Gebärmutterschleimhaut auf Irrwegen |
14.12.2015 10:48 Uhr |
Von Clara Wildenrath / Etwa 10 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 45 Jahren leiden Monat für Monat darunter – doch kaum jemand kennt die Erkrankung. Typische Anzeichen einer Endometriose sind heftige Menstruationsschmerzen und ungewollte Kinderlosigkeit.
»Regelschmerzen sind völlig normal. Das muss man aushalten.« So hören es viele junge Mädchen schon früh von ihren Müttern. Auch unter Medizinern ist diese Meinung weit verbreitet. Hinter starken Schmerzen vor oder während der Menstruation verbirgt sich in vielen Fällen aber eine ernstzunehmende Erkrankung: die Endometriose. Schätzungen zufolge leidet etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter an Endometriose. Das entspricht der Größenordnung einer Volkskrankheit wie Diabetes. Dennoch kennen die meisten den Grund für ihre allmonatlichen Qualen nicht.
Endometriose hat viele Gesichter. Eine individuelle Therapie setzt eine exakte Diagnose voraus.
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Von Endometriose spricht der Arzt, wenn sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) an Stellen ansiedeln, an die sie eigentlich nicht hingehören, zum Beispiel an Eierstöcken, an der Blase, am Darm oder am Bauchfell. Ähnlich wie die Schleimhaut in der Gebärmutter unterliegen auch diese versprengten Gewebenester dem weiblichen Hormonzyklus: Estrogene stimulieren ihr Wachstum, Gestagene hemmen es. Da sie jedoch nicht mit der Menstruation ausgeschieden werden können, wachsen sie immer weiter. Die Folge: Es entstehen Entzündungsherde, Zysten, Verwachsungen und Vernarbungen im Bauchraum.
Versprengte Zellwucherungen
Abhängig von der Lage dieser Endometrioseherde sind die Symptome ganz unterschiedlich ausgeprägt. Viele Frauen klagen über zyklusabhängige, krampfartige Schmerzen vor oder während der Monatsblutung, einige auch über Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Wasserlassen oder beim Stuhlgang, Rückenschmerzen oder chronische Unterleibsschmerzen außerhalb der Periode. Zyklusunregelmäßigkeiten und Schmierblutungen sowie Blutspuren im Urin oder Stuhl können ebenfalls auftreten. Zudem ist Endometriose eine der häufigsten Ursachen für weibliche Unfruchtbarkeit.
Das Ausmaß der Beschwerden ist dabei unabhängig vom Schweregrad der Endometriose: Manchmal verursachen schon mikroskopisch kleine Absiedelungen der Gebärmutterschleimhaut heftige Schmerzen. Einige Betroffene spüren dagegen selbst mit großen Herden kaum Symptome.
Oft beginnen die Beschwerden bereits in der Jugend. Im Schnitt vergehen rund zehn Jahre, bis die Frauenkrankheit richtig diagnostiziert wird. Das ergab eine Umfrage unter 171 Patientinnen im Jahr 2012. Drei Viertel der Betroffenen erhielten zuvor mindestens eine Fehldiagnose – etwa Reizdarmsyndrom, Blinddarmentzündung oder Bandscheibenprobleme. »Oft werden die Beschwerden aber auch einfach als normale Periodenschmerzen abgetan oder in die ›Psycho-Ecke‹ geschoben«, erklärt Professor Dr. Katharina Hancke, Leiterin des Endometriose- und Kinderwunschzentrums an der Universitätsfrauenklinik in Ulm. Bei jeder zweiten Frau mit Fruchtbarkeitsproblemen lässt sich Endometriose nachweisen.
Bestimmte Antibabypillen lindern die Beschwerden von Frauen mit Endometriose. Daneben kommen Gestagene und GnRH-Analoga zum Einsatz.
