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Vorsorgeuntersuchungen

Männergesundheit auf dem Prüfstand

Zum Arzt gehen, und das auch noch ohne konkreten Anlass? Das tun Männer äußerst ungern und deshalb selten. Dabei sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für ihre Gesundheit genauso wichtig wie für Frauen. Was steht wann an und warum? Männergesundheit auf dem Prüfstand.
Elke Wolf
22.04.2022  15:30 Uhr

Im Schnitt sterben Männer fünf Jahre früher als Frauen. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 78,5 Jahren, während Frauen auf 83,3 Jahre hoffen können. Das mag daran liegen, dass das starke Geschlecht laut verschiedenster Statistiken bei den allgemein bekannten Risikofaktoren weit vorne liegt: beim Übergewicht (etwa jeder zweite Mann ist zu dick, aber nur ein Drittel der Frauen), beim Verzehr von Fleisch, Fett und Zucker (etwa doppelt so viele wie Frauen) und auch beim Alkohol- und Tabakkonsum. Männer pflegen unter dem Strich einen ungesünderen Lebensstil als Frauen. Die Quittung bekommen sie in Form höherer Diabetes-, Bluthochdruck- oder Herzinfarktraten.

Deutlich zurück bleiben die Männer jedoch, wenn es um die Gesundheitsvorsorge geht. Sei es aus Angst, Scham oder Selbstüberschätzung: Im Schnitt sind es gerade einmal 20 Prozent, die das Angebot der gesetzlichen Krankenversicherung zur Vorsorge und Früherkennung verschiedener Erkrankungen nutzen. Das hat ihnen die Bezeichnung der Vorsorgemuffel eingebracht. In Umfragen zeigen sich Frauen überdies tendenziell unzufriedener mit ihrer Gesundheit und gehen eher zum Arzt. Ein Beispiel aus dem Frühjahr des Jahres 2021, da vermeldete die Barmer Krankenkasse: Nur 12 Prozent der Männer sind 2019 zur Prostatafrüherkennung gegangen, das entspricht rund 4,7 Millionen Männern. Hingegen ließen sich 40 Prozent der Frauen auf Brust- und Gebärmutterhalskrebs untersuchen.

Was steckt hinter den unterschiedlichen Lebenserwartungen von Mann und Frau? Ein großer Einfluss biologische, also nicht beeinflussbarer Faktoren wurde mit der viel beachteten »Klosterstudie« widerlegt. Dabei konnte der Bevölkerungswissenschaftler Dr. Marc Luy nachweisen, dass Männer hinter Klostermauern vier bis fünf Jahre länger leben als in der Außenwelt. Dafür untersuchte er die Sterblichkeit von Nonnen und Mönchen in verschiedenen Klöstern. Beide Personengruppen führen ein ähnliches Leben, abgeschottet von vielen äußeren Einflüssen. Das Ergebnis: Nur ein Jahr trennte die beiden Geschlechter. »Die eigene Lebenserwartung muss also maßgeblich beeinflussbar sein – und kann nicht nur biologische Gründe haben. Ordensleute führen ihre Gesundheit auf den geregelten Tagesablauf, die lebenslange Aufgabe und die harmonische Gemeinschaft zurück«, wertet Luy die Ergebnisse seiner Untersuchung, die 1997 begann und bis heute fortgeführt wird.

Gesundheit kein Thema

Männer achten weniger auf einen gesunden Lebensstil. Das liege nicht nur an der Lust zum Risiko, heißt es bei der Stiftung Männergesundheit. »Männer sind weniger achtsam mit sich und nehmen ihre eigenen Bedürfnisse nicht wahr«, erklärt Olaf Theuerkauf vom Vorstand der Stiftung. Männer würden in Sachen Gesundheit eher eine Vogel-Strauß-Politik betreiben: »Sie bagatellisieren das Thema, bis sie einen Schuss vor den Bug erhalten.« Das heißt so viel wie: Erst wenn der Herzinfarkt da ist, ist Mann bereit, den ungesunden Lebensstil umzukrempeln. Und der an sich gesunde Sport werde eher als Wettbewerb mit Leistungsdruck denn als Gesundheitsfaktor gesehen. »Für Männer steht Leistung sehr weit oben auf der Prioritätenliste«, meint Theuerkauf.

