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Johanniskrautpräparate

Gute Beratung – sichere Therapie

22.06.2015  10:43 Uhr

Von Ingrid Ewering / Bei einer leichten Depression sehen viele Betroffene in Hypericum-haltigen Phytopharmaka eine neben­wirkungsarme Therapieoption im Vergleich zu den chemischen Wirkstoffen. Doch diese Einschätzung birgt Gefahren, denn in der Literatur sind Todesfälle bei gleichzeitiger Einnahme von Blut­gerinnungshemmern beschrieben. Welche Informationen und Hinweise Patienten beim Kauf eines Johanniskraut-Präparats in der Apotheke erhalten sollten, wird im Folgenden erläutert.

Laut geltender Gesetzgebung ist es erlaubt, bestimmte Präparate – auch Johanniskrautprodukte – in Drogerien zu verkaufen, andere sind apotheken- oder sogar verschreibungspflichtig. Für Johanniskraut-haltige Arzneimittel nicht nur aus der Apotheke gilt: 

Die eingesetzten Pflanzen müssen der Arzneibuchmonographie Hyperici herba entsprechen. Laut Untersuchungen des Zentrallabors aus dem Jahr 2011 enthielten einige Drogerieprodukte Anteile nicht arzneibuchkonformer Drogen chinesischer Herkunft. Außerdem ergaben Analysen der frei verkäuflichen Peroralia mit gepulverter Droge, dass das Hyperforin, der für die Wirkung entscheidende Inhaltsstoff, unterdosiert war. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn sich Kunden in der Apotheke beklagen, das Produkt aus der Drogerie hätte ihnen nicht geholfen. Das ist eine gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die nachgewiesene Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln wie Jarsin® 300, Neuroplant® aktiv® sowie Laif® 900 sich auch im Preis widerspiegelt.

Wegen der Selbstmordproblematik liegt die Behandlung mittelschwerer Depressionen in den Händen der Ärzte. Präparate mit der Indikation leichte Depression sind hingegen apothekenpflichtig. Möchten Kunden ein Johanniskraut-Präparat in der Selbstmedikation kaufen, ist es wichtig, bei der Abgabe folgende Schritte zu beachten: hinterfragen des Therapiekonzeptes des Patienten, klären möglicher Kon­traindikationen, Wechsel- und Nebenwirkungen, ergänzt durch Hinweise zur richtigen Einnahme.

Fragen über Fragen

Viele Kunden möchten wegen ihrer Schlafstörungen oder Abgeschlagenheit Schlaftabletten kaufen, andere fragen nach einem »guten Kopfschmerzmedikament«. Manchmal verbergen sich hinter diesen Beschwerden unerklärbare Freudlosigkeit oder Stimmungstiefs. Das gilt es zunächst im Beratungsgespräch abzuklären. Doch Vorsicht, zu intensives Nachfragen verschreckt manche Menschen, daher ist Fingerspitzengefühl gefragt. In manchen Fällen ist das antidepressiv wirksame Johanniskraut Mittel der Wahl. Doch vor der Abgabe eines Johanniskraut-haltigen Medikaments müssen Kontraindikationen erfragt werden.

In der Praxis hat sich bewährt, den Abfragekatalog mit Worten anzukündigen wie »Um ein für Sie passendes Medikament zu finden, muss ich Ihnen nun einige Fragen stellen.« Auf die Frage »Nehmen Sie regelmäßig Arzneimittel ein, zum Beispiel für Herz und Kreislauf?« nennen Patienten möglicherweise bereits einen oder mehrere der in der Tabelle aufgeführten Wirkstoffe. Verneint der Patient diese recht allgemeine Frage, muss geklärt werden, ob er Cholesterolsenker, Cumarin oder Asthmamittel einnimmt. Dabei gilt es zu bedenken, dass er die Generikanamen seiner Medikamente häufig nicht kennt und selten die komplette Medikation im Kopf hat. Falls sich Zweifel nicht ausräumen lassen, hilft es weiter, wenn der Patient beim nächsten Besuch seine Hausapotheke mitbringt.

Außerdem ist es wichtig, absolute Kontraindikationen abzuklären (siehe auch Tabelle 1). Doch da Krebs- und AIDS-Patienten sowie Menschen mit einer transplantierten Niere häufig Stammkunden sind, kann schnell mithilfe der Kundenkarte ermittelt werden, ob sie bestimmte Zytostatika oder Immunsupressiva einnehmen.

