Ionenreaktion bricht Creme |
24.11.2017 10:28 Uhr |
Von Ingrid Ewering / Unter dieser Überschrift findet wieder ein Rezepturstammtisch statt. Auch PTA Verena Müller sowie ihre approbierte Kollegin Michaela Sommer sind auf dem Weg zur Veranstaltung. Auf der Fahrt rätseln sie, was sie heute Abend erwartet.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Teamleiterin Renate Schulz sollen alle Anwesenden salzartige Wirkstoffe nennen. Schulz notiert die genannten Arzneistoffe Gentamicinsulfat, Ethacridinlactat sowie Chlorhexidindigluconat auf blaue Karteikarten. Dabei erklärt sie, dass die Farbe die Wasserlöslichkeit symbolisiert.
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Verena Müller ruft den Arzneistoff Hydrocortisonacetat in die Runde. Doch dieses Glucocorticoid wird nicht an die Wand gepinnt. Schulz erklärt: »Hydrocortisonacetat entsteht durch die Veresterung des Alkohols Hydrocortison mit Essigsäure.« Sie skizziert die Reaktion (siehe unten) und fährt fort: »Fälschlicherweise steht auch in vielen Veröffentlichungen, dass Glucocorticoide Salze seien. Denn die Wortendung -at wird sowohl für Salze als auch für Ester verwendet.«
Hydrocortison und Essigsäure reagieren zum Ester Hydrocortisonacetat und Wasser.
Sie erklärt noch, dass alle Glucocorticoide außer den drei Alkoholen Hydrocortison, Prednisolon und Dexamethason Ester sind. »Und diese spalten sich bei nicht passenden pH-Fenstern. So entsteht aus Betamethasonvalerat bei höheren pH-Werten neben dem kutan unwirksamen Betamethason die Valeransäure; Betamethasondipropionat dagegen spaltet sich im sauren Milieu auf, und es bildet sich Propionsäure.
Anschließend kommt die Teamleiterin zurück zur eigentlichen Thematik. Sie erklärt: »Nur die angepinnten Arzneistoffe sind Salze, die durch Reaktion der jeweiligen Base mit Schwefelsäure zu Gentamicinsulfat, mit Milchsäure zu Ethacridinlactat sowie mit Glucuronsäure zu Chlorhexidindigluconat reagieren. Die Säurereste sind negativ geladen. Die gelöst vorliegenden Wirkkomponenten wie Gentamicin, Ethacridin sowie Chlorhexidin sind Kationen. Aufgrund ihrer positiven Ladung treten sie in Wechselwirkung mit anionischen Bestandteilen einer Rezeptur. Der Wirkstoff fällt als unlösliches Salz aus.«
Die Ausnahme
Frau Sommer fragt, warum der Wirkstoff Miconazolnitrat nicht wie alle anderen auf einer blauen, sondern auf einer roten Karteikarte notiert wurde. »Das haben Sie gut beobachtet«, lobt Schulz. »Denn dieser Wirkstoff löst sich trotz seiner Salzstruktur laut DAB-Monographie nur sehr schwer in Wasser. »Deshalb kann er problemlos mit allen anionischen Cremes verarbeitet werden«, informiert sie die Zuhörer. Ein Klassiker sei die Verordnung mit anionischer hydrophiler Creme DAB, die vielen besser bekannt sei unter dem Namen wasserhaltige hydrophile Salbe DAB. »Als 1-prozentige Zubereitung war diese Vorschrift im NRF zu finden; jetzt steht sie nur noch im Rezepturhinweis beziehungsweise im Rezepturenfinder«, sagt Schulz. Abschließend weist sie die Stammtischmitglieder darauf hin, dass mikronisiertes Miconazolnitrat wie bei jeder halbfesten Suspension sorgfältig mit einer Flüssigkeit angerieben werden muss. Bei der hydrophilen DAB-Creme bietet sich wegen des Vaselinanteils dickflüssiges Paraffin an.