Dabei beachteten Männer oft zu wenig ihre körperliche und psychische Verletzlichkeit, die nicht geringer sei als bei Frauen. Männer würden sie sich selbst oft nicht zugestehen. Der Gang zum Arzt werde als Eingeständnis von Schwäche gewertet. Ernste körperliche oder seelische Erkrankungen würden daher häufig erst spät, nicht selten zu spät, festgestellt, fasst die Stiftung Männergesundheit zusammen.

Laut Theuerkauf spielt Gesundheit bei vielen Männern im Austausch mit Freunden eine eher untergeordnete Rolle. »In Männerfreundschaften redet man über alles, nur nicht über sich selbst.« Da werden eher Autos, Sport, Politik und Beruf zu Themen gemacht. Ganz anders beim weiblichen Geschlecht: Frauen tauschen sich mit Freundinnen über gesundheitliche Beschwerden aus und können so im Krankheitsfalle von einem starken sozialen Netz und Unterstützung profitieren. Der Mann agiert eher nach dem Prinzip Verdrängung, hält sich weitaus weniger an Gesundheitsratschläge und sucht zurückhaltender nach medizinischer Hilfe.

XY der Krankheiten

Neben den unterschiedlichen Verhaltensweisen sind es aber auch biologische Unterschiede, die Mann und Frau anders erkranken lassen. So weiß man mittlerweile, dass das Phänomen »Männerschnupfen« nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Männer, die besonders wehleidig reagieren, scheint ein grippaler Infekt tatsächlich mehr mitzunehmen als die Frauen. Für verschiedene virale Infektionskrankheiten zeigen sich Männer überdies empfänglicher, und bei Hepatitis B, Tuberkulose oder Covid-19 sind im Schnitt schwerere Verläufe und höhere Todesraten dokumentiert.

Frauen widerfahren dagegen häufiger Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatische Erkrankungen, Multiple Sklerose oder Typ-1-Diabetes. Das mag daran liegen, so die Vermutung, dass ihr Immunsystem bis zu den Wechseljahren aktiver und stärker, damit aber auch anfälliger für überschießende Reaktionen ist. Aus evolutionsbiologischer Sicht ergibt dies Sinn, sollen doch Frauen das ungeborene und neugeborene Leben schützen. Viele Gene, die das Immunsystem regulieren, liegen ausschließlich auf dem X-Chromosom. Heute weiß man, dass Immunzellen bei Frauen Gene auf beiden X-Chromosomen ablesen können. Dadurch steht ihnen ein vielfältigeres Spektrum an Abwehrmechanismen zur Verfügung, was die effektivere Reaktion des weiblichen Immunsystems erklären könnte. Zudem kann bei Frauen der Ausfall von einem Gen auf einem der beiden X-Chromosomen kompensiert werden, indem die Information vom anderen herangezogen wird.

Bei einem deutlich kleineren Y-Chromosom des Mannes ist vor allem die Sexdetermining Region of Y-Gen (SRY), also die das Geschlecht bestimmende Region, relevant. Sie ist unter anderem für die verstärkte Produktion von Testosteron verantwortlich. Die männlichen und weiblichen Geschlechtshormone wirken sich unterschiedlich auf das Abwehrsystem aus. Estrogen stimuliert die Immunantwort und regt die Vermehrung von spezifischen Abwehrzellen an. Dieser Effekt ist allerdings abhängig von der Konzentration von Estrogen im Körper und unterliegt zyklusbedingten Schwankungen. Testosteron wirkt supprimierend auf das Immunsystem. Der Effekt des zweiten wichtigen weiblichen Geschlechtshormons Progesteron auf das Immunsystem ist bislang unklar. Das Hormon wirkt wie Testosteron eher antientzündlich und supprimiert bestimmte Reaktionen der körpereigenen Abwehr. Fest steht: Der geschlechterspezifische Hormoncocktail beeinflusst nicht nur das Immunsystem, sondern auch den gesamten Stoffwechsel inklusive des Herz-Kreislauf-Systems.

Todesursache Nr. 1

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzschwäche sind denn auch hierzulande die häufigste Todesursache, und das bei beiden Geschlechtern. 2020 starben in Deutschland 157.556 Männer daran, etwas mehr als Frauen. Die Risikofaktoren sind alte Bekannte: Bluthochdruck, erhöhte Blutfett- und Blutzuckerwerte, zu viel Nikotin und Alkohol, zudem wenig Bewegung.