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Endometriose gibt sich durch die üblichen Untersuchungsmethoden oft nicht zu erkennen. Abhängig von ihrer Lage kann ein erfahrener Gynäkologe den verirrten Zellhaufen zwar manchmal bereits bei einer Tast- oder Ultraschalluntersuchung auf die Spur kommen. Einzig sichere Diagnosemethode ist jedoch ein chirurgischer Eingriff, die Bauchspiegelung (Laparoskopie). Mit diesem minimal invasiven Verfahren können gleichzeitig Gewebeproben entnommen und Endometrioseherde soweit möglich auch bereits entfernt werden. Lediglich die Adenomyose – eine Sonderform der Endometriose, bei der Schleimhautzellen in die Gebärmuttermuskulatur einwachsen – lässt sich auch durch eine vaginale Ultraschalluntersuchung oder Magnetresonanztomografie feststellen. »Gesichert werden kann die Diagnose aber nur histologisch, also durch eine mikroskopische Untersuchung des Gewebes«, erläutert Hancke.
Ursachen unbekannt
Wie Endometriose entsteht, konnte die medizinische Forschung noch nicht genau klären. Möglicherweise geraten einzelne Zellen der Gebärmutterschleimhaut in die Bauchhöhle, wenn kleine Mengen der Monatsblutung nicht nach außen durch die Scheide, sondern rückwärts durch die Eileiter abfließen, soweit eine mögliche Theorie, die auch als retrograde Menstruation bezeichnet wird. Einer anderen Theorie zufolge entstehen Endometrioseherde durch die Umwandlung von Gewebezellen, zum Beispiel im Bauchfell, in Gebärmutterschleimhaut. Auch über die Blut- oder Lymphgefäße oder durch eine Bauchoperation könnten Endometriumzellen verschleppt werden. So haben Wissenschaftler zum Beispiel herausgefunden, dass ein Kaiserschnitt das Erkrankungsrisiko um etwa 50 Prozent erhöht.
Als weitere Risikofaktoren gelten eine frühe erste Monatsblutung und ein kurzer Menstruationszyklus. Eine gewisse erbliche Veranlagung und eine relative Überproduktion von weiblichen Geschlechtshormonen scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen. Weil das Wachstum der versprengten Schleimhautinseln von Estrogenen gesteuert wird, kommt die Erkrankung vor der Pubertät und nach den Wechseljahren so gut wie nicht vor.
Die Endometriose ist prinzipiell eine gutartige Erkrankung, sie zerstört also kein Gewebe und ist nicht lebensbedrohend. Wird sie jedoch nicht behandelt, schreitet sie immer weiter voran. Das kann schwerwiegende Folgen haben: Unerträgliche Schmerzen machen vielen Patientinnen eine normale Teilnahme am Familien-, Sozial- und Berufsleben unmöglich; Zysten und Verwachsungen an den Eierstöcken führen auf Dauer zur Unfruchtbarkeit. Bei der sogenannten tief infiltrierenden Endometriose können die Schleimhautinseln auch in andere Organe einwachsen und deren Funktion beeinträchtigen. Dann drohen unter Umständen akute Komplikationen wie Darmverschluss oder Nierenversagen.
Schmerzen lindern
Die Behandlung der Endometriose richtet sich nach dem Ausmaß der Beschwerden, dem Alter der Patientin und der Familienplanung. Dauerhaft heilbar ist die Erkrankung in der Regel nur durch eine Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Mit einem individuellen Therapiekonzept können erfahrene Spezialisten aber bei den meisten Patientinnen erreichen, dass die Beschwerden für längere Zeit verschwinden und die Chance steigt, ein Kind zu bekommen. Soweit möglich, werden Endometrioseherde, Zysten und Verwachsungen im Rahmen einer Bauchspiegelung operativ entfernt oder verödet. Je nach Lage der Schleimhautinseln ist manchmal auch ein chirurgischer Zugang durch die Scheide möglich. Bei einem ausgedehnten Befall kann auch ein Bauchschnitt erforderlich sein, eine sogenannte Laparotomie.
