Keine klare Sicht |
Arzneistoffe, die lokal ins Auge appliziert werden, können ebenso wie systemische Wirkstoffe die Sehschärfe herabsetzen. Das kann zu gefährlichen Situationen im Straßenverkehr führen. / Foto: Your Photo Today
Das Auge ist aufgrund seiner geringen Größe und der guten Gefäßversorgung besonders anfällig für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Die Ursachen hierfür sind mannigfaltig: Sie reichen von Rötungen und Reizungen durch diverse lokal applizierte Ophthalmika bis hin zu Schädigungen des Sehnervs durch systemisch verabreichte Arzneistoffe.
Nahezu alle Wirkstoffgruppen, die in der Glaukomtherapie zum Einsatz kommen, führen zu lokalen Nebenwirkungen, die eine Visuseinschränkung verursachen können. Carboanhydrasehemmer wie Brinzolamid und Dorzolamid rufen oftmals Brennen, Tränen oder Verschwommensehen hervor. α-2-Agonisten (Clonidin, Apraclonidin und Brimonidin) führen unter Umständen ebenfalls zu Verschwommensehen, aber auch zu einem trockenen Auge und einer Konjunktivitis.
Zum Nebenwirkungsspektrum der Prostaglandine wie Latanoprost und Bimatoprost zählen eine Hyperämie der Bindehaut sowie Reizerscheinungen am Auge. Betablocker (zum Beispiel Timolol) führen zum trockenen Auge, Sympathomimetika (Adrenalin) verursachen allergische Reaktionen bis hin zum Makulaödem, und Parasympathomimetika (wie Pilocarpin) rufen unter Umständen eine Miosis, eine Pupillenverengung, hervor.
Darüber hinaus kommt es aber auch durch Konservierungsstoffe wie Benzalkoniumchlorid zu oftmals massiven Augenreizungen. Derartige Substanzen kommen nicht nur in Glaukomtherapeutika, sondern auch in vielen anderen Ophthalmika zum Einsatz, etwa in solchen zur Behandlung des Sicca-Syndroms. Die Visuseinschränkung durch diese Stoffe ist oftmals massiv und langanhaltend. Eine vorübergehende und damit weniger gravierende Einschränkung des Sehvermögens wird durch die entsprechende Galenik mancher Ophthalmika hervorgerufen: Dickflüssige Gele und Augensalben führen lediglich zu einer zeitlich begrenzten Sehbehinderung.
Nimmt man die Sehstörungen beziehungsweise Visuseinschränkungen, die durch systemisch applizierte Arzneistoffe hervorgerufen werden, in den Blick, so ist die Anzahl der Substanzen enorm. Deshalb können nur einige beispielhaft angesprochen werden. Beispielsweise führen in der Gruppe der Analgetika Naproxen (häufig) und Ibuprofen (gelegentlich) zu Sehstörungen – sowohl bei kurz- als auch bei langzeitigem Gebrauch. Die »schnelle« Schmerztablette gegen den akuten Kopfschmerz kann sich also durchaus auf das Sehvermögen und damit das Reaktionsvermögen und die Aufmerksamkeit, etwa im Straßenverkehr, auswirken. Auch bei den Coxiben kommt es zu Sehstörungen, aber auch zu Konjunktivitis und unter Umständen zu okulären Blutungen.
Gefürchtete Nebenwirkung: Ein Makulaödem kann etwa unter der Therapie mit einem antiretroviralen Wirkstoff auftreten. / Foto: BVA
Auch Antiepileptika beeinflussen die Sehkraft; jedoch treten diese Sehstörungen meist erst bei sehr hohen beziehungsweise Überdosierungen auf. Allerdings führt beispielsweise Topiramat unter anderem zu einer Erhöhung des Augeninnendrucks und unter Vigabatrin kommt es zu einer Einschränkung des Gesichtsfelds. In der Gruppe der Antibiotika kommt es mitunter zu massiven Nebenwirkungen am Auge, die eine deutliche Visuseinschränkung zur Folge haben. Einerseits verursacht die topische Anwendung mancher Antibiotika am Auge lokale Reizungen: Aminoglykoside führen zu Augenbrennen, allergischen oder toxischen Reaktionen, Moxifloxacin zu Augenschmerzen und Konjunktivitis. Zudem erreichen systemisch verabreichte Fluorchinolone im Auge hohe Konzentrationen, die unter Umständen Hornhautperforationen und Netzhautablösungen hervorrufen können.