Um kardiovaskuläre und metabolische Risikofaktoren rechtzeitig zu erkennen und damit assoziierten Erkrankungen früh entgegensteuern zu können, steht gesetzlich Versicherten eine sogenannte Gesundheitsuntersuchung zu. Frauen und Männern zwischen 18 und 34 Jahren zahlt die gesetzliche Krankenkasse einmalig diese früher als »Check-up 35« bezeichnete Vorsorge-Untersuchung, bei der die persönlichen Risikofaktoren unter die Lupe genommen werden. Ab 35 Jahre kommen die Kassen alle drei Jahre für diese Gesundheitsuntersuchung auf. Blut- und Urintests erfolgen dann in jedem Fall. Neuer Bestandteil dieses Check-ups seit Oktober 2021: ein einmaliges Screening auf Hepatitis B und C. Unbehandelt erhöhen die beiden Viruserkrankungen das Risiko für Leberkrebs.

Ein weiterer Check-up ist dem Herz-Kreislauf-System zuzuordnen: das Screening auf ein Bauchaortenaneurysma. So steht Männern ab 65 Jahre einmalig ein Ultraschall in dieser Region zu. Grund: Ein Bauchaortenaneurysma gilt als typische Krankheit von Männern über 65 Jahre - und ist bei ihnen eine häufige Todesursache. So etwa nachweislich bei Albert Einstein, Thomas Mann und Charles de Gaulle. Denn platzt diese krankhafte Aussackung der Aorta im Bauchraum, kommt für 80 Prozent der Betroffenen jede Hilfe zu spät. Die Patienten verbluten innerlich. Rund 200.000 Menschen in Deutschland haben ein solches Aneurysma. Prinzipiell kann die Erweiterung einer Schlagader in allen Körperregionen auftreten. Doch die Bauchschlagader ist am häufigsten betroffen. Männer, die sich einmalig einem Ultraschall-Screening zur Erkennung eines solchen Aneurysmas unterziehen, haben nachweislich ein um die Hälfte vermindertes Sterberisiko.

Die Früherkennung habe einen weiteren positiven Effekt, führt die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) auf. »Die frühzeitige Diagnose auch geringerer Aneurysmen hat häufig eine konsequentere Behandlung der Risikofaktoren besonders des arteriellen Hypertonus zur Folge.« Dies verhindere nicht nur das Fortschreiten der Gefäßaussackung, sondern beuge auch schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Infarkten vor. Die Gesellschaft setzt sich deshalb dafür ein, Risikopersonen bereits ab einem Alter von 55 Jahren zu untersuchen. Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder starke Raucher haben ein deutlich erhöhtes Risiko, bereits in jüngeren Jahren an einem Aneurysma zu erkranken.

Prostata und PSA-Wert

Bösartige Tumoren sind der Männer-Killer Nummer 2 hinter den Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Statistik zufolge starben 2020 125.891 Männer daran. Das deutsche Krebsregister weist das Prostatakarzinom als die häufigste tumoröse Krankheit aus, gefolgt von Krebs in der Lunge, im Darm und in der Blase. Den größten Anteil an krebsbedingten Todesfällen verursacht Lungenkrebs, gefolgt von Krebs in der Prostata, im Darm, in der Bauchspeicheldrüse und der Leber. Laut einer Analyse des Deutschen Krebsforschungszentrums aus dem vergangenen Jahr lässt sich nur die Hälfte des Risiko-Überschusses bei Männern – wie es gerne bezeichnet wird - durch die bekannten Risikofaktoren erklären, allen voran Rauchen, hoher Alkoholkonsum und Verzehr von rotem Fleisch.

Die Häufigkeit eines Prostatakarzinoms ist der Grund für die Prostata-Früherkennung ab 45 Jahren, die Männern auf Kassenkosten einmal jährlich vornehmen lassen können. Allerdings wird dabei nur die Prostata und das untere Ende des Enddarms über den Anus regelhaft abgetastet. Die Konzentration des Prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blutserum wird nicht routinemäßig erfasst, ist also für gesunde Männer in Deutschland keine Kassenleistung, sondern als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) selbst zu bezahlen. Ob ein PSA-Screening durch Früherkennung tatsächlich die Lebenserwartung verbessert, ist bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen.

PSA ist ein Enzym, das aus dem Drüsenepithel der männlichen Prostata stammt. Harnwegsinfekte, gutartige Prostatavergrößerung, Harnverhalt und Tumoren gehen mit einem Anstieg der PSA-Konzentration einher. Je höher der PSA-Wert, desto wahrscheinlicher liegt eine gutartige Erkrankung der Prostata wie eine benigne Prostatahyperplasie oder eine Prostatitis, aber auch eine bösartige Veränderung wie ein Karzinom vor.

