Neue Möglichkeiten gegen das Respiratorische Synzytial-Virus |
Verena Schmidt |
24.05.2023 11:30 Uhr |
RSV kann vor allem bei Säuglingen schwere Atemwegserkrankungen hervorrufen, die eine Beatmung nötig machen. / Foto: Adobe Stock/parinya agsararattananont
RSV ist ein weit verbreiteter und hoch ansteckender Erreger, der meist milde Erkältungssymptome verursacht, aber auch schwere Atemwegserkrankungen hervorrufen kann. Besonders gefährdet sind junge Säuglinge und Frühgeborene, vor allem solche mit Risikofaktoren wie Immunschwäche, angeborenem Herzfehler oder gestörter Lungenentwicklung, aber auch ältere Menschen mit Vorerkrankungen.
Vor allem Neugeborene und Kleinkinder erkranken in den Herbst- und Wintermonaten teils schwer an Bronchiolitis und Lungenentzündung, welche eine Beatmung notwendig machen und schlimmstenfalls tödlich verlaufen kann. Das RS-Virus ist eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei den Kleinsten. Im vergangenen Herbst sorgte eine besonders frühe und starke RSV-Infektionswelle für überfüllte Kinderstationen – Experten vermuten, dass es sich um Nachholeffekte als Pandemiefolge handelte. Aufgrund von Maske tragen und Social Distancing ist das Immunsystem während der Pandemiezeit mit deutlich weniger Erregern als üblich in Kontakt gekommen und konnte somit nicht »trainieren«, so die Erklärung.
Zur Vorbeugung von Infektionen stand lange Zeit nur der monoklonale Antikörper Palivizumab (Synagis®) zur Verfügung. Seine Gabe ist jedoch nur für Hochrisikokinder indiziert, etwa Frühgeborene und Kinder mit Herzfehlern. Außerdem muss der Antikörper während der RSV-Saison in monatlichen Abständen wiederholt verabreicht werden.
Aktuell ändert sich beim Thema RSV-Prophylaxe einiges: Ende des vergangenen Jahres hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA zunächst Nirsevimab (Beyfortus®) zur Prävention für Kinder in ihrer ersten RSV-Saison zugelassen. Der Antikörper induziert wie auch Palivizumab eine passive Immunisierung – im Unterschied zur aktiven Immunisierung durch Impfstoffe bietet er einen sofortigen Schutz, der jedoch nur kurzzeitig anhält. Hat der Körper die Antikörper nach einigen Monaten vollständig abgebaut, ist auch der Schutz weg.
Nirsevimab ist ein lang wirksamer monoklonaler Antikörper, der an das RSV-Fusions-Protein bindet. So unterbindet es einen entscheidenden Schritt bei der Fusion der Membranen beim Eintritt des Virus in die Zelle. Nirsevimab hat gegenüber Palivizumab zwei große Vorteile: Es hat eine verlängerte Halbwertszeit und muss zum Schutz vor RSV-bedingten Erkrankungen nur ein einziges Mal vor der RSV-Saison gespritzt werden. Der Wirkstoff eignet sich außerdem für nahezu alle Kinder: Frühgeborene, Kinder mit verschiedenen Grunderkrankungen und auch gesunde reifgeborene Kinder können den Antikörper bekommen.
In Studien reduzierte die Gabe von Nirsevimab die medizinisch behandelten RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege bei Kindern um 74,5 Prozent. Die benötigte Dosis ist abhängig vom Gewicht: Neugeborene mit einem Körpergewicht von weniger als 5 kg sollen eine Einzeldosis von 50 mg Nirsevimab erhalten, Säuglinge mit einem Körpergewicht von 5 kg oder mehr 100 mg. Verabreicht wird der Antikörper als intramuskuläre Injektion in den Oberschenkel. Beyfortus soll laut Hersteller Sanofi, der den Antikörper zusammen mit AstraZeneca entwickelt hat, für die Saison 2023/2024 auf dem Markt verfügbar sein. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut liegt aktuell nicht vor. Daher ist auch noch nicht klar, ob die Krankenkassen die Kosten für den Antikörper übernehmen.
In Kürze soll auch der erste »echte« Impfstoff gegen das RS-Virus in Europa auf den Markt kommen. Die EMA hat Ende April den rekombinanten Proteinimpfstoff Arexvy von Glaxo-Smith-Kline zur Zulassung empfohlen – die Europäische Kommission muss noch zustimmen, das gilt aber als Formsache. Die Vakzine ist nicht für Kinder, sondern für ältere Personen ab 60 Jahren indiziert.
Der Impfstoff enthält das Fusions-Protein (F) des RS-Virus in einer stabilisierten Form (RSVPreF3). Dieses Oberflächenprotein braucht das Virus, um in die Körperzellen eindringen zu können. Es ist auch das Hauptangriffsziel des Immunsystems. Der Impfstoff enthält außerdem den Wirkverstärker AS01E, der die Immunantwort auf das Impfantigen verstärken soll.
Die Vakzine soll laut vorliegenden Studien einen Schutz von mindestens 83 Prozent gegen eine Erkrankung der unteren Atemwege durch eine RSV-Infektion für mindestens sechs Monate bewirken. Die Schutzrate gegen schwere Erkrankungen betrug in den Zulassungsstudien 94,1 Prozent, die gegen akute RSV-Infektionen insgesamt 71,7 Prozent. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Schmerzen an der Injektionsstelle.
Neben Arexvy sind noch zwei weitere RSV-Impfstoffe auf der Zielgeraden der klinischen Entwicklung. Das US-Unternehmen Moderna prüft aktuell einen mRNA-Impfstoff (mRNA-1345) gegen RSV in einer Phase-III-Studie, die nach eigener Aussage bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert hat. Noch in diesem Jahr will Moderna einen Zulassungsantrag stellen. Auch dieser Impfstoff soll zunächst für Menschen ab 60 Jahren verwendet werden.
Der bivalente Proteinimpfstoff RSVpreF von Pfizer hat ebenfalls in einer Phase-III-Studie gute Ergebnisse erzielt. Er ist neben Senioren auch für Schwangere vorgesehen: Durch die Impfung der Mutter können die gebildeten Antikörper gegen RSV noch vor der Geburt auf das Kind übergehen und es somit direkt nach der Geburt schützen. Bei Keuchhusten (Pertussis) und Influenza wird dieses Konzept bereits umgesetzt. Die Schutzwirkung klingt beim Kind allerdings im Laufe des ersten Lebensjahres mit dem Abbau der mütterlichen Antikörper stetig ab, da es sich um eine Leihimmunität (Nestschutz) handelt.