Mit Bewegung gegen den Schmerz |
In einer gezielten Physiotherapie lernen Patienten, welche Bewegungen noch gehen. / Foto: iStock/Skynesher
Vor einigen Monaten wurden Ergebnisse der bislang größten genetischen Studie zu Arthrose veröffentlicht. Um den Ursachen dieser Volkskrankheit auf die Spur zu kommen und daraus Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten, haben Forscher das Erbgut von über 77.000 Menschen mit Arthrose analysiert und mit dem von mehr als 370.000 gesunden Menschen verglichen. Dabei haben Forscher zahlreiche, bislang unbekannte Veränderungen an den Genen entdeckt, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Dies gibt neue Einblicke in die Pathogenese der Arthrose und Ansätze für neue Medikamente.
Arthrose zählt zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Anders als die Rheumatoide Arthritis, die eine Autoimmunerkrankung darstellt, ist die Arthrose durch einen übermäßigen Gelenkverschleiß gekennzeichnet. Sie beginnt im Gelenkknorpel und geht im weiteren Verlauf auf die Gelenkkapsel und benachbarte Knochen über. Auch wenn ältere Menschen besonders häufig erkranken, kann eine Arthrose auch im jungen und mittleren Erwachsenenalter auftreten. Sie ist dann meist die Folge intensiver Gelenkbelastung durch Leistungssport oder bestimmte Tätigkeiten. Auch ein Unfall oder eine angeborene Fehlstellung kann zu frühzeitigem Gelenkverschleiß führen. Eine Arthrose kann an einem oder mehreren Gelenke auftreten. Am häufigsten ist das Kniegelenk betroffen (Gonarthrose). An Platz zwei steht bei den Männern die Erkrankung des Hüftgelenks (Coxarthrose) und bei den Frauen die Arthrose der Fingergelenke. Nicht selten sind Schultergelenk und Daumensattelgelenk betroffen.
Es gibt verschiedene Risikofaktoren, die die Entstehung einer Arthrose begünstigen. Dazu zählt Übergewicht, denn je mehr Körpergewicht auf den Knien oder den Hüftgelenken lastet, desto höher ist mit der Zeit der Verschleiß. Des Weiteren scheint es einen Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Arthrose zu geben. Möglicherweise spielen dabei niederschwellige Entzündungsprozesse eine Rolle. Aus der Tatsache, dass mehr Frauen als Männer erkranken, ist zu schließen, dass auch hormonelle Faktoren von Bedeutung sind.
Arthrose verläuft in Schüben. Weitgehend beschwerdefreie Phasen, in denen die Gelenkdegeneration jedoch unbemerkt fortschreitet, wechseln sich mit sehr schmerzhaften Entzündungsphasen ab – der sogenannten aktivierten Arthrose. Entzündungsphasen sind zudem durch eine Schwellung und Überwärmung des Gelenks gekennzeichnet. Typisch für Arthrose sind »Anlaufschmerzen«, beispielsweise beim Aufstehen vom Stuhl, sowie Schmerzen in der Nacht. Die Schmerzen strahlen oft weit über das Gelenk hinaus.
Auch heute noch ist das Krankheitsgeschehen der Arthrose nicht vollständig aufgeklärt. Bekannt ist, dass verschiedene Enzyme, Zytokine und Wachstumsfaktoren beteiligt sind. Kollagene in der Knorpeloberfläche gehen zugrunde. Die Knorpeloberfläche wird rauer und dünner und bekommt Risse. Schließlich ist so viel Knorpel abgebaut, dass die gelenknahen Knochenenden direkt aneinander reiben. Das abgeriebene Knorpelmaterial reizt die Gelenkinnenhaut (Synovialis) und kann eine Entzündung auslösen. Mit der Zeit verändern sich die Knochen. So bilden sich am Knochenrand Wülste, um den Druck auf das Gelenk zu reduzieren. Durch den Druck kann auch die Knochenstruktur stellenweise zusammenbrechen. Die Beweglichkeit des Gelenks geht immer mehr zurück. Über die Jahre nehmen die schmerzhaften Krankheitsphasen zu und gehen schließlich in einen mehr oder minder starken Dauerschmerz über.
Um dem Schmerz zu entgehen, nehmen Patienten häufig unbewusst eine Schonhaltung ein. Dadurch geraten sie in einen Teufelskreis: Die Muskulatur um das Gelenk verspannt und verhärtet. Das Gelenk schmerzt bei Bewegung noch mehr und ist in seiner Beweglichkeit weiter eingeschränkt. Bei der Therapie geht es darum, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: durch effektive Schmerzreduktion und Bewegung.
Die schonende Bewegung des erkrankten Gelenks gilt als Basistherapie. Der Arzt verordnet in der Regel eine gezielte Physiotherapie, bei der der Patient auch lernt, welche Übungen er selbst durchführen kann. Ein solches Funktionstraining reduziert den Schmerz, lockert die Muskulatur und sorgt bei jeder Bewegung für die Verteilung der Gelenkflüssigkeit. Diese wirkt als Schmierstoff für das Gelenk und dient zugleich dem Transport von Nährstoffen für den Knorpel. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass Bewegungstherapie das Krankheitsgeschehen auch direkt beeinflusst, indem sie entzündliche Vorgänge und den Knorpelabbau hemmt.
Empfehlenswert sind darüber hinaus gelenkschonende Sportarten. Bei Knie- oder Hüftarthrose eignen sich Spazierengehen mit Gehstock, Tai Chi, Wassergymnastik, Nordic Walking, Radfahren, Tanzen und Yoga.
