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Ernährung

Kohlenhydrate sind besser als ihr Ruf

Viele Zeitschriften veröffentlichen derzeit Tipps für die Strandfigur. Low-Carb-Diäten haben sich dabei seit einigen Jahren als beliebter Ansatz zur Gewichtsreduktion etabliert. Brot, Kartoffeln und andere kohlenhydratreiche Lebensmittel werden dabei reduziert, nur vom Abendbrottisch entfernt oder nahezu völlig verbannt. Doch sind Kohlenhydrate nicht per se an überflüssigen Pfunden beteiligt.
Ulrike Becker
03.03.2020  16:00 Uhr

Es ist wichtig, zwischen den verschiedenen Arten von Kohlenhydraten zu differenzieren. Denn ob einfache Zuckermoleküle oder komplexe Polysaccharide im Essen sind, macht für die Gesundheit einen großen Unterschied.

Von Kartoffeln, Brot und Müsli über Reis sowie Nudeln bis hin zu Gemüse und Obst – kohlenhydratreiche Lebensmittel stehen in der Regel täglich auf dem Speiseplan. Dazu gesellt sich allerlei mit Zucker wie Kekse, Fruchtjoghurt, Pudding, gesüßte Getränke und Fertiglebensmittel. Die umfangreiche Lebensmittelliste macht deutlich, dass Kohlenhydrate einerseits wichtiger Baustein einer gesunden Ernährung sind, andererseits auf viele kohlenhydratreiche Produkte auch verzichtet werden könnte.

Kohlenhydrate können aus einem Zucker bestehen, dann handelt es sich um Monosaccharide. Zu diesen Einfachzuckern zählen unter anderem Glucose (Traubenzucker), Fructose (Fruchtzucker) und Galactose (Schleimzucker). Haushaltszucker (Saccharose) ist ein Zweifachzucker aus Glucose und Fruktose; Milchzucker (Laktose) setzt sich aus Glucose und Galactose zusammen. Die meisten natürlichen Lebensmittel enthalten langkettige Kohlenhydrate, sogenannte Polysaccharide, die aus zehn bis zu tausenden Zuckermolekülen bestehen können. Diese auch als komplexe Kohlenhydrate bezeichnete Gruppe dient den Pflanzen als Gerüstsubstanz (Cellulose) sowie als speicherbare Energiereserve (Inulin, Stärke). Die aus vielen verzweigten Glucoseeinheiten aufgebaute Stärke steckt in vielen Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Getreide und Hülsenfrüchten, aber auch in Gemüse. Zu den Polysacchariden zählen auch die unverdaulichen Ballaststoffe. Sie stellen aus ernährungsphysiologischer Sicht einen besonders wichtigen Teil der Familie der Kohlenhydrate dar. Die schwer verdaulichen Oligosaccharide, die nur aus drei bis zehn Zuckermolekülen bestehen, kommen vor allem in Hülsenfrüchten vor.

Funktion und Aufnahme

Kohlenhydrate dienen im menschlichen Stoffwechsel als wichtige Energielieferanten. Um sie für die Körperzellen nutzbar zu machen, müssen sie als Einfachzucker vorliegen. Denn als Hauptenergiequelle des menschlichen Organismus fungiert Glucose.

Das Gehirn benötigt täglich rund 140 Gramm, auch die roten Blutzellen (Erythrozyten), das Nierenmark und die Netzhaut des Auges sind vorrangig auf Glucose zur Energieversorgung angewiesen. Beginnend mit der Amylase im Speichel werden die Kohlenhydrate aus dem Lebensmittelverbund auf dem Weg zum Dünndarm enzymatisch in ihre Bausteine zerlegt. Über den Gehalt der Glucose im Blut wacht ein ausgeklügelter hormoneller Prozess. Beteiligt sind daran die Hormone Insulin und Glukagon, die beide von der Bauchspeicheldrüse freigesetzt werden und als Gegenspieler fungieren. Insulin sorgt für die Aufnahme der Glucose in die Körperzellen und senkt damit den Blutzucker. Wird ein bestimmter Blutzuckerwert unterschritten, sorgt Glukagon dafür, dass Glucose aus Speichern in Leber und Muskulatur freigesetzt wird.

