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Sturzrisiko erhöht

Neuropathie durch Chemotherapie

In der Nachsorge von Krebspatienten muss stärker als bislang auf die Erkennung und Linderung Chemotherapie-induzierter peripherer Neuropathien (CIPN) geachtet werden. Nur so kann das durch sie bedingte Sturzrisiko gesenkt werden.
Christiane Berg
30.07.2019  10:00 Uhr
Neuropathie durch Chemotherapie

Das hat eine auf Ganganalysen und Messungen der Leistungsfähigkeit basierende kanadische Studie an ehemaligen Krebspatientinnen gezeigt. Die meisten Studienteilnehmerinnen im mittleren Alter von 63 Jahren hatten Brustkrebs. Die Krebsdiagnose lag oft schon viele Jahre zurück.

Doch auch sechs Jahre nach der Chemotherapie berichteten circa 50 Prozent der insgesamt 500 Frauen über einen anhaltenden beziehungsweise teilweise sogar verstärkten Sensibilitätsverlust mit Taubheit, Kribbeln und »Ameisenlaufen« beziehungsweise Muskelschwäche und -krämpfen unter anderem in Füßen und Beinen.

Besonders fatal: Studiengemäß war das Sturzrisiko fast doppelt so hoch wie bei Patientinnen ohne Neuropathie. Es war umso ausgeprägter, je stärker die neuropathischen Symptome waren. Die Autoren der vor zwei Jahren veröffentlichten Studie verweisen auf die große Bedeutung, CIPN-Beschwerden frühzeitig einzudämmen. Es müssten Schutz- und Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen werden, die die Sturzgefahr und somit die Immobilitäts- und Mortalitätsraten durch Frakturen mindern.

Nur das Befinden zählt

Bei Krebs geht es oft nicht ohne eine Chemotherapie. Zytostatika haben jedoch nicht nur zerstörende Effekte auf Tumorzellen. Sie sind oft auch für gesunde Körperzellen riskant. Neben der möglichen Beeinträchtigung des Knochenmarks und der Nieren steht die Schädigung der Nerven an dritter Stelle der häufigsten Nebenwirkungen.

Besonders oft beobachten Mediziner neurotoxische Beeinträchtigungen nach der Gabe von platinhaltigen Zytostatika, Taxanen oder Vincaalkoloiden. Die Gefahr für eine CIPN erhöht sich zusätzlich bei Kombination der verschiedenen Chemotherapeutika. Der Grad der Neurotoxizität hängt zudem von der Höhe der Einzel- und kumulativen Gesamtdosis sowie der Chemotherapiedauer ab. Es können auch Hände und Finger taub werden. Manche Patienten berichten zudem über Hörsturz und Tinnitus.

Das medizinische Wissen zu den Spät- und Langzeitfolgen einer Chemotherapie nimmt zu. Da sie sich zumeist »diffus« zeigen und nicht gezielt therapieren lassen, gelten sie trotzdem noch immer als »Stiefkind der Medizin«. Betroffene fühlen sich von ihren Ärzten oft unverstanden. Auf der Suche nach Lösungen stehen sie zumeist allein da. Es kann helfen, wenn sie in der Apotheke die Pathogenese der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie erklärt bekommen. Das könnte etwa so gehen: Vergleicht man die Nerven mit Kupferkabeln, die in der Elektro- und Informationstechnik eingesetzt werden, so können Störungen der Übertragung einerseits durch eine Unterbrechung der Kupferleitung selbst sowie andererseits durch Brüche in der sie umhüllenden Isolierung entstehen.

So auch hier: Einer CIPN kann sowohl der Untergang ganzer Nerven(zellen) als auch die Schädigung der Myelinscheiden zugrunde liegen, die diese quasi »ummanteln«. Die eingeschränkte Sensibilität ist auf die unterbrochene Signalweiterleitung zurückzuführen. Schmerzen und Krämpfe entstehen durch Spontanaktivitäten der geschädigten Axone, die unter anderem durch überaktive Natrium-Kanäle vermittelt werden.

Neurologen können das Ausmaß der verminderten Nervenleitgeschwindigkeit unter anderem durch den Test auf Vibrationsempfinden mit einer Stimmgabel, durch Prüfung von Reflexen mit einem Reflexhammer oder durch Messung der Nervenleitgeschwindigkeit mit Hilfe der sogenannten Elektroneurografie (ENG) bestimmen.

Es sei jedoch nicht der Befund, sondern das Befinden, das zählt: »Wie schwer die Nervenschädigung rein medizinisch ist, gilt generell als weniger wichtig. Im Vordergrund steht, wie belastend der Patient diese empfindet und wie sehr sie ihn im alltäglichen Leben beeinflusst«, sagt auch der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Heidelberg. Um das Befinden zu bessern, müssten daher unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Beschwerden des Patienten stets alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

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