ARZNEIMITTELTHERAPIE
Nebenwirkungen der Antibabypille
Schwer zu fassen
Von Annette Immel-Sehr / »Jede zehnte Frau wegen Pille von Depressionen betroffen.« Die Meldung ging vor einigen Wochen durch die Presse. Diese Aussage, die auf das Ergebnis einer Online-Befragung zurückgeht, macht stutzig, denn wissenschaftlich lassen sich Stärke und Häufigkeit unerwünschter Wirkungen hormoneller Kontrazeptiva bisher nur schwer in Zahlen fassen.
Nahezu jede zweite Anwenderin der Antibabypille leide unter Nebenwirkungen, so die Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung, die die Siemens-Betriebskrankenkasse SBK im September dieses Jahres durchführen ließ. Die Ergebnisse beruhen auf den Angaben von 1054 Frauen im Alter ab 18 Jahren. Über alle Altersklassen hinweg berichteten 49 Prozent der Befragten über Nebenwirkungen. Am häufigsten bemerkten jüngere Frauen zwischen 18 und 24 Jahren unerwünschte Effekte (65 Prozent). Neben Gewichtszunahme (28 Prozent) waren Kopfschmerzen/Migräne (17 Prozent), Depressionen (10 Prozent) und sexuelle Unlust (9 Prozent) die häufigsten genannten unerwünschten Effekte.
![]() | ![]() |
![]() | |
![]() Foto: Shutterstock/Image Point Fr |
Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu berücksichtigen, dass die Angaben lediglich das subjektive Empfinden der Anwenderinnen widerspiegeln. Daraus lässt sich nicht ableiten, ob die Symptome tatsächlich Nebenwirkungen der hormonellen Kontrazeptiva waren. Die Daten sind zudem weder im Vergleich zu Placebo noch gegen andere Präparate oder Methoden erhoben worden. Daher lohnt es sich, die Ergebnisse der Online-Befragung einmal mit Daten anderer Erhebungen zu vergleichen.
Dick durch Pille?
»Die Pille macht dick« – diese Annahme ist weitverbreitet. Erwiesen ist sie allerdings nicht. Eine umfangreiche systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 aus der Reihe der renommierten Cochrane Reviews untersuchte den Zusammenhang zwischen der Einnahme kombinierter hormoneller oraler Kontrazeptiva (KOK) und Gewichtsveränderungen. Im Vergleich zu Placebo ergab sich dabei keine Evidenz, für eine Gewichtszunahme unter der Antibabypille. Auch wenn verschiedene KOK gegeneinander getestet wurden, fanden sich in der Mehrzahl der Studien keine Unterschiede.
Eindeutige Angaben zur Häufigkeit von Kopfschmerzen als Folge der Einnahme von KOK sind kaum zu finden. Offenbar erleben manche Frauen bei der Pilleneinnahme eine Verschlechterung der Kopfschmerzsymptomatik, andere eine Verbesserung. Frauen, die wiederkehrend unter Migräneattacken mit Aura leiden, sollten grundsätzlich keine KOK einnehmen, da in diesem Fall ein erhöhtes Schlaganfallrisiko durch die KOK besteht. Frauen mit Migräne ohne Aura verordnen Ärzte häufig reine Gestagenpillen.
Einfluss testen
Der Berufsverband der Frauenärzte rät Frauen mit Kopfschmerzen, unter fachärztlicher Anleitung genau zu testen, welchen Einfluss das Absetzen beziehungsweise die Einnahme der Pille auf das Auftreten von Kopfschmerzen hat. Mitunter spielt die Estrogendosis eine Rolle, sodass ein Präparatewechsel eventuell sinnvoll sein kann. Allerdings ist eine Bewertung von Nebenwirkungen erst dann sinnvoll, wenn der Körper Zeit hatte, sich an die neue hormonelle Situation zu gewöhnen. Häufig verschwinden anfängliche Nebenwirkungen in den ersten drei bis sechs Monaten der Einnahme von selbst wieder.
Jede zehnte Frau gab in der zitierten Online-Befragung an, infolge der KOK-Einnahme unter Depressionen zu leiden oder gelitten zu haben. Wie sieht die wissenschaftliche Datenlage hierzu aus? Eine systematische Übersichtsarbeit hat 2016 die Ergebnisse von Studien der vergangenen 30 Jahre hinsichtlich des Auftretens von Stimmungsschwankungen und der Einnahme von KOK zusammengefasst. Demnach erfuhren die meisten Anwenderinnen keine oder positive Stimmungsveränderungen unter KOK, negative Auswirkungen waren eher selten. Ein-Phasen-Präparate beziehungsweise die nicht orale Hormongabe führten zu den geringsten Stimmungseffekten.