Unterschiedliche Nährstoffdichte

Was unterscheidet nun »gute« und »schlechte« Kohlenhydrate voneinander? Zwar lassen sich alle Kohlenhydrate in mehr oder weniger die gleichen Bausteine zerlegen. Allerdings ist für die tägliche Ernährung entscheidend, aus welchen Lebensmitteln die Kohlenhydrate stammen. Viele sehr zuckerreiche Produkte wie Pudding, Gebäck oder Süßgetränke liefern reichlich Energie, aber nur wenige bis keine wertvollen Nährstoffe. Lebensmittel, die reich an komplexen Kohlenhydraten sind, wie Vollkornbrot, Karotten oder Linsen haben dagegen fast alle wichtigen Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe sowie sekundäre Pflanzen- und Ballaststoffe im Gepäck. Daher fällt bei ihnen die Nährstoffdichte bezogen auf den Energiegehalt deutlich höher aus. Sie lassen sich aus diesem Grund als gute Kohlenhydratquellen bezeichnen.

Trotz der genannten Unterschiede haben groß angelegte Studien gezeigt, dass die Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate auf das Erkrankungsrisiko keinen signifikanten Einfluss ausübt. Das heißt, für die meisten auch durch die Ernährung getriggerten Erkrankungen – darunter starkes Übergewicht (Adipositas), Bluthochdruck, Herz-Erkrankungen oder Diabetes – spielt es auf den ersten Blick keine Rolle, wie hoch der Kohlenhydratanteil in der Ernährung ausfällt.

Die Kohlenhydratzufuhr spielt allerdings dann eine Rolle, wenn man die aufgenommene Fettqualität genauer anschaut. Wer viele Kohlenhydrate, aber wenig Fett insgesamt und wenig gesättigte Fettsäuren – das heißt wenig tierische Lebensmittel – isst, bei dem sinkt laut epidemiologischen Studien die Konzentration an Gesamt- und LDL-Cholesterol, allerdings auch die HDL-Fraktion. Eine hohe Kohlenhydratzufuhr bei wenig mehrfach ungesättigten Fettsäuren in der Nahrung – das heißt bei wenig pflanzlichen Lebensmitteln (Fetten) – scheint dagegen die Konzentration des Gesamt- und LDL- Cholesterols im Blut zu steigern. Gleichzeitig sinkt das HDL-Cholesterol – eine besonders ungünstige Konstellation für den Fettstoffwechsel. Unabhängig von der Qualität der Fettsäuren in der Nahrung begünstigt ein hoher Anteil an Kohlenhydraten einen Anstieg der Triglycerid-Konzentration im Blut.

Ballaststoffe ein Muss

Bei der Auswahl kohlenhydratreicher Lebensmittel lassen sich weitere Unterschiede hinsichtlich bestimmter gesundheitlicher Risiken festhalten: Wer Vollkorn bevorzugt, beugt zahlreichen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und koronarer Herzkrankheit vor. An den positiven Effekten sind unter anderem die Getreideballaststoffe beteiligt. Vollkorngetreide ist vor allem reich an unlöslichen Ballaststoffen wie Cellulose und Lignin. Ergebnisse aus epidemiologische Studien belegen, dass eine hohe Ballaststoffzufuhr Adipositas, Bluthochdruck und koronarer Herzkrankheit vorbeugen kann.

Auch andere kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Gemüse, Hülsenfrüchte oder Nüsse sind reich an Ballaststoffen. Bei diesen Lebensmitteln überwiegt die lösliche Fraktion; dazu zählen beispielsweise Pektin und Inulin. Sowohl die unlöslichen als auch die löslichen Ballaststoffe erfüllen wichtige Aufgaben im Verdauungstrakt. Der unlösliche Anteil vergrößert das Volumen des Nahrungsbreis und erhöht das Stuhlgewicht. Das regt die Darmtätigkeit an und trägt zu einer zügigen Passage des Nahrungsbreis bei. Die lösliche Fraktion dient dagegen wichtigen Darmbakterien als Nahrung. Eine vielfältige Besiedelung mit im Darm ansässigen Mikroorganismen wirkt sich wiederum positiv auf die Darmgesundheit und auch auf das Immunsystem aus.

