Infektion mit Epstein-Barr-Virus fördert MS |
Christina Hohmann-Jeddi |
22.02.2022 08:30 Uhr |
Das Epstein-Barr-Virus ist vor allem als Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers bekannt. Es könnte aber auch eine Rolle bei der Entstehung der Multiplen Sklerose spielen. / Foto: Shutterstock/Kateryna Kon
Multiple Sklerose (MS) ist eine häufige entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Ursache bisher als ungeklärt gilt. Ein Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung wird seit Längerem unter anderem für Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), dem Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers, vermutet. Da sich aber etwa 95 Prozent aller Menschen im Laufe des Lebens mit dem Erreger infizieren, ist es schwierig, seine Rolle in der MS-Pathogenese zu bestimmen.
Ein Team um Dr. Kjetil Bjornevik von der Harvard University untersuchte nun den Zusammenhang genauer und analysierte hierfür Blutproben und Daten von zehn Millionen jungen Angehörigen des US-Militärs aus 20 Jahren. Die Soldatinnen und Soldaten mussten während ihres Dienstes jährlich eine Blutprobe für einen HIV-Test abgeben.
Von diesen Militärangehörigen entwickelten 955 im Verlauf des Untersuchungszeitraums eine MS, wie das Team im Fachjournal »Science« berichtet. Davon hatten 801 Personen ausreichend Blutproben abgegeben, sodass sie in die Analyse mit aufgenommen werden konnten. 35 von ihnen waren in ihrer ersten Blutprobe noch EBV-negativ. Vor dem Ausbruch der Multiplen Sklerose infizierten sich allerdings 34 der 35 Personen mit dem Virus und entwickelten auch Antikörper gegen EBV.
Im Vergleich dazu infizierten sich aus einer Kontrollgruppe von 107 Militärangehörigen ohne MS, die zuerst EBV-seronegativ gewesen waren, nur etwa 50 Prozent im Verlauf der Studie mit dem Erreger. Daraus errechnete das Team, dass eine EBV-Infektion das MS-Risiko um den Faktor 32 erhöht. Für Infektionen mit anderen Erregern, darunter auch das Zytomegalievirus, ließ sich kein Zusammenhang mit dem MS-Risiko feststellen.
Die Serumspiegel des Proteins Neurofilament light chain, ein Biomarker der Neurodegeneration, stieg nur nach der EBV-Serokonversion an, also als Antikörper gegen das Virus nachweisbar wurden. Diese Ergebnisse könnten nicht durch einen bekannten Risikofaktor für MS erklärt werden und deuteten an, dass EBV die Hauptursache von MS sein könnte, schreiben die Autoren.
Unklar ist noch, warum nur einige Menschen an MS erkranken, obwohl die große Mehrheit sich schon früh im Leben mit dem Virus infiziert. Auch der Mechanismus, wie EBV die MS-Pathogenese beeinflusst oder auslöst, ist noch nicht verstanden.
Eine Einschätzung zu der Studie gab Professor Dr. Henri-Jacques Delecluse vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg gegenüber dem Science Media Center Deutschland ab: »Die Stärke des Papers liegt in der sehr großen Zahl von über zehn Millionen beobachteten Menschen und in der Länge der Studie von etwa 20 Jahren. Damit ist sie die bis jetzt überzeugendste Studie auf dem Gebiet und zeigt eindeutig, dass sich MS ohne EBV-Infektion beinahe nicht entwickeln würde.«
Interessant sei auch die Erkenntnis, dass der Biomarker Neurofilament light chain nach einer EBV-Infektion ansteige. »Hier konnten die Autoren überzeugend zeigen, dass nur die EBV-Infektion diese Veränderungen verursacht, und zwar bereits mehrere Jahre bevor die klinischen Zeichen von MS sichtbar werden.« Dies lasse annehmen, dass die Infektion relativ schnell Läsionen im Gehirn setze, die sich jedoch jahrelang fortsetzen müssten, bevor sie MS verursachten.
Delecluse betont, dass neben der EBV-Infektion auch andere Faktoren zum Beispiel genetischer Natur wichtig seien, etwa MHC-Gene, die die Immunantwort regulieren. Es sei auch sehr wahrscheinlich, dass andere, bis jetzt nicht eindeutig identifizierte nicht genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, etwa das Alter bei der ersten Infektion mit EBV oder infektiöse Agenzien. Letztlich sei MS aber eine seltene Krankheit und die allermeisten EBV-positiven Menschen hätten keine MS.
Mit Blick auf die Behandlung der MS ergeben sich dem Experten zufolge aus der Studie derzeit keine unmittelbaren Konsequenzen. Bemerkenswert sei aber, dass EBV bestimmte Immunzellen (B-Zellen) infiziert und in diesen Zellen verbleibt. »Interessanterweise haben sich Behandlungen, welche die Anzahl von B-Zellen im Blut verringern, als sehr wirksame Therapien bei der MS erwiesen«, berichtet Delecluse.
Inzwischen wird auch an Impfungen gegen EBV gearbeitet. »Theoretisch bedeutet der kausale Zusammenhang zwischen EBV und MS, dass eine Impfung gegen EBV die Entstehung einer MS verhindern sollte«, so Delecluse. Derzeit stehen aber keine zugelassenen EBV-Impfstoffe zur Verfügung.