Charlotte Skovlund und ihre Kollegen von der Universität Kopenhagen fanden allerdings – unabhängig, ob es sich um Pillen, Intrauterin-Systeme, Vaginalring oder Pflaster handelt – einen Zusammenhang zwischen der Verordnung von Antidepressiva und der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva. Frauen, die KOK anwenden, bekommen zu 20 Prozent häufiger Antidepressiva verschrieben als Frauen, die nicht hormonell verhüten. Das Risiko lag für junge Frauen bis 20 Jahre am höchsten. Wie es zu dieser Assoziation kommt, ist allerdings unklar.
Das absolute Risiko der einzelnen Anwenderin war in der Untersuchung aber generell nicht hoch. Von 100 jungen dänischen Frauen erhalten jährlich statistisch 1,7 ein Rezept für ein Antidepressivum. Unter den Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva beträgt die Rate 2,2 Prozent. Das Risiko war abhängig von der Dauer der KOK-Anwendung: Es stieg während der ersten sechs Monate und ging dann langsam wieder zurück.
Sexuelle Unlust
9 Prozent der Teilnehmerinnen der Online-Befragung gaben sexuelle Unlust als Nebenwirkung der Antibabypille an. Zu diesem Punkt gibt es zwei wissenschaftliche Publikationen aus dem Jahr 2015. Eine schwedische Forschergruppe wertete Fragebögen von rund 1900 jungen Schwedinnen aus (22, 25 oder 28 Jahre alt). 27 Prozent der Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva gaben eine Abnahme der sexuellen Lust an, die sie mit der Verhütungsmethode in Zusammenhang brachten. Bei Frauen, die nicht hormonell verhüteten, waren es nur 12 Prozent. Diese Verdopplung des Risikos für sexuelle Unlust blieb auch bestehen, nachdem Faktoren wie Alter, Depression, Body-Mass-Index, Bildungsniveau und Gebärfähigkeit statistisch eliminiert worden waren.
Tübinger Forscher haben untersucht, ob eine unterschiedliche Dosis an Estrogen oder Gestagen in KOK einen Einfluss auf Lust, Erregung, Orgasmusfähigkeit und sexuelle Befriedigung haben kann. Sie befragten mit einem standardisierten Fragebogen anonym rund 2600 Medizinstudentinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Ergebnis zeigte sich unter hormoneller Verhütung eine geringere sexuelle Funktion als bei nicht hormoneller Verhütung. Einen Zusammenhang mit den eingesetzten Hormonen und deren Dosierungen fanden die Forscher aber nicht.
Was folgt aus diesen Studien für die Beratung in der Apotheke? Zweifelsohne zeigen KOK unerwünschte Effekte, doch sind ihre Stärke und Häufigkeit bislang schwer in Zahlen zu fassen. Ein wichtiger Hinweis für Frauen, die mit der Pilleneinnahme beginnen: Der Körper benötigt oft einige Monate, um sich an die veränderte hormonelle Situation zu gewöhnen. Sofern Nebenwirkungen aber fortbestehen, sollten die Frauen sich an ihren Gynäkologen wenden. Dieser wird möglicherweise einen Pillenwechsel oder eine andere Verhütungsmethode vorschlagen.
Thrombose und Krebs
Die Veröffentlichungen der pharmazeutischen Fachpresse in den vergangenen Jahren beschäftigten sich vor allem mit dem Risiko einer venösen Thromboembolie als seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung der Pille sowie mit der Frage, ob die Einnahme möglicherweise das Krebsrisiko erhöht. Absolut betrachtet ist das Risiko für das Auftreten einer venösen Thromboembolie bei allen niedrig dosierten KOK (Ethinylestradiol-Gehalt < 50 μg) sehr gering. Es steigt bei Vorliegen von Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, erhöhtem Blutdruck oder schlecht eingestelltem Diabetes. Zudem hängt das Risiko von der Anwendungsdauer ab. Es ist während der ersten sechs Monate hoch und sinkt dann kontinuierlich. Orale Kontrazeptiva mit neueren Gestagenen erhöhen das Risiko für eine venöse Thromboembolie aber deutlich stärker als ältere Kombinationspräparate.
Die Beurteilung der KOK hinsichtlich des Krebsrisikos ist insgesamt neutral: Zwar steigt das Risiko für bestimmte Krebsarten wie Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs unter der Pillen- Einnahme geringfügig an, doch sinkt zugleich das Risiko für Darm-, Eierstock- oder Gebärmutterkörperkrebs. Dieser schützende Effekt besteht auch nach Absetzen der Pille über viele Jahre fort. /
![]() |
![]() |
![]() Foto: Shutterstock/satit sewtiw |
Beitrag erschienen in Ausgabe 24/2017
Das könnte Sie auch interessieren
AUSGABE 24/2017
|