»Jetzt wenden wir uns den restlichen Cremes zu, die ebenfalls anionische Emulgatoren enthalten«, fordert die Teamleitern ihre Zuhörer auf. Eine Dame nennt Unguentum emulsificans aquosum. Schulz fragt sie, ob sie die SR- Variante meint, die aktuell im DAC zu finden ist, oder die bereits erwähnte anionische hydrophile Creme DAB. Den verdutzten Zuhörern erklärt sie, dass die Angabe der Monographie zwingend notwendig ist. Erfahrungsgemäß wird in den östlichen Bundesländern die Creme bevorzugt, die in den Standardrezepturen der ehemaligen DDR, auch kurz SR genannt, monographiert war. Mit veränderter Zusammensetzung, die problematische Parabenkonservierung ist gegen das moderne Pärchen Kaliumsorbat/wasserfreie Citronensäure getauscht, ist sie nun im Deutschen Arzneimittel Codex (DAC) zu finden. In den westlichen Bundesländern dagegen wird traditionell die Grundlage aus dem Deutschen Arzneibuch (DAB) bevorzugt.
»Beide ionogenen Cremes treten in Wechselwirkung mit salzartigen Wirkstoffen«, stellt die Teamleiterin klar. Die DAB-Ware enthält lediglich 9 Prozent Emulgator, die SR/DAC-Creme hingegen 21 Prozent. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die anionische hydrophile Creme DAB zügiger bricht als die entsprechende DAC-Variante. Je nach Konzeption der Rezeptur kann es sich auch um eine larvierte Wechselwirkung handeln. Trotz Anwesenheit eines kationisch aktiven Wirkstoffs kann die SR/DAC Creme keinerlei Tendenz einer Emulsionsbrechung zeigen, wie abnehmende Konsistenz oder Klümpchenbildung. »Es entsteht kein Griesbrei, wie sonst bei einer Kation-Anion-Wechselwirkung üblich«, erklärt Schulz anschaulich. Abschließend erläutert sie pharmazeutisch korrekt: »Die anionische hydrophile Creme SR/DAC enthält Emulgatoren im Überschuss. Lediglich mit einem stöchiometrischen Anteil bildet der Arzneistoff ein unlösliches Salz, und die Creme ist trotz einwandfreien Aussehens in der Wirksamkeit beeinträchtigt.«
Sie informiert die Zuhörer darüber, dass das anionische hydrophile Liniment SR/DAC bei Anwesenheit von Salzen zügig bricht. Ebenso zeigen anionenaktive Gele auf Carbomerbasis, auch Polyacrylatgel genannt, sowie Carmellose-Natrium rasch Inhomogenitäten. Die Viskosität nimmt ab, oder Wasser tritt durch den Zusammenfall des Gelgerüstes aus.
In jedem Fall sind dem Arzt ladungsneutrale Grundlagen vorzuschlagen, wie die nichtionische hydrophile Creme SR/DAC beziehungsweise das entsprechende ungeladene Liniment, die nichtionische hydrophile Creme DAB oder die Basiscreme DAC. Kationenstabile Gelbildner auf Cellulosebasis stellen Alternativen für die beiden oben genannten anionenaktiven Gele dar.
»Muss ich den Arzt fragen, ob die Grundlage ausgetauscht werden darf?«, fragt eine Teilnehmerin. »Das ist nicht so einfach zu beantworten. Folgendes steht in der Apothekenbetriebsordnung:
§ 7 ApBetrO Rezepturarzneimittel
(1) Wird ein Arzneimittel auf Grund einer Verschreibung von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde berechtigt sind, hergestellt, muss es der Verschreibung entsprechen. Andere als die in der Verschreibung genannten Ausgangsstoffe dürfen ohne Zustimmung des Verschreibenden bei der Herstellung nicht verwendet werden. Dies gilt nicht für Ausgangsstoffe, sofern sie keine eigene arzneiliche Wirkung haben und die arzneiliche Wirkung nicht nachteilig beeinflussen können. Enthält eine Verschreibung einen erkennbaren Irrtum, ist sie unleserlich oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht hergestellt werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist.