Medikamente können die Beschwerden lindern. »Therapie der Wahl ist die Behandlung mit Gestagenen«, erklärt die Ulmer Endometriose-Spezialistin. Die Gelbkörperhormone bremsen die Estrogenproduktion und hemmen das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut – und damit auch das der Endometrioseherde. Von den Gestagenen kann jedoch nur Dienogest (Visanne®) eine Zulassung für die Endometriose-Therapie vorweisen. Nach Hanckes Erfahrungen reicht bei einigen Patientinnen jedoch bereits die normale kombinierte monophasische Verhütungspille aus, um die Symptome zu bessern. Off label wird die Pille auch oft ohne Einnahmepause verschrieben, um die schmerzhafte Blutungsphase zu vermeiden. Anhaltende Schmerzen lassen sich auch mit einem Levonorgestrel-freisetzenden Intrauterin-System (Mirena®-Spirale) lindern.
Mögliche Lokalisationen einer Endometriosis genitalis interna (in lila), die noch direkten Kontakt zur Gebärmutterschleimhaut hat, sowie vielfältige Herde der Endometriosis externa (in rot), die außerhalb von Endo- und Myometrium wuchert, zum Beispiel an den Eierstöcken oder dem Bauchfell.
Grafik: Mathias Wosczyna
Sogenannte GnRH-Analoga, die eine ähnliche Struktur wie das körpereigene Gonadotropin-Releasing-Hormon aufweisen, unterdrücken die Estrogenproduktion noch stärker. Dadurch bilden sich die Endometrioseherde zurück und die Schmerzen verschwinden meist. Der Nachteil dieser Behandlung: Durch den Estrogenentzug kann es zu wechseljahresähnlichen Beschwerden kommen, das Osteoporoserisiko steigt. »Deshalb werden GnRH-Analoga in der Regel nur über höchstens sechs Monate eingesetzt«, weiß Hancke. Danach kann zum Beispiel ein Wechsel zur Gestagen-Therapie erfolgen.
Ergänzend ist zur symptomatischen Behandlung manchmal auch eine zeitlich begrenzte Einnahme von Schmerzmitteln sinnvoll. Häufig eingesetzt werden dazu etwa verschreibungspflichtige Dosierungen von Ibuprofen, Naproxen oder Tramadol. Vor einer eigenmächtigen und dauerhaften Einnahme von Schmerztabletten sollten PTA und Apotheker aber warnen und stattdessen zu einer professionellen Schmerztherapie bei einem Endometriose-Spezialisten raten.
Sport gegen die Symptome
Vielen Frauen hilft eine Ernährungsumstellung. Wenig Zucker und Weißmehl, wenig tierische Fette, aber viel Obst und Gemüse: Schon damit bekommen einige Patientinnen ihre Erkrankung besser in den Griff, weiß Hancke aus langjähriger Erfahrung. Kaffee und Alkohol scheinen die Beschwerden dagegen zu intensivieren. Einige Frauen empfinden Wärme als angenehm, andere nicht: »Bei der Endometriose gibt es unglaublich viel Individualität«, erklärt die Expertin. Sportliche Betätigung erleben allerdings die meisten Patientinnen als schmerzlindernd, selbst wenn sie sich dazu erst einmal überwinden müssen.
Weil der Leidensdruck und die psychosoziale Belastung durch die Erkrankung sehr hoch sind, bieten die meisten Endometriosezentren auch psychosomatische Behandlungsmöglichkeiten an. Das kann den Umgang mit chronischen Schmerzen erleichtern. Ein unerfüllter Kinderwunsch sowie partnerschaftliche und sexuelle Probleme durch die Krankheit müssen ebenfalls verarbeitet werden. Helfen kann dabei der Austausch mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe – und das Verständnis der Mitmenschen, die wissen, was Endometriose bedeutet. /