Optionen bei Arzneimittel-Lieferengpässen |
Juliane Brüggen |
08.08.2022 10:30 Uhr |
Die Suche nach einer lieferbaren Alternative gleicht manchmal Detektivarbeit. / Foto: Adobe Stock/Studio Grand Web
Verärgerte Kunden, gestresstes Apothekenpersonal – Lieferengpässe kosten Zeit und Nerven. Ein Stressfaktor, den viele Außenstehende nicht kennen, sind die vertraglichen Vorgaben. Denn vollkommen frei sind PTA und Apotheker nicht auf der Suche nach einem alternativen, lieferbaren Arzneimittel, vor allem, wenn es um Rezepte zulasten der Krankenkassen geht. Zwar bringen die Corona-Sonderregeln aktuell Erleichterungen: So können beispielsweise vorrätige Arzneimittel bevorzugt werden, um Patientenkontakte zu reduzieren. Apothekenmitarbeiter prüfen die Verfügbarkeit aber grundsätzlich nach einer vertraglich festgelegten Reihenfolge:
Nummer 1 bei der Prüfung sind zunächst die Rabattarzneimittel – aus Sicht der Kassen die günstigste Option. Falls diese nicht verfügbar sind, folgen im Aut-idem-Bereich die vier preisgünstigsten Arzneimittel, wobei das abgegebene Präparat nicht teurer als das verordnete sein darf. Im Import-Bereich stehen wiederum Original- und Importarzneimittel zur Auswahl, die nicht teurer als das verordnete Präparat sind – bevorzugt aber preisgünstige Importarzneimittel, die zum Import-Einsparziel zählen.
Im sogenannten importrelevanten Markt gilt es zwei Sonderregeln zu beachten: Apotheken sind angehalten, Arzneimittel ohne Mehrkosten oder mit den geringsten Mehrkosten bevorzugt abzugeben – unabhängig davon, ob damit eine ärztlich gesetzte Preisgrenze überschritten wird. Eine weitere Besonderheit ist der Parallelvertrieb. Das ist der Fall, wenn ein patentgeschütztes Arzneimittel unter mehreren Handelsnamen im Vertrieb ist, es also mehr als ein Originalarzneimittel gibt (Parallelarzneimittel). Die Preisgrenze ist dann immer das preisgünstigste Parallelarzneimittel, sofern der Arzt nicht ein noch günstigeres verordnet hat.
Sind all diese Optionen nicht zu bekommen, bleibt Apotheken schließlich die Abgabe des nächstpreisgünstigsten, verfügbaren Arzneimittels – sowohl im Aut-idem- als auch im Import-Bereich. Die Nichtverfügbarkeit wird auf dem Papierrezept mit der Sonder-PZN 02567024 und einem passenden Faktor (siehe Tabelle) gekennzeichnet, ein zusätzlicher Vermerk ist nicht erforderlich. Liegt ein E-Rezept vor, erfolgt die Kennzeichnung im elektronischen Abgabedatensatz und wird mittels elektronischer Signatur abgezeichnet.
Faktor zur Sonder-PZN 02567024 | Aut-idem-Bereich (Auswahlbereich: Arzneimittel unter Berücksichtigung der Aut-idem-Kriterien) | Import-Bereich (Auswahlbereich: nur Original- und Importarzneimittel, ggf. Parallelarzneimittel) |
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2 | Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels | Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels |
3 | Nichtverfügbarkeit eines preisgünstigen Fertigarzneimittels | Abweichung von der Importabgabe aufgrund von Nichtverfügbarkeit |
4 | Nichtverfügbarkeit eines rabattbegünstigten Fertigarzneimittels sowie eines preisgünstigen Fertigarzneimittels | Nichtverfügbarkeit eines rabattbegünstigten Fertigarzneimittels sowie Abweichung von der Importabgabe aufgrund von Nichtverfügbarkeit |
Im Zuge der Covid-19-Pandemie haben Apotheken einen erweiterten Handlungsspielraum erhalten. Grundlage ist die SARS-CoV-2-Arzneimittelverschreibungsverordnung, die voraussichtlich noch bis zum 25. November 2022 ihre Gültigkeit behält. Ziel der Verordnung ist es, die Kontakte des Patienten mit Arzt und Apotheke zu reduzieren. Die Apotheke darf nun ohne Rücksprache mit dem Arzt ausnahmsweise in weiteren Kriterien von der Verordnung abweichen, sofern die verordnete Gesamtmenge an Wirkstoff nicht überschritten wird:
Bei Substitutionsmitteln ist ein Abweichen von Packungsgröße, -anzahl und Wirkstärke nicht erlaubt. In der Vereinbarung zur technischen Umsetzung der Sonderregeln heißt es außerdem: »Eine Stückelung ist nur dann zulässig, wenn hierdurch ein weiterer Patientenkontakt, auch in der Form einer Belieferung durch den Botendienst, vermieden werden kann.«
Fallen mehrere Zuzahlungen an, weil der Patient beispielsweise zwei kleinere Packungen anstelle einer großen erhält, muss der Patient diese Kosten selbst tragen. Kosten für Arzneimittel, deren Preis über einem Festbetrag liegt (Mehrkosten), übernimmt die Krankenkasse, wenn Rabattarzneimittel nicht verfügbar sind und kein alternatives Präparat zum Festbetrag erhältlich ist. In allen anderen Fällen kommt in der Regel der Patient für die Mehrkosten auf.
