Koffein-Kick mit Folgen? |
Trendgetränk: Besonders bei Jugendlichen sind Energydrinks beliebt. / Foto: Adobe Stock/Antonioguillem
Im August 2020 hatte sich Renate Künast als ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion noch für ein Verkaufsverbot für Energydrinks an Unter-16-Jährige ausgesprochen. »Eine Altersbeschränkung ist das wirksamste Mittel, um Kinder und Jugendliche vor erheblichen Risiken durch übermäßigen Energydrink-Konsum zu schützen«, hieß es damals. Worte, denen bislang keine Taten folgten. Erst einmal sollen die Ergebnisse der EDKAR-Studie abgewartet werden, die vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Kooperation mit der Charité in Berlin durchgeführt wird. Die Ergebnisse werden Ende 2022 erwartet. Die Studie soll beantworten, ob ein chronisch hoher Verzehr von Energydrinks wirklich zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Jugendlichen beiträgt und auf diese Weise eine wissenschaftliche Grundlage für weitere politische Maßnahmen schaffen. Denn dem damaligen Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zufolge bestünden über die gesundheitliche Wirkung der Energydrinks weiterhin Unklarheiten und offene Forschungsfragen.
Die EDKAR-Studie wird vom BfR in Kooperation mit der Charité-Universitätsmedizin in Berlin durchgeführt. In der ersten Phase werden etwa 5000 Berliner Schüler und Azubis im Alter von 15 bis 18 Jahren mithilfe eines Online-Fragebogens interviewt. Daraus werden für die anschließende medizinische Untersuchung 300 bis 600 Jugendliche zufällig nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Diese beinhaltet die Messung des Blutdrucks, ein Elektrokardiogramm (EKG) und eine Ultraschallmessung des Herzens sowie die Erfassung von Größe und Gewicht.
Auf die akuten Auswirkungen von Energydrinks konzentrieren sich die Forscher am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen der EDUCATE-Studie (Energy Drinks Unexplored Cardiovascular Alterations in Teens and Tweens), die von der Deutschen Herzstiftung gefördert wird. Die Studienleiter gehen davon aus, dass sowohl der akute wie auch der chronisch übermäßige Konsum das Risiko für Herz und Gefäße erhöht. »Die befürchteten Folgen reichen von Auffälligkeiten des Herzrhythmus bis hin zu Veränderungen der Gefäßelastizität und Blutdruckerhöhungen«, erklärt der Kardiologe Professor Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. »Sollten sich die akuten Effekte der Energydrinks auf die Herzfunktionen bestätigen, erhärtet dies den Verdacht, dass ein übermäßiger Konsum die kardiovaskuläre Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefährdet. Aus den Ergebnissen könnten somit für die Zukunft auch präventive Maßnahmen für den Schutz Minderjähriger abgeleitet werden«, hofft Studienleiter Dr. Felix Oberhoffer.
Die EDUCATE-Studie wird am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt und von der Deutschen Herzstiftung gefördert. Die an der Studie teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren werden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen untersucht, nachdem sie an einem Tag eine definierte Menge eines Energydrinks, am anderen Tag eine definierte Menge eines zuckerhaltigen Vergleichsgetränkes getrunken haben. Anschließend werden sie mit einem Langzeit-Blutdruck-Messgerät und einem Langzeit-EKG ausgestattet, um Blutdruck und Herzströme über weitere 24 Stunden zu kontrollieren.
Für den Kick durch Energydrinks ist in erster Linie Koffein verantwortlich. In Deutschland hergestellte Energydrinks dürfen gemäß der Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränke- und Teeverordnung (FrSaftErfrischGetrTeeV) bis zu 320 mg/l enthalten. Diesen Höchstwert schöpfen die Hersteller auch meist voll aus, sodass eine 250-ml-Dose mit 80 mg Koffein etwa so viel enthält wie eine Tasse Kaffee.
Koffein regt das Zentralnervensystem an und lässt Pulsfrequenz und Blutdruck steigen. Die Nebennieren produzieren vermehrt Noradrenalin, der Energiegrundumsatz steigt. Für gesunde Erwachsene, die an Kaffee gewöhnt sind, gelten etwa vier Tassen Kaffee über den Tag verteilt als unbedenklich. Das BfR stufte daher in seiner Stellungnahme von 2019 einen moderaten Genuss von Energydrinks bei gesunden Erwachsenen als unbedenklich ein. Schon damals räumte das BfR aber ein, dass eine chronisch sehr hohe Zufuhr von Koffein bei Kindern und Jugendlichen langfristig die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen könnte.
Wie und in welchem Alter die deutschen Kinder und Jugendlichen Energydrinks für sich entdecken und wie viel sie wirklich trinken, ist unklar. Es gibt zahlreiche Verzehrstudien und Befragungen, die aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns zu abweichenden Ergebnissen kommen.
Sicher ist allerdings, dass ein 13-jähriger Junge mit einem Gewicht von etwa 54 kg den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ermittelten Höchstwert von 3 mg Koffein pro kg Körpergewicht pro Tag bereits mit einer 500-ml-Dose erreicht. Sicher ist auch, dass es oft nicht bei einer Dose bleibt. Bei bestimmten Gelegenheiten wird häufig deutlich mehr getrunken, etwa in Diskotheken, auf Musik- und Sportveranstaltungen sowie beim Computerspielen, sowohl pur als auch gemischt mit alkoholischen Getränken.
