Ist Ozempic knapp, weil es zum Abnehmen verordnet wird? |
Juliane Brüggen |
16.11.2022 12:30 Uhr |
Bei bestimmten Personen kann Semaglutid die Gewichtsabnahme unterstützen, aber nicht ohne begleitende Lebensstiländerungen. / Foto: Getty Images/Charles O'Rear
GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid sind besonders von Vorteil für Patienten, die neben Typ-2-Diabetes an Übergewicht leiden. »Sie helfen erfolgreich bei der Kontrolle des Diabetes und beim Abnehmen, indem sie Völlegefühl verstärken und Hunger und Heißhunger reduzieren«, erklärt Professor Dr. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE aus München und Landshut. Sehr deutlich zeigt sich der Abnehm-Effekt bei Semaglutid, das bereits seit 2018 zur Diabetestherapie im Handel ist (Ozempic).
In klinischen Studien, etwa der STEP-1-Studie, lag die Gewichtsabnahme unter einmal wöchentlicher Gabe von 2,4 mg Semaglutid und begleitenden Lebensstiländerungen nach 68 Wochen bei 14,9 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahmen Personen in der Placebo-Gruppe nur 2,4 Prozent ab. Aufgrund dieser Daten wurde Semaglutid 2021 in den USA und zuletzt auch in der EU mit dem Handelsnamen Wegovy® zur Therapie der Adipositas ohne Diabetes zugelassen. »Aufgrund von Lieferengpässen ist es in Europa jedoch derzeit nicht erhältlich«, sagt Schneider.
In den USA ist offenbar ein regelrechter Hype um Semaglutid entstanden, wie die DGE berichtet. »Dort wird das verschreibungspflichtige Diabetesmedikament Ozempic sehr stark im Off-Label-Use, also ohne Zulassung, zur Gewichtsreduktion verwendet; auch weil viele Prominente wie Elon Musk das stark bewerben. Allein der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in sozialen Medien geteilt«, berichtet Schneider. Nicht ohne Folgen für Diabetiker: »Inzwischen ist dadurch der Wirkstoff Semaglutid mancherorts knapp geworden.«
Zu beachten ist, dass die beiden Präparate nicht nur unterschiedliche Namen und Indikationen haben, sondern auch anders dosiert werden. Während für Ozempic eine Erhaltungsdosis von 1–2 mg wöchentlich vorgesehen ist, beträgt diese bei Wegovy 2,4 mg wöchentlich. Zudem ist Wegovy nicht für jede übergewichtige Person geeignet: Voraussetzung ist laut Zulassung entweder ein Body-Mass-Index (BMI) von 30 oder höher oder ein BMI von 27 oder höher mit mindestens einer gewichtsbedingten Erkrankung. Begleitet werden soll die Therapie von einer kalorienreduzierten Diät und einer erhöhten körperlichen Aktivität.
Die DGE warnt vor Risiken und Nebenwirkungen einer unkontrollierten Anwendung ohne entsprechende Indikation. Es könne beispielsweise zu Übelkeit und Erbrechen kommen, aber auch zu Krankheiten der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase. Im Tierversuch habe sich zudem ein erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten gezeigt. Langzeitwirkungen seien noch nicht ausreichend untersucht. Daher kommen die Experten zum Fazit: »Diese Medikamente sollten nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben – und auch nur, wenn die medizinische Notwendigkeit besteht und die Anwendung in der Folge sorgfältig überwacht wird.« Der Ansturm auf die Medikamente gefährde die Versorgung der eigentlichen Zielgruppe, der Diabetiker.
GLP-1-Agonisten, auch Inkretin-Mimetika genannt, sind Analoga des körpereigenen Darmhormons Glucagon-like-peptide 1 (GLP-1). Dieses gehört zu den Inkretinen – gastrointestinalen Hormonen, die unter anderem die glucoseabhängige Insulinausschüttung aus den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse steuern. Darüber hinaus senkt GLP-1 die Glucagon-Konzentration, verzögert die Magenentleerung und vermindert den Appetit.
Arzneistoffe aus der Gruppe der selektiven GLP-1-Agonisten rufen die gleichen Effekte wie GLP-1 hervor. Appliziert werden sie subkutan als Injektionslösung oder -suspension, zum Beispiel mit einem Fertigpen. Derzeit zugelassen sind Exenatid (Bydureon®, Byetta®), Liraglutid (Saxenda®, Victoza®), Lixisenatid (Suliqua®), Dulaglutid (Trulicity®) und Semaglutid (Ozempic, Wegovy). Neben Semaglutid hat auch Liraglutid eine separate Zulassung bei Adipositas ohne Diabetes. Laut Fachinformation erzielte unter Liraglutid eine größere Anzahl von Patienten in allen Studiengruppen eine Gewichtsabnahme von ≥ 5 % und > 10 % als unter Placebo.
Das jüngst zugelassene Tirzepatid (Mounjaro®) ist ein Analogon des Inkretins GIP (Gastrisches Inhibitorisches Polypeptid), das ebenfalls die Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse stimuliert. Es wirkt aber nicht nur am GIP-Rezeptor als Agonist, sondern auch am GLP-1-Rezeptor (dualer Wirkmechanismus) und soll den Blutzucker stärker senken als selektive GLP-1-Agonisten. Bei Tirzepatid wurde ebenfalls eine deutliche Gewichtsreduktion beobachtet.