Wichtig ist, das Rezept bei Anwendung der Corona-Sonderregeln mit der Sonder-PZN für Akutversorgung zu kennzeichnen (2567024 und Faktor 5 oder 6). Der Vermerk »Covid-19« ist in der bundesweiten Vereinbarung zur Umsetzung der Regeln zwar nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert, damit die Kasse den Fall nachvollziehen kann.
Für den Fall einer Teilmengen-Abgabe sieht die Vereinbarung vor, dass Apotheken bei der ersten Abgabe die Sonder-PZN 06461127 (mit Faktor 1 und Taxe 0) angeben und den vollständigen Preis der Packung unter Angabe der jeweiligen PZN abrechnen. Bei weiteren Abgaben aus dieser Packung wird die PZN der Packung dann mit dem Taxe-Betrag »0« versehen. Außerdem druckt die Apotheke die Sonder-PZN 06461133 mit Faktor 1 und einem Taxe-Betrag von »690« (6,90 Euro) auf das Rezept. Das entspricht dem in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) festgelegten Zuschlag für die Wiederabgabe von Arzneimitteln inklusive Mehrwertsteuer. Die jeweils anfallende Zuzahlung trägt der Patient.
Im letzten Schritt ermöglichen die Corona-Sonderregeln einen Aut-simile-Austausch, also die Abgabe eines »pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren« Arzneimittels, – wenn weder das abzugebende noch wirkstoffgleiche Alternativen vorrätig oder verfügbar sind. Dazu ist eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich, die auf dem Rezept zu dokumentieren und abzuzeichnen ist. Um dem Arzt hier eine geeignete Alternative vorschlagen zu können, empfiehlt sich ein Blick in die Äquivalenzdosistabellen der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK), die mittlerweile für viele Wirkstoffgruppen verfügbar sind.
Die Möglichkeit des Austauschs besteht auch, wenn das Arzneimittel mit Aut-idem-Kreuz verordnet ist. Arzneimittel der Substitutionsausschlussliste werden hingegen nicht explizit genannt. Der Verband der Ersatzkassen hat aber bekannt gemacht, dass seine Mitgliedskassen diese Verordnungen analog der Verordnungen mit Aut-idem-Kreuz betrachten. Für die Primärkassen gibt es diesbezüglich keine einheitliche Regelung.
Die Ersatzkassen haben Apotheken bei Lieferproblemen generell mehr Freiheiten eingeräumt (§ 5 Abs. 4 vdek-Arzneiversorgungsvertrag). Demnach dürfen PTA und Apotheker, wenn kein Arzneimittel aus dem entsprechenden Auswahlbereich verfügbar ist, nach Rücksprache mit dem Arzt in puncto Packungsgröße und Packungsanzahl von der Verordnung abweichen, wenn dabei die verordnete Gesamtmenge an Wirkstoff nicht überschritten wird. Die Rücksprache dokumentiert die abgebende Person auf dem Rezept, die Änderung zeichnet ein Apotheker ab.
Im Rahmenvertrag ist mittlerweile genau definiert, was die Krankenkassen als Nichtverfügbarkeit anerkennen. Das ist der Fall, wenn ein Arzneimittel »innerhalb angemessener Zeit nicht beschafft werden kann« (§ 2 Abs. 11). Als Nachweis dienen »zwei Verfügbarkeitsanfragen im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage der Verordnung durch die Apotheke«. Damit sind Anfragen bei den beliefernden Großhändlern gemeint. Nutzt die Apotheke nur einen Großhandel als Lieferanten, reicht es, wenn die Verfügbarkeitsanfragen bei diesem einen Großhandel erfolgt sind. Bei Nachfragen müssen Apotheken den Beleg über die Anfragen vorweisen können. Wird ein Präparat nicht über den Großhandel vertrieben, reicht eine einmalige Anfrage beim Unternehmen aus. Auch hier muss ein entsprechender Beleg vorliegen.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.