Das Problem: Auch mechanische Beanspruchung im Beckenbereich wie Sport, Sex oder medizinische Maßnahmen lassen den PSA-Wert ansteigen und verwässern so seine Aussagekraft. Schwierig ist außerdem die Definition von Grenzwerten zur bestmöglichen Unterscheidung gut- und bösartiger Prostataveränderungen: Falsch positive Ergebnisse ziehen zur weiteren Abklärung vermeidbare Stanzbiopsien nach sich, falsch negative Ergebnisse lassen Krebserkrankungen unerkannt.

Da mit dem Alter die Menge an Prostatagewebe und damit auch die PSA- Konzentration zunimmt, ist es sinnvoll, altersspezifische PSA-Grenzwerte zu definieren. Die Wiederholung der Untersuchung ist abhängig von der Höhe des Wertes. Kombiniert man die PSA-Wert-Messung mit dem Tastbefund einer rektalen Untersuchung, steigt die Erkennungsrate von Prostatakrebs, der mit fast 25 Prozent häufigsten Krebserkrankung bei Männern. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt in Deutschland bei etwa 72 Jahren; vor dem 45. bis 50. Lebensjahr tritt ein Vorsteherdrüsenkarzinom kaum auf.

Ab 50 zur Spiegelung

Weltweit erkranken deutlich mehr Männer als Frauen an Darmkrebs, das ist auch in Deutschland nicht anders. Von den jährlich etwa 55.000 Fällen ist die überwiegende Zahl männlich. Rund 25.000 sterben daran. Das müsste nicht sein. Denn Darmkrebs ist die einzige Krebsart, die sich durch Vorsorge annähernd verhindern lässt. Doch zu wenige Menschen nutzen die Chance auf Früherkennung.

Derzeit steht Männern fünf Jahre früher als Frauen das Kolonkarzinom-Vorsorge-Programm offen, bereits mit 50 Jahren bekommen sie die Vorsorge-Darmspiegelung (Koloskopie) von der Krankenkasse bezahlt. Der Grund: Im Durchschnitt entwickeln Männer früher Polypen und Darmkrebs als Frauen. Und entgegen dem allgemeinen Trend ist der Anteil der jüngeren Männer, die an einem kolorektalen Karzinom erkranken, in den vergangenen Jahren gestiegen.

Derzeit besteht das Vorsorge-Angebot entweder aus immunologischen Testverfahren zum Nachweis von okkultem Blut im Stuhl (iFOBT = Fecal Occult Blood Test), einer Darmspiegelung (Koloskopie) oder einer Kombination von beidem. Wer wann welches Angebot als Kassenleistung in Anspruch nehmen kann, ist recht komplex geregelt:

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) setzt sich dafür ein, diese Screening-Maßnahmen auszuweiten. So könnte eine dritte Früherkennungskoloskopie ab einem Alter von 70 Jahren bei Männern das Darmkrebsrisiko weiter reduzieren, und zwar um weitere 9 Prozent. Ähnlich stark seien die Effekte bei einer Erweiterung des Angebots um zusätzliche Stuhltests in höherem Alter.

Was die Vorsorge-Koloskopie so effektiv macht, ist die Tatsache, dass bereits während der Untersuchung Polypen nicht nur diagnostiziert, sondern unmittelbar behandelt werden können, weil Mediziner bei der Untersuchung auffälliges Gewebe mit Instrumenten wie Zangen und Drahtschlingen direkt abtragen können. Die Statistik belegt, dass im Jahr 2018 bei knapp 30 Prozent der untersuchten Vorsorge-Patienten Adenome als potenzielle Krebsvorstufen gefunden wurden. Dickdarmgeschwulste wachsen recht langsam. 10 bis 15 Jahre dauert es, bis sich aus Zellwucherungen in der Darmschleimhaut über zunächst gutartige Polypen dysplastische Varianten oder Adenome entwickeln. Diese bergen ein relativ hohes Risiko, karzinogen zu werden.

Das DKFZ zeigte anhand einer Studie mit rund 5000 Darmkrebspatienten und fast 5000 Kontrollpersonen, dass das Risiko, innerhalb von zehn Jahren nach einer kompletten Koloskopie an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken, um rund 90 Prozent niedriger ist als bei Personen, die keine Vorsorge-Koloskopie in Anspruch genommen hatten.

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