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Starke Belastung

Lipödem – eine schmerzhafte Störung

Etwas mehr Sport oder eine gesündere Ernährung sollten das Problem doch lösen – ein Vorurteil, dem von einem Lipödem Betroffene häufig begegnen. Doch so einfach wie es manchem scheint, ist es nicht: Das Lipödem ist diätresistent, schmerzhaft und kann psychisch stark belasten.
Carina Steyer
08.02.2022  12:30 Uhr

Beim Lipödem handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung, bei der sich die Fettzellen im Unterhautfettgewebe der Beine und manchmal auch Arme krankhaft vermehren und vergrößern. Die Lage des Lipödems kann individuell sehr unterschiedlich sein. So ist beim sogenannten Suavenhosenphänomen das gesamte Bein, beim Bundhosenphänomen hingegen nur der Unterschenkel betroffen. Hinter dem Reiterhosenphänomen verbirgt sich ein Lipödem an Oberschenkeln und Gesäß. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen entwickelt sich das Lipödem zusätzlich auch an den Armen.

Charakteristisch für die Erkrankung ist die symmetrische Umfangsvermehrung an beiden Körperhälften sowie das Aussparen von Händen, Füßen und Rumpf. Das resultierende optische Ungleichgewicht kann Betroffene äußerst belasten, bei einer gleichzeitig bestehenden Adipositas aber weniger auffällig sein. Voraussetzung für die Diagnose Lipödem sind neben der Veränderung im Fettgewebe Spannungsgefühle, Druck- und Berührungsempfindlichkeit sowie Schmerzen im betroffenen Bereich. Diese entstehen zum einen durch die vergrößerten Fettzellen, die Druck auf das umliegende Gewebe ausüben. Zum anderen verändert sich das Bindegewebe und die Durchlässigkeit der Kapillaren nimmt zu. Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem kann in das umliegende Gewebe austreten und erzeugt ebenfalls Druck und Schmerzen. Zudem entstehen wiederholt Blutergüsse, und zwar bereits nach leichten Stößen und Berührungen.

Überwiegend Frauen betroffen

Entgegen häufiger Vorurteile entsteht ein Lipödem nicht durch falsche Ernährung und hohes Körpergewicht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass neben einer genetischen Komponente vor allem weibliche Geschlechtshormone eine entscheidende Rolle in der Krankheitsentstehung spielen. Dafür spricht, dass das Lipödem fast ausschließlich bei Frauen auftritt, meist nach hormonellen Umstellungen wie der Pubertät, einer Schwangerschaft, dem Einnahmebeginn hormoneller Verhütungsmittel und in seltenen Fällen auch mit den Wechseljahren. Bei Männern ist das Lipödem äußerst selten. Wenn es sich entwickelt, dann als Folge einer ausgeprägten hormonellen Störung, die im Rahmen einer Hormonbehandlung auftreten kann. Wie viele Menschen von einem Lipödem betroffen sind, ist statistisch nicht erfasst. Dr. med. Mojtaba Ghods, Leiter der AG Lipödem in der »Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen e.V.« (DGPRÄC) schätzt die Zahl der betroffenen Frauen in Deutschland auf rund 3,8 Millionen. Europäische Schätzungen gehen von zehn Prozent aller Frauen aus.

Fortschreitende Erkrankung

Das Lipödem ist eine fortschreitende Erkrankung, die über drei Stadien verläuft: Stadium eins zeichnet sich durch eine gleichmäßige Verteilung des Fettgewebes aus, die Hautoberfläche ist glatt. Die Schwellung bildet sich durch Hochlagern der Beine zurück. In Stadium zwei treten knotige Strukturen im Unterhautfettgewebe auf, die Haut ist uneben, gewellt oder mit größeren Dellen versehen. Das Hochlagern der Beine ist nun wirkungslos. Ist das Fettgewebe bereits stark vermehrt und verhärtet, liegt Stadium drei vor. Hier entstehen bevorzugt an der Innenseite der Oberschenkel und an den Knien sogenannte Fettwülste, die den Gang behindern können. Die Reibung der Haut beider Beine aneinander führt oft zu Verletzungen, die sich entzünden und infizieren können. Auch Fehlstellungen der Beine und ein frühzeitiger Kniegelenkverschleiß durch das Mehrgewicht sind möglich.

Je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, umso besser stehen die Chancen, das Fortschreiten zu stoppen oder zumindest zu verzögern. Bis das Lipödem diagnostiziert wird, vergehen jedoch oft Jahre. Viele Betroffene suchen erst einen Arzt auf, wenn weder Sport noch zahlreiche Diätversuche eine Besserung gebracht haben. Zudem sind nicht alle Ärzte mit dem Krankheitsbild vertraut. Besonders bei zusätzlich bestehender Adipositas ist die Diagnose oft schwer. Geeignete Ansprechpartner sind Angiologen, Phlebologen oder Lymphologen. Der Berufsverband der Lymphologen stellt zum Beispiel eine Liste mit Lymphkliniken zur Verfügung.