»Die Grundlage ist nicht gleichzusetzen mit dem Wirkstoff. Aber eine rückfettende lipophile Creme beeinflusst die Gesamtwirksamkeit des Dermatikums anders als eine kühlende hydrophile Creme. Die Eindringtiefe der Arzneistoffe unterscheidet sich. Auch bei identischem Emulsionstyp informieren wir in meiner Apotheke den Arzt per Fax. Die Faxvorlagen findet man in der online-Version des NRF unter Kommunikationsbögen. Die zutreffende Instabilität, wie in unserem Beispiel »Phasentrennung tritt auf«, wird angekreuzt und ein bis zwei alternative Grundlagen werden vorgeschlagen. Da sich unsere Ärzte nicht immer rückmelden, habe ich in Absprache mit einem Juristen den Satz ergänzt, dass etwa die Basiscreme DAC verarbeitet wird, wenn sich der Arzt binnen einer bestimmten Frist nicht gemeldet hat.« In Fertigarzneimitteln, Medizinprodukten sowie Dermokosmetika können Anionen stecken, die mit kationenaktiven Wirkstoffen reagieren.
Antibiotika | Hautantiseptika | Lokalanästhetika | Antimykotika |
---|---|---|---|
Gentamicinsulfat | Ethacridinlactat | Lidocainhydrochlorid | Clindamycin-HCl |
Neomycinsulfat | Chlorhexidindigluconat | Tetracainhydrochlorid | … |
Oxitetracyclinhydrochlorid* | Polihexanid | … | |
… | Chinolinsulfat | ||
Octenidinhydrochlorid | |||
Fuchsin | |||
… |
*OTC muss wegen seiner Instabilität mit Natriumhydrocarbonat sowie Natriumacetat in halbfesten Dermatika gezielt gefällt werden; siehe NRF-Rezepturhinweis zum Wirkstoff
Dazu soll sich die Stammtischrunde die Zusammensetzung der Asche Basis® Creme sowie der Lotio anschauen (siehe Kasten unten). Eine Teilnehmerin ruft überrascht: »Das ist ja wie bei den Kosmetika deklariert.« Teamleiterin Schulz bestätigt die Aussage und fährt fort: »Wir wollen heute Abend nicht diskutieren, unter welchen Umständen ein Kosmetikum für die Herstellung von Rezepturarzneimitteln einsetzbar ist. Ich möchte, dass Sie sich die deklarierten Substanzen genau anschauen. Finden Sie einen Bestandteil, der mit kationenaktiven Wirkstoffen reagiert?« Zögernd fragt Müller in den Raum: »Sowohl die Creme als auch die Lotio enthalten doch den anionenaktiven Gelbildner Carbomer, oder?« Schulz bejaht und erklärt, dass in vielen Industrieprodukten die äußere Wasserphase geliert wird, um die Zubereitungen zu stabilisieren. Durch die chemische Reaktion mit kationenaktiven Wirkstoffen kann sich die Wirksamkeit des Arzneistoffes abschwächen. Es könnte auch eine larvierte Inkompatibilität vorliegen, das heißt, dass die Creme erst im Laufe der Anwendung ihre Konsistenz einbüßt. »Also wirklich, Plausibilitätsprüfung ist sowieso schon kompliziert genug, und jetzt spielt das Carbomer mit uns auch noch verstecken!«, entrüstet sich zur allgemeinen Erheiterung Kollegin Müller. /
Asche Basis® Creme, nach Anbruch 6 Monate haltbar
Aqua, Petrolatum, Paraffinum Liquidum, Stearyl Alcohol, PEG-40-Stearate, Benzyl Alcohol, Carbomer, Disodium EDTA, Parfum, Limonene, Linalool, Hydroxycitronellal, Citronellol, Geraniol, Cinnamyl Alcohol
Asche Basis® Lotio, nach Anbruch 6 Monate haltbar
Aqua, Petrolatum, Paraffinum Liquidum, PEG-40-Stearate, Stearyl Alcohol, Benzyl Alcohol, Carbomer, Disodium EDTA, Parfum, Limonene, Linalool, Hydroxycitronellal, Citronellol, Geraniol, Cinnamyl Alcohol