Während antibakterielle Wirkstoffe sehr häufig verordnet werden, ist die Gruppe der Patienten, die mit antiretroviralen Wirkstoffen behandelt werden, deutlich kleiner. Allerdings sind auch hier die Nebenwirkungen am Auge vielfältig und teilweise erheblich: Uveitis (Augenhaut-Entzündung), Makulaödem sowie Katarakt, aber auch zum Beispiel Konjunktivitis beim Einsatz von Nevirapin beziehungsweise Netzhautablösungen hervorgerufen durch Ganciclovir.
Bei den Krebstherapeutika muss Tamoxifen angesprochen werden: Das Katarakt-Risiko steigt mit der Dauer der Einnahme, und auch irreversible intraretinale Einlagerungen führen zur Visuseinschränkung. Aber auch Aromatasehemmer rufen unter Umständen Linsentrübungen hervor. Unter einer Therapie mit TNF-α-Inhibitoren kann es – neben den »klassischen« Nebenwirkungen wie Konjunktivitis und Sehstörungen – zu einer Entzündung des Sehnervs (retrobulbäre Optikusneuritis) kommen, die erst im Verlauf der Therapie auftritt.
Unscharfes Sehen ist eine typische Nebenwirkung herzwirksamer Glykoside. / Foto: Adobe Stock/rcfotostock
Eine weitere Arzneistoffgruppe, bei der man nicht ohne Weiteres an eine mögliche Visusminderung denkt, sind die Bisphosphonate. Entzündungen der Binde-, Leder-, Augen – oder Netzhaut (Konjunktivitis, Skleritis, Uveitis und Retinitis) sind sowohl für Alendronat und Ibandronat als auch für Risedronat und Zoledronat beschrieben. Das Risiko für das Auftreten von okularen Nebenwirkungen scheint bei intravenöser Gabe noch höher zu sein.
Weithin bekannt für unerwünschte Arzneimittelwirkungen am Auge ist die Wirkstoffgruppe der Glucocorticoide. Das Auftreten von Komplikationen wie Glaukom und Katarakt ist hierbei von unterschiedlichen Faktoren, zum Beispiel der Stärke des Corticosteroids, Art und Dauer der Applikation sowie Höhe der Dosierung abhängig. Selbst bei Low-Dose-Gaben in der systemischen Langzeittherapie steigt sowohl die Infektionsneigung als auch die Gefahr der Linsen- und Glaskörpertrübungen. Es kann also auch erst nach einer gewissen Therapiedauer zu einer Visuseinschränkung und damit zu einer Vigilanzminderung kommen.
Störungen des Farbsehens und unscharfes Sehen sind typische Nebenwirkungen beim Einsatz von herzwirksamen Glykosiden, die bereits an den ersten Einnahmetagen auftreten können. Da diese Arzneistoffgruppe nicht mehr zu den Mitteln der ersten Wahl bei der Behandlung der Herzinsuffizienz gehört, dürfte die Relevanz dieser unerwünschten Arzneimittelwirkungen inzwischen von geringerer Bedeutung sein.
Im Rahmen einer Interferon-Therapie kann es zu massiven Visuseinschränkungen kommen. Das Nebenwirkungsspektrum reicht von verschwommenem Sehen (sehr häufig) über Konjunktivitis und Schmerzen am Auge (häufig) bis hin zu Netzhautblutungen, Optikusneuritis und Verlust der Sehschärfe beziehungsweise des Gesichtsfeldes (selten).
Visuseinschränkungen durch Phosphodiesterase (PDE)-5-Hemmer treten relativ häufig auf. Neben Veränderungen im Farbsehen und erhöhter Lichtempfindlichkeit unter Sildenafil kommt es auch unter Tadalafil und Vardenafil unter anderem zu Augenschmerzen, Gesichtsfeldausfall oder einem Anstieg des Augeninnendrucks. Damit steigt die Glaukom-Gefahr. Da gerade auch Tadalafil eine Zulassung zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie und damit zur täglichen Dauereinnahme besitzt, ist die Bedeutung der okulären Nebenwirkungen von PDE-5-Hemmern nicht unerheblich und kann deutlichen Einfluss auf die Vigilanz im Alltag haben.
Schließlich soll noch kurz auf die negativen Effekte der Statine eingegangen werden. Doppeltsehen, Hängen des oberen Augenlids sowie Lähmungserscheinungen der Augenbewegungen führen zu deutlichen Visuseinschränkungen.