Tabelle 1: Interaktionen und Kontraindikationen mit Johanniskraut-Präparaten

Cave! Arzneimittelgruppe Präparate (Beispiele)
Wirksamkeitsverlust Digitalispräparate Digimerck®, Lanitop®
Antikoagulanzien Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®) Wardarin (Coumadin®)
Antiasthmatika Theophyllin Bronchoretard® Euphyllong® Solosin®
Antiarrhythmika Verapamil Isoptin®, Veranorm®
Lipidsenker Simvastatin Zocor®
Verhütungsmittel Ovulationshemmer
Absolute Kontraindikation Zytostatika Imatinib Glivec® Irinotecan Campto® Axinotectan®
Immunsupressiva Ciclosporin A Sandimmun® Cicloral® P acrolimus (nur innerlich, nicht als Creme) Prograf® Protopic® Sirolimus
HIV-Medikamente Indivinavir Nevirapin

Verlust der Wirksamkeit

Nicht immer kaufen Kunden die Präparate für den Eigenbedarf. Daher ist die Frage nach dem Alter des Patienten wichtig. Kinder unter 12 Jahren dürfen keine Johanniskraut-Präparate erhalten. Frauen, die mit der »Pille« verhüten, sollten auf mögliche Zwischenblutungen hingewiesen werden. Da Hypericum-Präparate generell die Sicherheit der Kontrazeptiva herabsetzen, sind zusätzliche Verhütungsmethoden zu empfehlen. Wer bereits Antidepressiva verordnet bekommt, sollte zusätzlich keine Phytopharmaka mit Johanniskraut einnehmen.

Bei der Abgabe auf Rezept oder auch im Rahmen der Selbstmedikation sollte ein aufmunternder Satz nicht fehlen, zum Beispiel »Nehmen Sie die Tabletten regelmäßig ein, dann fühlen Sie sich nach gut 4 bis 6 Wochen schon viel besser! Sollte dies nicht der Fall sein, wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt.«

Die richtige Empfehlung

Spricht nichts gegen die Abgabe eines Johanniskraut-Präparats, hat es sich bewährt, in einer Teamsitzung eine Arzneimittelliste mit Auswahlkriterien für die Empfehlung zusammenzustellen (siehe Tabelle 2). Neben den unterschiedlichen Extraktionsmitteln sind je nach Hersteller auch die Einnahmeempfehlungen ganz verschieden. Die Gesamttagesdosis sollte zwischen 600 bis 900 mg liegen.

Tabelle 2: Auswahlkriterien für die Empfehlung eines geeigneten Präparats

Präparat (Beispiele) Qualitative Zusammensetzung Arzneiform Einnahmehinweis Sonstiges
Jarsin®
300 mg
300 mg Trockenextrakt aus Johanniskraut
3-6:1
Methanol 80 % (V/V)
Runde, beige­farbene überzogenen Tablette dreimal 1 Filmtablette
tägl. unzerkaut zu den Mahlzeiten
Tagesdosis: 900 mg
Jarsin®
750 mg
750 mg Trockenextrakt
s.o.
Oblonge, gelbe Film­tablette mit beid­seitiger Bruchkerbe zweimal tägl. eine halbe Filmtablette unzerkaut zu den Mahlzeiten

Die beiden Bruchstücke sollen innerhalb eines Tages eingenommen werden.
Tagedosis: 750 mg
Jarsin®
450 mg
450 mg Trockenextrakt
s.o.
Ovale, beige­farbene Filmtablette zweimal tägl. 1 Film­tablette zu den Mahlzeiten Tagesdosis: 900 mg
Johanniskraut-CT®
Johanniskraut ratioparm®
425 mg Trockenextrakt
3,5-6,0:1
Ethanol 60 % (m/m)
Hartkapsel mit gelbgrauem Unterteil und rotbraunem Oberteil zweimal tägl. regelmäßig zu den gleichen Zeiten mit ausreichend Flüssigkeit Tagesdosis: 850 mg
Neuroplant® aktiv 600 mg Trockenextrakt
3-7:1
Methanol 80 % (V/V)
Filmtablette einmal tägl. morgens un­zerkaut unabhängig von den Mahlzeiten

Die Filmtabletten besitzen eine Bruchrille und können zur Erleichterung der Ein­nahme dort nach Anritzen der Tabletten­oberfläche mit dem Fingernagel geteilt werden.
Tagesdosis: 600 mg