Von konservativ bis chirurgisch

Eine kausale, konservative Therapie des Lipödems ist bislang nicht bekannt. Die Behandlung konzentriert sich derzeit darauf, die Symptome zu bessern und eine Zunahme der Fettansammlung zu verhindern. Dafür erhalten die Betroffenen eine Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und Bewegungstherapie. Ergänzend werden Sport und Bewegung empfohlen. Sie unterstützen Normalgewichtige dabei, ihr Gewicht zu halten und können Schmerzen lindern. Im Fall von Übergewicht sind sie ein wichtiger Baustein für eine möglichst erfolgreiche Gewichtsreduktion. Sie ist notwendig, weil Übergewicht die Beschwerden verstärkt. 

Probleme kann ein Lipödem auch in der Nacht bereiten. Durch das Eigengewicht von Beinen und Armen auf der Matratze nimmt der Schmerz oft zu. Helfen können nun Lagerungshilfen wie spezielle Kissen für Seitenschläfer oder ein Stillkissen.

Auswirkungen auf das Lipödem selbst haben die konservativen Behandlungsmethoden nicht. Die einzige Möglichkeit es zu entfernen, ist eine operative Fettabsaugung. Bei der Liposuktion werden die Fettzellen mittels Ultraschall, Wasserstrahl oder Vibration vom umliegenden Gewebe gelöst und über ein Endoskop abgesaugt. Dabei versuchen Ärzte, so viel des krankhaften Fettgewebes zu entfernen wie möglich. Für Lipödem-Patienten bedeutet das, das gesamte Bein – vom Sprunggelenk bis zur Hüfte – und im Bedarfsfall der gesamte Arm – von der Handgelenk-Beugefalte bis zum Schultergelenk – müssen abgesaugt werden. Dies gelingt meist nicht mit einem Eingriff, in der Regel sind mehrere Operationen im Abstand von einigen Wochen notwendig. Aufgrund der großen Absaugmengen wird der Eingriff stationär und unter Vollnarkose durchgeführt. Die Operationsdauer beträgt etwa zwei Stunden, während dieser Zeit werden zwischen vier und acht Liter Fett abgesaugt.

Gut beraten lassen

Nach der Operation ist es notwendig, die angepasste Kompressionskleidung für mehrere Wochen dauerhaft zu tragen. Zusätzlich erhalten die Patienten in kurzen Abständen eine Lymphdrainage. Beides kann postoperative Beschwerden lindern, dennoch gelten Schwellungen nach der Operation als normal. Sie sollten sich innerhalb von drei Monaten zurückbilden. Leichte Bewegung kann hier unterstützend wirken und beugt gleichzeitig einer Thrombose vor. Auf Sport sollte in den ersten Wochen nach dem Eingriff jedoch verzichtet werden. Beachten müssen Patienten zudem, dass der Energiebedarf durch das Entfernen der Fettzellen sinkt und die Ernährung dementsprechend angepasst werden muss.

Wie jeder chirurgische Eingriff birgt auch die Liposuktion in Einzelfällen Komplikationen. Dazu gehören Infektionen, Wundheilungsstörungen, Taubheitsgefühl, überschießende Narbenbildung, Thrombose oder Embolie sowie die Notwendigkeit von Folgeoperationen. Die DGPRÄC rät, bei der Auswahl eines geeigneten Operateurs kritisch zu sein. Geeignet seien Fachärzte für plastische und ästhetische Chirurgie mit einer langjährigen Weiterbildung und Erfahrung in der Lipödem-Chirurgie.

Eine Kostenfrage

Seit Januar 2020 wird die Liposuktion bei einem Lipödem in Stadium drei von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, wenn der Body-Mass-Index (BMI) der Betroffenen unter 35 liegt und in den letzten sechs Monaten die Beschwerden mit einer konservativen Therapie nicht gelindert werden konnten. Bei einem BMI über 35 sollte zusätzlich zur Liposuktion eine Behandlung der Adipositas stattfinden. Ist der BMI größer oder gleich 40, zahlt die Krankenkasse die Liposuktion weiterhin nicht, da zunächst die Adipositas behandelt werden sollte. Derzeit gilt diese Regelung bis Ende 2024. Parallel läuft eine Erprobungsstudie, die klären soll, welchen Nutzen die Liposuktion im Vergleich zur konservativen Therapie in allen drei Krankheitsstadien hat.

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