Wirkung auf Stoffwechsel

Vollkornprodukte haben aber noch mehr zu bieten. Zum einen liefern sie deutlich mehr Mineralstoffe als Produkte aus Weißmehl. Während 100 Gramm Vollkornmehl beispielsweise vier Gramm Eisen und 124 Gramm Magnesium enthalten, sind es bei Mehl der Type 405 lediglich 0,8 Gramm beziehungsweise 20 Gramm. In großen Bevölkerungsstudien ließ sich nachweisen, dass Vollkornprodukte einer verminderten Insulinempfindlichkeit der Körperzellen vorbeugen, von Medizinern als Insulinresistenz bezeichnet. Sie gilt als Vorstufe eines Typ-2-Diabetes. Darüber hinaus enthält Vollkorn bioaktive sekundäre Pflanzenstoffe, zum Beispiel antioxidativ wirkende Phenole sowie Phytoöstrogene. Letztere verbessern die Funktion der Blutgefäße und beugen Bluthochdruck vor. Auch eine protektive Wirkung bei Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird diskutiert.

Ungünstig auf die Gesundheit wirken sich dagegen größere Mengen kohlenhydratreicher Lebensmittel aus, die reichlich Mono- und Disaccharide enthalten. In erster Linie sind das mit Zucker gesüßte Getränke wie Limonaden, Eistees oder Cola-Getränke, aber auch Fruchtsaft, Fruchtsaftgetränke und Fruchtnektare. Studien liefern deutliche Hinweise, dass sie das Risiko für starkes Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Denn ein hoher Anteil an einfachen und schneller verfügbaren Kohlenhydraten beansprucht die Bauchspeicheldrüse stärker. Sie muss dann höhere Mengen an Insulin ausschütten. Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel, an dem neben ungünstiger Ernährung auch Bewegungsmangel beteiligt ist, senkt auch die Insulinempfindlichkeit der Zellen. Die Bauchspeicheldrüse muss immer mehr Insulin freisetzen. Die großen Insulinmengen im Blut begünstigen die Bildung von Fettsäuren aus überschüssiger Glucose. Diese werden aufgrund der Insulinwirkung zudem eher in Fettzellen gespeichert, was die Entstehung von Fettpolstern fördert. Auch Entzündungsprozesse werden durch dauerhaft überhöhte Blutzuckerwerte angetrieben. Über komplexe Stoffwechselwege können vermehrt reaktionsfreudige Sauerstoffspezies, Entzündungsfaktoren und sogenannte Avanced Glycation Endproducts (AGEs) entstehen. Sie gelten als zusätzliche Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Richtwerte für die Zufuhr

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt in ihren Leitlinien, etwa die Hälfte oder mehr der Energie aus Kohlenhydraten aufzunehmen. Das entspricht bei einer Energiezufuhr von 1800 bis 2400 Kilokalorien etwa 225 bis 300 Gramm. Das heißt aber nicht, dass reichlich Süßigkeiten und Gebäck auf dem Speiseplan stehen sollten. Als Richtwert für die Aufnahme von zugesetztem Zucker gilt ein Wert von zehn Prozent, das entspricht etwa 50 Gramm freien Zuckers. Darunter verstehen Experten alle Zuckerarten, die Lebensmitteln und Getränken zugesetzt werden. Zusätzlich fallen darunter die natürlicherweise vorkommenden Zucker in Honig oder Fruchtsäften, nicht aber die aus unverarbeitetem Obst. Aufgrund nachteiliger Effekte von Zucker auf die Gesundheit spricht sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für nur fünf Prozent aus, das heißt 25 Gramm oder sechs Teelöffel freier Zucker täglich.

Die aktuellsten Zahlen zu den Essgewohnheiten in Deutschland stammen von 2008. Die Nationale Verzehrsstudie II (NVS II) ermittelte anhand von Protokollen und Befragungen von über 20.000 Teilnehmern, dass Männer im Schnitt 248 Gramm und Frauen 203 Gramm Kohlenhydrate konsumieren. Auf den ersten Blick scheint also die Aufnahme mit den Empfehlungen übereinzustimmen. Der Gesamtwert sagt allerdings wenig aus. Auch hier muss differenziert werden. Anders als empfohlen stammt die Hälfte der zugeführten Kohlenhydrate aus Mono- und Disacchariden. Viel zu kurz kommen dagegen komplexe Polysaccharide. So liegt die Ballaststoffzufuhr bei drei Viertel der Frauen und 68 Prozent der Männer unter dem empfohlenen Wert von mindestens 30 Gramm pro Tag.

Wenig Kohlenhydrate – wenig Kilos?

