzeitig erfolgten, schreibt das RKI im Epidemiologischen Bulletin (2020; 32/33).
Der größte Teil der Kinder- und Jugend-Impfungen finde bei den Kinderärzten statt. Die Praxen dokumentieren die Immunisierung im Impfpass, der bei der Schuleingangsuntersuchung vorgelegt werden muss. Die Gesundheitsämter werten anschließend die Impfdaten aus und melden sie ans RKI. Ob die Impfungen zeitgerecht erfolgt sind, wird dabei jedoch nicht erfasst. Hier sollen nun die Abrechnungsdaten der Kassenärzte Auskunft geben. Dabei wurden zum Teil auch die Daten für jüngere Geburtsjahrgänge miteinbezogen.
Die Ergebnisse dieser verknüpften Auswertung der Schuleingangsuntersuchungen 2018 (Geburtsjahrgänge 2010 bis 2013) mit den Abrechnungsdaten bis einschließlich 2019 sind ernüchternd: Bei fast allen Impfungen gebe es die gleichen Defizite. Die Impfungen begännen später als empfohlen, und die Impfserien würden nicht zeitgerecht abgeschlossen. Dadurch würden wichtige nationale und internationale Impfziele zur Ausrottung von Polio oder Masern verfehlt, und entscheidende Impfquoten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland seien in allen Altersbereichen zu niedrig. Die Folge: Kinder blieben unnötig lange ungeschützt, kommentierte Professor Dr. Lothar Wieler, Präsident des RKI, in einer Mitteilung zur Veröffentlichung.
Zudem sind bei den Impfquoten durch die Bank weg große regionale Unterschiede auszumachen: So wichen etwa die Impfquoten der Rotavirusimpfung um 23 Prozentpunkte auf KV-Ebene voneinander ab, und die Inanspruchnahme der zweite Masernimpfung bis zum Alter von 24 Monaten um 45 Prozentpunkte auf Kreisebene. Immerhin: Die Empfehlung zum Nachholen fehlender Impfungen wurde bis zum Alter des Schuleinganges überwiegend gut umgesetzt, teilt das RKI mit.
Generell zeige sich in den Auswertungen zum Impfstatus beim Schuleingang ein leichter Rückgang der Impfquoten bei den Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten in den vergangenen Jahren. Bei der Impfung gegen Poliomyelitis und Haemophilus influenzae Typ b konnte zumindest der Rückgang gestoppt werden.
Es gibt aber auch positive Tendenzen: So gab es einen leichten Anstieg bei der Masern-Mumps-Rötelnimpfung in den vergangenen zehn Jahren und dabei besonders bei der zweiten Impfdosis. Jedoch wurde auch gegen Masern zu spät und insgesamt noch zu wenig geimpft: Im Alter von 24 Monaten waren zuletzt 68 Prozent zweimal gegen Masern geimpft, zum Schuleingang hatten 93 Prozent der Kinder die zweite Impfung erhalten. Bis zum sechsten Geburtstag seien rund 35.000 Kinder gänzlich ohne Masernimpfung gewesen. Die Auswirkungen des im März dieses Jahres eingeführten Masernschutzgesetzes sollen in den zukünftigen Berichten untersucht werden.
Einen Anstieg der Impfquoten für alle Altersgruppen über die Zeit hätten fast ausschließlich die Impfungen, die erst in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren in den Impfkalender der Säuglinge aufgenommen wurden, also solche gegen Varizellen, Pneumokokken, Meningokokken C und Rotaviren.
Die 15-jährigen Mädchen seien über die vergangenen Jahre immer besser gegen Humane Papillomaviren (HPV) geimpft gewesen, so das RKI. Im Geburtsjahrgang 2003 haben mittlerweile 43 Prozent die vollständige Grundimmunisierung erhalten, mit 18 Jahren (Geburtsjahrgang 2000) waren es knapp mehr als die Hälfte der jungen Frauen (51,1 Prozent). Der Anstieg gehe vermutlich vor allem darauf zurück, dass die STIKO im Jahr 2014 das empfohlene Impfalter gesenkt hatte, damit die Kinder besser über Routinevorsorgeuntersuchungen erreicht werden können sowie die Möglichkeit eines reduzierten Impfschemas.
Wie stark die HPV-Impfung von Jungen genutzt wird, für die die HPV-Impfung seit 2018 empfohlen ist, soll im nächsten Bericht im Sommer 2021 genauer untersucht werden. Derzeit haben nur 1,3 Prozent der 18-jährigen Männer (Geburtsjahrgang 2000) eine HPV-Grundimmunisierung.
Nur knapp jedes zweite im Jahr 2017 geborene Kind (49 Prozent) hat bis zum zweiten Geburtstag alle empfohlenen Impfungen erhalten. Das geht aus einer Auswertung der Versichertendaten der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. Im Vergleich zu 2016 haben sich die Quoten damit leicht um einen Prozentpunkt verbessert.
3,5 Prozent der 2017 geborenen Kinder sind laut TK-Bericht in den ersten beiden Lebensjahren gar nicht geimpft. Die aktuelle Erhebung zeige aber auch, dass einige Eltern ihre Kinder nachimpfen lassen. Damit stößt die TK ins gleiche Horn wie das RKI mit den Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen.
Laut TK-Analyse sind die meisten Kinder in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit zwei Jahren durchgeimpft (jeweils 59 Prozent), gefolgt von Sachsen-Anhalt (55,6 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (54,8 Prozent). Die meisten Impfverweigerer oder -verzögerer gibt es in Sachsen (6,8 Prozent), wobei dort die zweite Masernimpfung erst um den vierten Geburtstag herum empfohlen wird, sowie Bayern (4,7 Prozent).
Hintergrundwissen: Derzeit empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) für Babys und Kleinkindern die Grundimmunisierung gegen 13 virale und bakterielle Erkrankungen, die bis zum zweiten Geburtstag abgeschlossen sein sollen. Das sind Einzel- und Kombiimpfungen gegen Rotaviren, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Hämophilus influenzae B, Polio, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Verlaufen die Impfungen planmäßig nach Impfkalender, ist die Grundimmunisierung mit dem 15. Lebensmonat abgeschlossen.