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Phytopharmaka

Nachahmer verwässern Qualität

Derzeit sind rationale Phytopharmaka, da waren sich alle Experten bei der Expopharm Impuls einig, nicht kopierbar. Und wenn doch, geht es zu Lasten der Qualität.
Elke Wolf
07.10.2020  11:18 Uhr

Im Unterschied zu chemisch-synthetischen Präparaten sind Phytopharmaka Arzneimittel, die als wirksame Bestandteile ausschließlich pflanzliche Drogen oder Zubereitungen daraus enthalten. Damit sind sie Vielstoffgemische, deren Zusammensetzung in Abhängigkeit von der Ausgangspflanze, der Droge und dem konkreten Herstellungsverfahren erheblich differiert. Es ist die Vielzahl der Inhaltsstoffe, die sich zur Wirkung vereinen und pleiotrope Effekte vermitteln, erklärte Professor Dr. Theo Dingermann, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, bei einem Vortrag der »pharma-world« im Rahmen der Expopharm Impuls gestern Abend.

Diese Vielstofflichkeit macht Phytopharmaka zu extrem komplexen Arzneimitteln, und zwar komplexer als gentechnisch hergestellte Arzneimittel, sogenannnte Biologicals. »Phytos sind anspruchsvoller zu analysieren als rekombinante Mittel. Denn: Bei den Phytos ist anders als bei den Biologicals das wirksamkeitsbestimmende Prinzip in der Regel nicht oder nicht ausreichend bekannt. Und das macht es unmöglich, pharmakokinetische und pharmakodynamische Vergleichsuntersuchungen zwischen Original und Kopie durchzuführen. Diese bilden jedoch einen zentralen Teil bei der Bewertung eines Biosimilars im Vergleich zum Original.« Das bestätigte Dr. Martin Braun von Dr. Willmar Schwabe: »Auch wenn nur ein Teil der Inhaltsstoffe direkt mit der Wirksamkeit des Extraktes kausal in Verbindung gebracht werden kann, können auch andere Bestandteile die Wirksamkeit beeinflussen.« Die »Disziplinierung der Natur ist eben nicht möglich«, und deshalb gilt bei Phytopharmaka »the product is the process«. Erst durch eine kontrollierte und standardisierte Prozessführung wird das Arzneimittel konkretisiert.

Nach dem derzeitigen Stand der Dinge lassen sich Phytopharmaka nicht kopieren, fasste Dingermann zusammen. Das sei für das pharmazeutische Personal transparent nachzuvollziehen, indem die Zulassungsbehörde das Original auf Basis einer Zulassung und die vermeintliche Kopie nur registriert auf dem Markt ist. Dingermann machte das an einem konkreten Beispiel deutlich: Bionorica kann für Sinupret® forte und Sinupret® extract in Form klinischer Studien die besseren Daten vorweisen. Beide haben eine Zulassung als Arzneimittel für die Indikationen akute und chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen. Das Nachahmer-Präparat Solvohexal®  hingegen hat das Registrierungsverfahren als traditionelles pflanzliches Arzneimittel absolviert, und zwar zur Unterstützung der Schleimlösung bei Erkältungen und Schnupfen. Dafür sind im Gegensatz zur Zulassung als Arzneimittel keine klinischen Studien notwendig; Literaturangaben und der Bezug auf Drogenmonographien können bereits ausreichen.

Die klinischen Studien sind es, auf die Apotheker und PTA in der Offizin achten sollten. Darauf legt Margit Schlenk, Apothekerin aus Nürnberg, besonderen Wert: »Wenn wir in der Apotheke in die Therapie gehen, brauchen wir geprüfte Qualität im Produkt. Das macht unsere Kompetenz in der Apotheke aus. Phytopharmaka sind weder kopier- noch similar-fähig.« Der Patient nehme nicht den Extrakt wahr, sondern nur die verschiedenen enthaltenen Pflanzen. Und die seien zwischen Original und Nachahmer-Präparat identisch. PTA und Apotheker wissen allerdings, dass Faktoren bei der Herstellung wie Thermolabilität oder ein geeignetes Extraktionsverfahren für die Wirksamkeit eine entscheidende Rolle spielen. »Diese Schein-Kopien können eine Wirkung vorgaukeln, die sie nicht haben. Der Kunde ist dann enttäuscht, weil es nicht wirkt. Und das ist am Ende eine Diskreditierung der Phytomedizin.«

Auch Professor Dr. Manfred Schubert Zsilavecz von der Universität Frankfurt brach eine Lanze für die pflanzlichen Arzneimittel. »Rationale Phytopharmaka, also solche, die ihre Wirksamkeit mit klinischen Studien untermauern können, sind Hightech-Arzneimittel und unverzichtbar für den Arzneimittelschatz.« Einige von ihnen haben es in den vergangenen Jahren gar in die therapeutischen Leitlinien der Ärzteschaft geschafft, etwa Johanniskraut-Extrakt STW 3-VI® (in Laif® 900) zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen, Ginkgo-Extrakt EGb 761® (in Tebonin®) für die Behandlung von Demenz-Patienten oder Gelomyrtol® in die Husten-Leitlinie. »Dort stehen diese pflanzlichen Arzneimittel auf Augenhöhe mit chemisch-synthetischen Arzneistoffen. Das war schwer genug, sie dort zu positionieren. Aber sie haben die gleichen Anforderungen bezüglich Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität erfüllen können. Auf diese positive Entwicklung würden vermeintliche Kopien nur kontraproduktiv wirken.«

Braun gab zu bedenken, dass es nicht nur pflanzliche Nachahmer-Präparate sind, die den Markt verwässern. »Vor allem sind es Nahrungsergänzungsmittel und Präparate, die im Drogeriemarkt vertrieben werden, die dem Ansehen der Pflanzen-Medikamente schaden.« In der Tat: Alles, was im Supermarkt steht, ist sozusagen per Gesetz unterdosiert. Es darf gar nicht so hoch dosiert sein, dass eine starke pharmakologische Wirkung zustande kommen kann, schilderte Braun das Dilemma.

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