Dass ein Arzneimittel Nebenwirkungen am Auge auslösen kann, ist Patienten oft nicht bewusst. Hier ist die Beratung von PTA und Apotheker gefragt. / Foto: iStock/Mark_Kuiken
Es ist also deutlich erkennbar, dass viele verschiedene Arzneistoffe das Sehvermögen (teilweise irreversibel) beeinflussen und damit einen enormen Einfluss auf die Vigilanz, also die Wachheit und andauernde Aufmerksamkeit, eines Patienten haben. Besonderes Augenmerk sollten PTA und Apotheker bei der Beratung des Patienten auf diejenigen Wirkstoffe legen, bei denen die Visuseinschränkung nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist. Gerade hier muss der Patient sensibilisiert werden, um mögliche Gefahren durch eine Vigilanzminderung beispielsweise im Straßenverkehr und beim Bedienen von Maschinen zu vermeiden (siehe Tabelle).
Es ist stets zu berücksichtigen, dass die Sehbeeinträchtigung durch die bis hierher angeführten Arzneistoffe sich infolge einer Wirkstoffkumulation noch drastischer auswirken kann, wenn der Patient zusätzlich an einer Nieren- und/oder Leberinsuffizienz leidet – wie es besonders im höheren Lebensalter häufiger vorkommt.
Wirkstoffgruppe | Wirkstoff (Beispiele) | Indikation | Nebenwirkungen |
---|---|---|---|
Carboanhydrasehemmer | Brinzolamid, Dorzolamid | Glaukom | Gelegentlich: Fremdkörpergefühl, verschwommenes Sehen |
Alpha-2-Agonisten | Clonidin, Apraclonidin, Brimonidin | Glaukom | Häufig: Augenreizung, verschwommenes Sehen, trockenes Auge |
Prostaglandine | Latanoprost, Bimatoprost | Glaukom | Gelegentlich: Konjunktivitis |
Häufig: Augenreizungen, Augenrötung | |||
Antiallergika | Olopatadin, Epinastin | Konjunktivitis | Häufig: verminderte Sehschärfe, erhöhte Lichtempfindlichkeit |
Betablocker | Timolol | Glaukom | Gelegentlich: trockenes Auge, Konjunktivitis |
Sympathomimetika | Adrenalin | Glaukom | Gelegentlich: allergische Reaktionen |
NSAR | Naproxen, Ibuprofen | Analgesie u. a. | Sehstörungen: gelegentlich bei Ibuprofen, häufig bei Naproxen |
COX-2-Hemmer | Celecoxib | Analgesie | Gelegentlich: Sehstörungen, Konjunktivitis |
Psychopharmaka | Bupropion | Depression | Häufig: Sehstörungen |
Antiepileptika (hoch-, überdosiert) | Vigabatrin | Epilepsie | Häufig: Gesichtsfeldeinschränkungen, verschwommenes Sehen |
Virustatika | Ganciclovir | HIV | Gelegentlich: Augeninfektionen, Netzhautablösung |
Virustatika | Nevirapin | HIV | Gelegentlich: Konjunktivitis, Makulaödem |
Estrogenrezeptormodulatoren | Tamoxifen | Brustkrebs | Häufig: Katarakt, Netzhautveränderungen |
TNF-alpha-Inhibitoren | Adalimumab, Infliximab | Rheuma | Gelegentlich: Sehstörungen |
Häufig: Konjunktivitis | |||
Glucocorticoide | Prednisolon, Dexamethason, Triamcinolon | diverse Indikationen | Gelegentlich: Katarakt, Glaukom |
Herzglykoside | Digitoxin u.a. | Herzinsuffizienz | Gelegentlich: Veränderungen des Farbsehens, unscharfes Sehen |
Immunmodulatoren | Interferon | Multiple Sklerose | Häufig: Konjunktivitis, Sehstörungen |
PDE-5-Hemmer | Sildenafil, Tadalafil | Erektile Dysfunktion u.a. | Gelegentlich: verschwommenes Sehen, Augenschmerzen |
Häufig: Sehstörungen, Veränderungen des Farbsehens (Sildenafil) | |||
Statine | Simvastatin, Atorvastatin | Hypercholesterolämie | Gelegentlich: Sehstörungen, Lähmungserscheinungen der Augenbewegungen |