Tablette nicht im Liegen einnehmen.
Neuroplant®
300 mg Novo
300 mg Trockenextrakt
s.o.
Filmtablette dreimal tägl. eine Filmtablette unzerkaut am besten zu den Mahlzeiten Filmtablette nicht im Liegen einnehmen

Applikationshinweise

Beim Vergleich der Packungsbeilagen fällt auf, dass die Generikahersteller empfehlen, das Präparat »möglichst regelmäßig zu den gleichen Zeiten, zum Beispiel eine Hartkapsel morgens und eine zweite Hartkapsel abends« einzunehmen, unabhängig von den Mahlzeiten. Die Einnahmeempfehlung für Jarsin 300® lautet hingegen: »Die überzogenen Tabletten werden mit ausreichend Flüssigkeit (z.B. ein Glas Wasser) morgens, mittags und abends zu den Mahlzeiten eingenommen.« Dieser Rat ist möglicherweise darauf zurück­zuführen, dass die Teilnehmer wissenschaftlicher Studien die Tabletten um 8.00, 13.00 und 18.00 Uhr einnahmen. Doch die Praxis zeigt: Je mehr Einnahmezeitpunkte sich die Patienten merken müssen, umso eher vergessen sie die Einnahme. Da Filmtabletten ebenso wie Kapseln in der Speiseröhre kleben bleiben könnten, lautet die Empfehlung: »Bitte nehmen Sie die Tablette nicht im Liegen ein und befeuchten Sie den Mund vorab mit Wasser«.

Stichwort Phototoxizität

Eine bekannte Nebenwirkung der Johanniskraut-Präparate ist die Phototoxizität. Die sonnenbrandähnlichen Symptome wie Rötungen, Schwellungen sowie Blasen entstehen meist durch UVA-Strahlen (320 bis 400 Nanometer) und dann auch nur auf ungeschützter Haut. Doch erwiesenermaßen wirkt sich Sonnenlicht positiv auf die Stimmung depressiv veranlagter Menschen aus. Und das lebensnotwendige Vitamin D bildet sich auch nur bei Sonnenschein. Daher sollte kein Patient aus Angst vor diesen Nebenwirkungen den Aufenthalt im Freien meiden. Im Sommer sollte jeder je nach Hauttyp ein Sonnenschutzpräparat mit hohem UVA-Filter auftragen. Solarienanhänger sollten während der Therapie besser auf den Besuch verzichten.

Darüber hinaus verstärkt eine Reihe anderer Arzneimittel die Phototoxizität der Johanniskraut-Präparate, beispielsweise Diuretika wie Hydrochlorothiazid (HCT), Furosemid oder das Antihypertonikum Nifedipin, die ACE-Hemmer Captopril und Enalapril. Möglicherweise hat der Patient bei der Frage nach einem Herz-Kreislauf-Medikament eines dieser Arzneimittel bereits genannt. Dann ist es nur noch nötig, ihn nach der Einnahme von Analgetika wie Ibuprofen oder Diclofenac zu fragen.

Thrombosegefahr

Zu möglichen Wechselwirkungen formuliert die ABDA-Datenbank: »Bei gleichzeitiger Behandlung mit Johanniskraut kann die blutgerinnende Wirkung der peroralen Antikoagulantien im Verlauf einiger Tage vermindert werden, sodass Thrombosegefahr besteht.« Nimmt der Patient den Thrombozytenaggregationshemmer ASS 100 ein, sind keine weiteren Maßnahmen nötig. Bei Phenprocoumon oder Warfarin liegt der Fall anders. Cumarine werden in der Leber vom Cytochrom-P450-Enzymsystem abgebaut. Die Inhaltsstoffe des Johanniskrauts bewirken, dass der Körper diese Enzyme vermehrt bildet (Enzyminduktion). Außerdem nimmt die Wirkstoffkonzentration der Cumarine im Blut noch weiter ab, weil zusätzlich ein Transportprotein des Darms, das P-Glykoprotein, kaum noch gebildet wird. Da die Halbwertszeit des Vitamin-K-Antagonisten 70 bis 95 Stunden beträgt, tritt die Thrombose zeitverzögert nach einigen Tagen ein. Dann gerinnt das Blut trotz regelmäßiger Einnahme des Antikoagulanz, in der Vergangenheit sind aufgrund dieser Wechselwirkung bereits Patienten an den Folgen einer Thrombose verstorben. Zusammenfassend gilt: Unter Beachtung der Kontraindikationen und Wechselwirkungen ist die Therapie mit Johanniskraut-Präparaten als sicher einzuschätzen./