Neuropathische Schmerzen |
Neuropathischen Schmerzen liegt eine Schädigung des somatosensorischen Systems zugrunde. / Foto: Adobe Stock/solvod
Gewöhnlichen Schmerz verspürt man beispielsweise, wenn man sich den Mund an zu heißer Suppe verbrennt, den Kopf stößt oder der Rachen entzündet ist. Schmerz-Auslöser wie Hitze oder Entzündung, aber auch andere Reize, werden von Schmerzsensoren registriert und an das Gehirn gefunkt. Nervenschmerzen (neuropathische Schmerzen) fühlt man hingegen, wenn Nervenfasern selbst Schaden nehmen. Dann werden Schmerzsignale oft ohne nachvollziehbaren Auslöser und teils ohne Unterlass ans Hirn weitergeleitet.
Neuropathische Schmerzen können entstehen
Vor der Behandlung solcher Nervenschmerzen sollte der Arzt abklären, welche Grunderkrankung vorliegt. Denn gelingt es, diese zu heilen, können auch die Schmerzen verschwinden. Gelingt es nicht oder nicht ausreichend, müssen die Nervenschmerzen symptomatisch behandelt werden.
Die typischen Symptome neuropathischer Schmerzen werden in Minus- und Plussymptome eingeteilt und treten meist in Kombination auf. Zu den Minussymptomen gehören Empfindungsstörungen wie eine verminderte Empfindung nicht schmerzhafter Reize wie einem Pinselstrich auf der Haut (Hypästhesie) oder die reduzierte Wahrnehmung von schmerzhaften Reizen wie der »Piks« mit einem Zahnstocher (Hypalgesie). Plussymptome sind brennende Schmerzen, besonders in Ruhe, schnell einschießende Schmerzattacken und eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit (Allodynie, Hyperalgesie).
Die Bekämpfung neuropathischer Schmerzen erfolgt – was auf den ersten Blick überrascht – mit Mitteln gegen epileptische Anfälle (Antikonvulsiva) und solchen, die ansonsten gegen Depressionen zum Einsatz kommen (Antidepressiva). Diese Medikamente verhindern, dass die geschädigten Nervenbahnen zu sehr erregt werden. Zu den bei Nervenschmerzen eingesetzten Antikonvulsiva zählen beispielsweise Gabapentin, Pregabalin oder Carbamazepin, wobei Letzteres hauptsächlich bei einem speziellen Gesichtsschmerz, der Trigeminusneuralgie, angewendet wird.
Wichtig für Patienten mit Vorbehalten gegen Psychopharmaka: Antidepressiva, die bei Nervenschmerzen verwendet werden, sind geringer dosiert als bei der Behandlung einer Depression. Grund dafür ist, dass sie bei Schmerzen anders wirken. Eingesetzte Wirkstoffe: zum Beispiel Amitriptylin, Duloxetin oder Venlafaxin.
Aber auch starke, klassische Schmerzmittel wie die Abkömmlinge des Morphins zeigen eine gute Wirksamkeit. Es werden Arzneiformen mit einer verzögerten, einer sogenannten retardierten Freisetzung angewendet. Besonders für die Opioide Tramadol und Oxycodon liegen bei Nervenschmerzen nach einer Gürtelrose und bei diabetischen Neuropathien gute Studienergebnisse vor. Hier gilt es zu beachten, dass Verstopfung eine häufige Nebenwirkung ist, die von vornherein mitbehandelt werden sollte. Schmerzmittel wie Paracetamol, Metamizol und solche aus der Klasse der nichtsteroidalen Antirheumatika wie Acetylsalicylsäure, Diclofenac oder Ibuprofen sind bei Nervenschmerzen hingegen gar nicht oder kaum wirksam.
Noch eine Unterscheidung zum Schluss: Schießen die Schmerzen ein, wird eher mit Antikonvulsiva oder Opioiden therapiert, liegt ein Dauerschmerz vor, nutzt man eher Antidepressiva oder klassische schwache und starke Schmerzmittel.
Neben den Medikamenten gibt es gegen Nervenschmerzen weitere Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel Entspannungstechniken oder die Behandlung mit schwachem elektrischen Strom, genannt TENS. Diese Methoden kommen oft parallel zu Arzneimitteln zum Einsatz.
Laut S2k-Leitlinie »Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen« (2019) unterscheidet man neuropathische Schmerzen, nozizeptive Schmerzen und noziplastische Schmerzen.
Schmerzen werden demnach als neuropathisch bezeichnet, wenn sie »als direkte Folge einer Schädigung oder Läsion des somatosensorischen Systems auftreten.«
Nozizeptive Schmerzen sind dadurch gekennzeichnet, dass Nozizeptoren aktiviert werden, während die neuronalen Strukturen prinzipiell intakt sind. Nozizeptoren sind freie sensorische Nervenendigungen, die im Gewebe noxische (schädliche) Reize aufnehmen, zum Beispiel bei einer Verletzung oder einer Entzündung, und daraufhin Signale weiterleiten. Gelangen diese Signale schließlich zu den relevanten Gehirnarealen (Thalamus, Gyrus postcentralis), entsteht die Schmerzempfindung.
Der noziplastische Schmerz entsteht durch eine veränderte Nozizeption (Schmerzwahrnehmung), aber »ohne Nachweis einer bestehenden oder potenziellen Gewebeschädigung als Ursache einer Aktivierung peripherer Nozizeptoren und ohne Hinweise auf eine Erkrankung oder Schädigung des somatosensorischen Systems als Ursache der Schmerzen.«