Neuartige Verhütung ohne Hormone? |
Christina Hohmann-Jeddi |
25.01.2023 10:30 Uhr |
Der Bedarf an neuen nicht oder wenig invasiven und reversiblen kontrazeptiven Methoden, die möglichst wenig in die Physiologie von Frau und Mann eingreifen, ist groß. / Foto: Adobe Stock/Vasyl
Für die Befruchtung einer Eizelle müssen Spermien ihr Membranpotenzial ändern und hyperpolarisieren. Hierfür pumpen sie aktiv Kaliumionen aus dem Zellinnern. Welcher Kaliumkanal beim Menschen für die Hyperpolarisation verantwortlich ist, war lange nicht bekannt. Forschende um Maximilian Lyon von der Washington University in St. Louis, USA, identifizierten in Untersuchungen mit spezifischen Inhibitoren nun den Kaliumkanal SLO3 als Verantwortlichen. Das berichtet das Team im Fachjournal »PNAS«.
Zunächst war unklar, ob der spermienspezifische Kanal SLO3 oder der nah verwandte, auf allen Zellen vorkommende SLO1 an der Hyperpolarisation beteiligt ist. Daher machten die Forschenden um Lyon ein Hochdurchsatz-Screening, um eine Substanz zu finden, die selektiv SLO3 und nicht SLO1 inhibiert. Hierbei stießen sie auf den Wirkstoff VU0546110, der genau diese Eigenschaften hat. In vitro verhinderte der SLO3-Hemmer die Hyperpolarisation und die darauffolgende Hyperaktivierung und Akrosomenreaktion (Veränderung des Spermienkopfes), die für die Befruchtung der Eizelle nötig sind.
Den Forschenden zufolge ist VU0546110 der erste selektive SLO3-Hemmer und hätte das Potenzial, zu einem hormonfreien Verhütungsmittel weiterentwickelt zu werden, zumal der Kaliumkanal nur auf Spermien vorkommt und so mit wenigen Nebenwirkungen zu rechnen sei. Die Ergebnisse seien auch wichtig, um die genetischen Ursachen der männlichen Unfruchtbarkeit, vor allem bei Männern mit normaler Spermienzahl- und -beweglichkeit, besser zu erforschen.
Hierzu äußerte sich Professor Dr. Artur Mayerhofer von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der nicht an der Studie beteiligt war: »Falls sie sich bestätigen lassen, haben die Ergebnisse der Studie Bedeutung für die Diagnostik der männlichen Infertilität: Mutationen des Kanals, die dessen Funktion beeinträchtigen, könnten ein Grund für bislang nicht erklärbare Fälle von männlicher Infertilität sein.«
Auch Mayerhofer sieht Potenzial für die Substanz VU0546110, die in der Publikation chemisch nicht weiter charakterisiert ist, als Verhütungsmittel der Zukunft. Bis zu einem praktischen Einsatz sei es aber ein »weiter und unvorhersehbarer Weg«. Aufgrund der berichteten Ergebnisse halte er eine mögliche vaginale Applikation eines von VU0546110 abgeleiteten Kontrazeptivums für realistisch. Denkbar seien etwa Verhütungscremes oder -gele. Wie verlässlich eine solche Methode sei, müsse aber noch geklärt werden. »Ob es weitere praktikable Möglichkeiten gibt, VU0546110 zum Beispiel beim Mann einzusetzen, bleibt offen. Dies erscheint mir aber eher als unwahrscheinlich.«
Eine Weiterentwicklung der Substanz sei lohnend, so Mayerhofer. »Es besteht Bedarf an neuen nicht oder wenig invasiven und reversiblen kontrazeptiven Methoden, die möglichst wenig in die Physiologie von Frau und Mann eingreifen.« Spermien und deren Funktion seien da ein idealer Angriffspunkt.