Nach Erhebungen der EFSA zählen in Deutschland 17 Prozent der Jugendlichen zu sogenannten »Hoch-Akut-Trinkern«. Nach hohen akuten Koffein-Dosen dokumentierten Interventionsstudien mit jungen Erwachsenen moderate bis schwerwiegende unerwünschte Wirkungen: Herzklopfen, Kurzatmigkeit, unkontrolliertes Muskelzittern, schwere Übelkeit, Angstzustände, Nervosität sowie Veränderungen im Elektrokardiogramm. Eine zweite Gruppe, die überdurchschnittlich viel konsumiert, sind die »chronischen Hochverzehrer«. Sie trinken an vier bis fünf Tagen pro Woche Energydrinks. Zu dieser Gruppe gehören in Deutschland 9 Prozent der jugendlichen Energydrink-Nutzer.
Wer häufig Energydrinks in hohen Mengen konsumiert, nimmt nicht nur zu viel Koffein auf. Energydrinks enthalten einige weitere Zutaten, die in großen Mengen aus ernährungswissenschaftlicher Sicht abzulehnen sind: Zucker, Süßstoffe, Aromen, Farbstoffe oder Vitamine. Pflanzenextrakte wie Mate, Guarana oder Ginsengwurzelextrakt, die häufig zugesetzt werden, bleiben Beweise ihrer Wirksamkeit schuldig.
Für Taurin (4000 mg/l), Inosit (200 mg/l) und Glucuronolacton (2400 mg/l), ebenfalls typische Zutaten in Energydrinks, hat die FrSaftErfrischGetrV Höchstmengen definiert. Auch diese drei Substanzen hat das BfR bewertet: Bislang gibt es demnach keine Hinweise, dass ein moderater Konsum von Taurin, Inosit und Glucuronolacton zu unerwünschten gesundheitlichen Effekten führt. Allerdings hat das Institut Taurin nur als Einzelsubstanz beurteilt und potenzielle Wechselwirkungen mit anderen Inhaltsstoffen aus Energydrinks nicht betrachtet. Zur akuten Toxizität von Inosit und Glucuronolacton lägen aktuell keine Daten vor, heißt es.
Aus diesen Gründen sehen Ärzte, Behörden und Verbraucherschützer den Konsum kritisch und fordern, das Risiko von Nebenwirkungen durch eine zu hohe Koffeinaufnahme zu minimieren. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schlägt vor, Heranwachsende neben einer generellen Warnung vor der hohen Zuckeraufnahme aus süßen Erfrischungsgetränken für die Gefahren eines übermäßigen Koffeinkonsums durch Energydrinks zu sensibilisieren und Verkaufs- sowie Werbereglementierungen zu prüfen. Die Verbraucherzentrale und Foodwatch fordern, dass die Produkte deutlich sichtbare Warnhinweise tragen und auf die erhöhten Risiken in Kombination mit Alkohol oder körperlicher Anstrengung hingewiesen werden müsse. Zusätzlich fordern sie ein grundsätzliches Verkaufsverbot an Kinder und Jugendliche für alle Erfrischungsgetränke mit einem Koffeingehalt von mehr als 150 mg/l. In einigen Ländern ist das bereits Realität: 2014 hat beispielsweise Litauen als erstes Land der Welt den Verkauf an Minderjährige verboten. In anderen Ländern ist der Handel aktiv geworden. Im März 2018 etwa haben britische Supermärkte begonnen, den Verkauf von Energydrinks an Unter-16-Jährige einzustellen.
In Deutschland ist der Verkauf von Energydrinks ohne Altersbeschränkung erlaubt. Stattdessen sollen Höchstmengen und Kennzeichnungen einem Überkonsum entgegenwirken. An bestimmte Gruppen, die nicht zu viel Koffein aufnehmen sollten, richten sich die Hinweise, die die Lebensmittelinformations-Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) auf Energydrinks vorschreibt. Demnach müssen Getränke mit einem Koffeingehalt von mehr als 150 mg/l auf dem Etikett (im selben Sichtfeld wie die Bezeichnung des Getränkes) die Angabe »Erhöhter Koffeingehalt. Für Kinder und Schwangere oder stillende Frauen nicht empfohlen« enthalten, gefolgt von einem Hinweis (in Klammern) auf den konkreten Koffeingehalt des Getränkes (ausgedrückt in mg je 100 ml).
Die Hersteller von Energydrinks haben sich einen Verhaltenskodex auferlegt, der die gesetzlichen Vorgaben für die Kennzeichnung und Vermarktung von Energydrinks ausweiten soll.
Quelle: umformuliert nach Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke
Deutlich kleiner ist inzwischen die Auswahl an Energyshots im deutschen Handel geworden. Einige Hersteller, beispielsweise Red Bull, haben ihre Produkte bereits wieder vom Markt genommen. Energyshots enthalten üblicherweise dieselben Inhaltsstoffe wie Energydrinks, jedoch in konzentrierter Form. Die Flaschen und Dosen noch im Handel befindlicher Marken haben deutlich kleinere Größen von bis zu 150 ml, wodurch der Verbraucher mit nur einem Schluck den gleichen Koffeinkick bekommt wie mit einem gewöhnlichen Energydrink. Energyshots werden oft aus dem Ausland importiert und in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht, für die keine Höchstmengen-Regel gilt.
Laut Vorgaben der Nahrungsergänzungsmittelverordnung unterliegen sie lediglich einer Anzeigepflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) in Berlin und dürfen nur mit einer Verzehrempfehlung in Verkehr gebracht werden. Bei den bisher bekannten Produkten wird einheitlich nur »eine Portion am Tag« empfohlen. In seiner Stellungnahme von 2009 warnt das BfR vor einem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch. Junge Erwachsene liefen Gefahr, die Shots in der Disco nach persönlichem Belieben in größeren Mengen zu konsumieren. Insgesamt kam das BfR zu dem Schluss, dass Energyshots nicht sicher sind, und empfahl damals, den Verkauf zu untersagen.