Auch Maßnahmen der physikalischen Medizin haben in der Arthrose-Behandlung große Bedeutung: Massage, Fango oder Wärme- und Kältebehandlung lockern die Muskulatur und reduzieren den Schmerz. Einlagen in die Schuhe können Druck auf das Hüftgelenk abfangen. Je nach betroffenem Gelenk sind Orthesen ein schmerzreduzierendes Hilfsmittel, das das Gelenk stabilisiert.
Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) wie Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen gelten als Mittel der Wahl, um die Schmerzen zu lindern. Um Nebenwirkungen möglichst zu vermeiden, sollten sie möglichst niedrig dosiert und nur kurzzeitig eingesetzt werden. Wenn NSAID über längere Zeit benötigt werden, sollten Risikopatienten – dazu zählen beispielsweise Patienten über 60 Jahre – prophylaktisch zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer erhalten, um Schäden an der Magen- und Darmschleimhaut vorzubeugen.
Coxibe sind ebenso zur Schmerzbehandlung bei Arthrose geeignet. Im Vergleich zu NSAID sind sie für den Magen-Darm-Trakt besser verträglich, bergen jedoch ein höheres kardiovaskuläres Risiko. Von daher muss der Arzt individuell abwägen.
Paracetamol zeigt bei Patienten mit Knie- oder Hüftarthrose keine schmerzlindernde Wirkung.
Eine Alternative zur oralen Schmerztherapie sind Salben, Sprays oder Pflaster zum Beispiel mit Diclofenac oder Ibuprofen. Vorteil der lokalen Behandlung ist das geringe Risiko systemischer Nebenwirkungen. Eine wirksame pflanzliche Alternative zur topischen Applikation sind Zubereitungen mit Beinwell-Extrakt.
Zur Schmerzreduktion kann gemäß der aktuellen deutschen Leitlinie zur Behandlung der Kniearthrose die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) eingesetzt werden. Durch niederfrequente Wechselströme auf der Haut erzeugt die Methode leichtes Kribbeln, das die Schmerzreize »übertönt«.
Viele Arthrose-Patienten fragen in der Apotheke nach wirksamen Phytopharmaka. Dazu existieren allerdings nur relativ wenige und kleine Studien. Allgemeine Empfehlungen lassen sich daraus nicht ableiten. Positive Effekte fanden Forscher unter anderem für Weihrauch-Extrakt, bestimmte Kollagen-Hydrolysate, Passionsfruchtschalen-Extrakt, Kurkuma-Extrakt, L-Carnitin und Pycnogenol®. Pycnogenol ist der Rindenextrakt der französischen See-Kiefer. Der Patient sollte ausprobieren, was ihm hilft. Zur akuten Schmerzlinderung sind die Präparate allerdings ungeeignet, da der Effekt erst nach einiger Zeit eintritt. Bei langdauernder Einnahme auch über schmerzfreie Phasen hinweg ist dann unter Umständen eine Reduktion der NSAID-Dosierung möglich.
Chondroitinsulfat ist ein natürlicher Bestandteil des Knorpelgewebes und wird als Arthrosemedikament eingesetzt. Sein Wirkmechanismus ist im Einzelnen nicht geklärt. Die Autoren einer Übersichtsarbeit aus der Reihe der Cochrane-Reviews sehen eine geringe Wirksamkeit. Die aktuelle Gonarthrose-Leitlinie bewertet die Datenlage als widersprüchlich. Auch die Daten zu Glucosamin sind laut Leitlinie widersprüchlich. Der Wirkstoff könne jedoch bei Patienten, die NSAID nicht vertragen, in Erwägung gezogen werden.
Zur kurzzeitigen Therapie der Arthrose eignet sich die Injektion eines Glucocorticoids direkt in das entzündete Gelenk. Glucocorticoide hemmen die Entzündung. In der Regel sollte die Injektion nicht mehr als viermal pro Jahr erfolgen. Die Methode ist nicht frei von Risiken, da eine Gelenkpunktion Blutgefäße, Nerven oder Gelenkstrukturen verletzen kann. Während sich Knie- und Ellenbogengelenke relativ leicht punktieren lassen, ist die sichere Injektion in andere Gelenke wesentlich schwieriger.
Auch Hyaluronsäure muss der Arzt direkt in das Gelenk injizieren. Bei ihrer Bewertung zur Behandlung von Arthrose gehen die Meinungen auseinander. Die Substanz soll vor allem die Gleitfähigkeit des Gelenks verbessern und so Schmerzen reduzieren. Gemäß Leitlinien kann Hyaluronsäure bei Patienten mit Kniearthrose eingesetzt werden, wenn NSAID kontraindiziert sind oder nicht ausreichend wirken.
In der anfangs erwähnten genetischen Untersuchung zu Arthrose fanden die Forscher Ansätze zur medikamentösen Behandlung. Viele der genetischen Varianten, die mit Arthrose assoziiert sind, konnten biologische Prozesse zugeordnet werden. Zehn davon sind gut bekannt, weil es bereits Medikamente gibt, die hier angreifen. Sie könnten als mögliche Arthrosemittel interessant sein. Dazu zählt beispielsweise ein Interleukin, das in den USA für die Behandlung von Thrombozytopenie zugelassen ist. Von Interesse ist auch Cilastatin, das bislang eingesetzt wird, um die Wirksamkeit des Antibiotikums Imipenem zu verlängern. Ein weiterer möglicher Kandidat wäre ein Wirkstoff mit der Bezeichnung LCL-161, der derzeit bei Brustkrebs, Leukämie und Multiplem Myelom klinisch geprüft wird.
Ob sich diese Medikamente tatsächlich zur Behandlung der Arthrose eignen, ist derzeit unklar. Allemal bieten sie vielversprechende Forschungsansätze zur Entwicklung der dringend benötigten Medikamente.