Zu viele einfache Kohlenhydrate wirken ungünstig auf den Stoffwechsel und das Krankheitsrisiko. Insofern ist der Ansatz der Low-Carb-Vertreter richtig, wenig Lebensmittel mit zugesetztem Zucker zu empfehlen. Die Kohlenhydratzufuhr generell zu beschränken, lässt sich mit der wissenschaftlichen Studienlage jedoch nicht belegen. Dennoch hat sich die Idee der Low-Carb-Diät in den letzten Jahren erstaunlich weit verbreitet, und viele Menschen schwören auf ihren Effekt beim Abnehmen.

Streng physiologisch gesehen, kommt der Körper mit weniger Kohlenhydraten gut zurecht. Nach Abbau von gespeicherten Kohlenhydraten wie Glykogen aus Muskulatur und Leber kann er nach einer Zeit der Umstellung auch die durch Fettabbau entstehenden Ketonkörper verwerten. Für die tägliche Lebensmittelauswahl stellt diese Ernährung allerdings eine enorme Einschränkung dar.

Zum einen werden bei einer eher kohlenhydratarmen Kost zwangsläufig mehr fett- und proteinreiche Lebensmittel konsumiert, das heißt, es kommen in der Regel deutlich mehr Fleisch und Fleischprodukte auf den Tisch. In höheren Mengen verzehrt, steigern diese Lebensmittel das Risiko für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herz- und Nierenkrankheiten. Darüber hinaus steht vor allem rotes Fleisch im Verdacht, das Risiko für einige Krebsarten zu erhöhen. Fettreicher Käse trägt ebenfalls zu einer gesteigerten Zufuhr an gesättigten Fettsäuren bei. Sie begünstigen in höheren Mengen das Risiko für die koronar Herzkrankheit und steigende Gesamt- und LDL-Cholesterolspiegel im Blut.

Gleichzeitig bedeutet die Beschränkung von nährstoffreichen Lebensmitteln wie Vollkornbrot, Kartoffeln, Gemüse mit viel Stärke oder Obst eine geringere Zufuhr an wichtigen Nährstoffen: von Ballaststoffen über Vitamine und Mineralstoffe bis hin zu sekundären Pflanzenstoffen. Besonders die empfohlene Menge an Ballaststoffen ist mit einem Speiseplan arm an komplexen Kohlenhydraten nicht zu erreichen.

Dass eine Low-Carb-Diät bei vielen anfangs gut zu funktionieren scheint, liegt vermutlich an der insgesamt reduzierten Energieaufnahme durch den Verzicht auf Alkohol, Gebäck, Süßigkeiten und Süßgetränke. Studien konnten jedoch belegen, dass es langfristig keinen Unterschied macht, mit welcher Kostform den überflüssigen Pfunden zu Leibe gerückt wird. Ob fettarm oder arm an Kohlenhydraten – nach einem Jahr stellten sich vergleichbare Gewichtsverluste ein. Für die Praxis heißt das: Kommt jemand mit weniger Kohlenhydraten im Alltag besser zurecht als mit weniger Fett, und stimmt ansonsten die Qualität der Lebensmittelauswahl, ist gegen eine moderate Low-Carb-Diät nichts einzuwenden.

Gesund beraten

Kohlenhydrate in der täglichen Ernährung sind weitaus besser als ihr Ruf. Es kommt allerdings auf die Qualität an. Ballaststoffreichen Lebensmitteln, vor allem Vollkornprodukten, sprechen Ernährungsexperten ein großes Potenzial in der Prävention verschiedener Krankheiten zu. In der Bevölkerung hierzulande spielen Vollkornprodukte allerdings nach wie vor keine Hauptrolle. Auch PTA und Apotheker können einen Beitrag leisten, ihren Kunden die gesundheitlichen Vorteile noch stärker nahe zu bringen und sie zu motivieren, weniger zuckerreiche Lebensmittel und vor allem weniger mit Zucker gesüßte Getränke zu konsumieren.

Auf diese Weise lassen sich genau die richtigen Kohlenhydrate einschränken. Vollkornprodukte, Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte sollten jedoch weiterhin regelmäßig den Speiseplan bereichern. Ergänzt um kleinere Mengen Nüsse, hochwertige pflanzliche Fette, Milchprodukte und ab und zu etwas Fleisch stimmt die Nährstoffbilanz. Bleiben Fertiglebensmittel, Fast Food und vor allem energiereiche Getränke eine Ausnahme, ist mehr für die Gesundheit getan, als den Blick allein auf Kohlenhydrate zu beschränken.

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